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„Schau über den eigenen Tellerrand hinaus“: Wie finde ich meinen eigenen Weg in der Wissenschaft?

Diesen Sommer ist Professor Souleymane Bachir Diagne Gastdozent bei Worlds of Contradiction.

Forschung

Philosophie, Sprachen und Mathematik – wie lassen sich diese Forschungsbereiche miteinander verbinden? Wenn es nach Professor Souleymane Bachir Diagne geht, sind sie allesamt Teil eines universellen Verständnisses unserer Welt. Diesen Sommer ist Professor Diagne Gastdozent bei Worlds of Contradiction, einer interdisziplinären Verbundforschungsplattform an der Universität Bremen, die sich mit Konzepten der Widersprüche befasst. up2date. hat mit dem Wissenschaftler darüber gesprochen, wie man scheinbar gegensätzliche Forschungsthemen miteinander verbindet und wie man sich eine Karriere in einem neuen akademischen Bereich aufbauen kann.

Professor Diagne, woran arbeiten Sie derzeit?

Zurzeit schreibe ich ein Buch in französischer Sprache mit dem Titel „De langue à langue“, was „Von einer Sprache zur anderen“ bedeutet. Das Buch ist der Übersetzung an sich gewidmet: Übersetzung kann die Dominanz einer Sprache über eine andere offenbaren, aber auch ein Weg des Dialogs zwischen verschiedenen Kulturen sein.

Als ich die Einladung von Worlds of Contradiction (WoC) an der Universität Bremen erhielt, passte das perfekt: Meine gesamte akademische Laufbahn habe ich den Widersprüchen gewidmet. Zu meinen Forschungsgebieten gehören die Geschichte der Logik, die Geschichte der Philosophie, die islamische Philosophie, die afrikanische Philosophie und die Literatur. Ich freue mich darauf, im Rahmen der WoC-Forschungsgruppe, die sich interdisziplinär mit Widersprüchen befasst, neue Ideen zu entwickeln.

Was sind Ihnen persönlich in Ihrer Laufbahn schon an Widersprüchen begegnet?

Als ich mein Philosophiestudium fast abgeschlossen hatte, hatte ich etwas Zeit, um mich mit der Mathematik zu beschäftigen, die mich schon immer interessiert hatte. Ich stieß auf die Arbeiten von George Boole und erkannte, dass sich das Thema Logik – das einen großen Teil des Philosophiestudiums ausmacht – auch auf Algebra übertragen lässt. Ich promovierte in der Geschichte der Mathematik und machte mich daran, das Werk von Boole einem französischen Publikum zugänglich zu machen, da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht übersetzt worden war.

Nach Beendigung meiner Promotion kehrte ich in den Senegal zurück, um an der Cheikh Anta Diop Universität in Dakar Philosophie zu unterrichten. Dort stieß ich auf einen weiteren Widerspruch: afrikanische Philosophie. Aus eurozentrischer Sicht ist die Philosophie immer mit den Griechen verbunden. Es gibt jedoch viele andere Philosophien auf der Welt, wie die afrikanische Philosophie. So entdeckte ich ein neues Forschungsfeld, dem ich mich widmen konnte. Zu dieser Zeit, in den 1980er Jahren, wurde der politische Islam in der Öffentlichkeit relevant. Da ich aus einer Familie muslimischer Gelehrter stamme und über einen akademischen Hintergrund in Philosophie und Mathematik verfüge, wurde ich zu einem Experten in den Bereichen Geschichte der Philosophie, Philosophie in der Mathematik, afrikanische Philosophie und islamische Philosophie. Ich denke, das verdanke ich der Tatsache, dass ich stets mit offenen Augen durch die Welt gegangen bin und über meinen eigenen Tellerrand hinausgesehen habe. Ich habe mir neue, eigenständige Forschungsbereiche erschlossen. In denen konnte ich mir meine eigene Nische aufbauen, indem ich die von mir identifizierten Probleme erforschte und gleichzeitig neue Bereiche eröffnete.

Hatten Sie jemals Zweifel oder Sorgen, als Sie neue Forschungsgebiete erschlossen?

Selbstverständlich. Es gibt immer wieder Momente, in denen man sich selbst hinterfragt und überlegt, warum man etwas überhaupt angefangen hat. Aber es gibt auch Momente, in denen alles funktioniert und man die Ergebnisse der eigenen Arbeit klar sehen kann. Es gibt immer wieder glückliche Fügungen: Man muss nur die Augen offen halten.

Wie finden Sie neue Bereiche, mit denen Sie sich beschäftigen wollen?

Ich versuche immer, alle Aspekte eines Themas zu verbinden und es zu erweitern. So habe ich beispielsweise einmal einen Kurs zum Thema islamische Philosophie unterrichtet und dann Konzepte erforscht, die über den traditionellen Lehrplan zur klassischen islamischen Philosophie hinausgehen. Bei meinen Recherchen stieß ich auf den indischen Philosophen Muhammad Iqbal, dessen Denkansatz mit dem des französischen Philosophen Henri Bergson im Dialog steht. Dies veranlasste mich, die Berührungspunkte ihrer Philosophien näher zu untersuchen. Ein anderes Beispiel: Als ich an einer Präsentation über den ersten Präsidenten Senegals, Léopold Sédar Senghor, arbeitete, kam mir die Idee, dass seine Philosophie in erster Linie eine Philosophie der afrikanischen Kunst ist. Diese Idee habe ich dann zu einem Buch entwickelt. Meine Überlegungen zur klassischen afrikanischen Kunst haben mich zu meiner heutigen Arbeit der Provenienzforschung und Restitution geführt. Ich bin Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des deutsch-französischen Provenienzforschungsfonds zu Kulturgütern aus Subsahara-Afrika, der im Centre Zentrum Marc Bloch in Berlin angesiedelt ist.

Sie haben in Ihrer Laufbahn verschiedene Forschungsbereiche miteinander kombiniert. Welchen Rat würden Sie jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geben?

Vertraue deinen Mentorinnen und Mentoren. Unsicherheit ist normal. Im Laufe eines Studiums legt man eine Prüfung nach der anderen ab – es verläuft linear. Dann wird von dir verlangt, dass du dir selbst ein Thema aussuchst und ihm Jahre deines Lebens widmest. Das fühlt sich an wie ein Blind Date, denn man weiß einfach nicht, was dabei herauskommt. Eine gute Mentorin oder ein guter Mentor hilft einem, zu erkennen, womit man es zu tun hat, und unterstützt einen bei der Suche nach einer Lösung. Außerdem sollte man für alle Fragen und Probleme, die einem begegnen, offen sein. Diese könnten dein nächstes Forschungsthema sein. Und wenn du dich selbst wiederholst, machst du etwas falsch: Wir sind nie fertig mit Lernen. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Genau deshalb sind wir ja auch Forscherinnen und Forscher geworden.

Bevorstehende Veranstaltungen mit Professor Souleymane Bachir Diagne:

Vorlesung am 26. Juni, 19:00 Uhr, GW2 B2900: “The Languages of Philosophy and the Case of African Philosophy (auf Englisch)

Öffentlicher Vortrag am 3. Juli, 18:30 Uhr im Haus der Wissenschaft: “The Humanism of Translation” (auf Englisch)

Mehr über Professor Souleymane Bachir Diagne

Professor Dr. Souleymane Bachir Diagne ist derzeit internationaler U Bremen WoC Gastprofessor. Er absolvierte sein Studium in Frankreich. Als Absolvent der École Normale Supérieure besitzt er eine Agrégation in Philosophie (1978) und promovierte in Philosophie an der Sorbonne (1988), wo er auch zuvor seinen Bachelor gemacht hat (1977). Bevor er 2008 an die Columbia University kam, lehrte er viele Jahre lang Philosophie an der Cheikh Anta Diop University in Dakar (Senegal) und an der Northwestern University. Zu seinen Forschungsgebieten gehören: Geschichte der Logik, Geschichte der Philosophie, islamische Philosophie, afrikanische Philosophie und Literatur.

Was ist Worlds of Contradiction?

World of Contradiction (WoC) ist eine verbundorientierte, interdisziplinäre Forschungsgruppe, die sowohl Geistes-, Kultur-, Sozial-, Rechts- als auch Bildungswissenschaften umfasst. Ziel ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Entwicklung und Umsetzung von Forschungsprojekten, die Durchführung von Projekten des forschenden Lernens sowie von Transferprojekten mit besonderem Schwerpunkt auf interdisziplinären Verbundprojekten, die gleichzeitig der Internationalisierung der beteiligten Wissenschaftsbereiche dienen.

WoCs unterschiedliche Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Widersprüchen und ihren epistemischen Ausgestaltungen, einschließlich Konzepten wie Differenz, Aporie, Paradoxie, Ablenkung und Diskrepanz. Dabei geht das Interesse der Beteiligten über die herkömmliche dialektische Betrachtung von Widersprüchen oder die rein normative Vorstellung, dass Widersprüche aufgelöst werden müssen, hinaus. Vielmehr wird ein empirischer Ansatz für die soziale und kulturelle Produktivität von Widersprüchen gewählt. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen untersuchen Ausprägungen, Kontexte, Methoden und Umgang mit Widersprüchen, d.h. sie erforschen, wie und wozu Widersprüche genutzt, inszeniert und strategisch verhandelt werden und wie durch sie Heterogenität, Differenz und Vielfalt aufgehoben werden können.

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