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„Bremen ist meine zweite Heimat geworden“
Ein Wiedersehen mit den drei Omid-Farda-Stipendiat:innen Nazdana Sultanfar, Sohrab Zarbafiyan und Mohammad Fahim Amini. Wie geht es den Afghan:innen heute?
Zweieinhalb Jahre ist es her, dass insgesamt 11 junge Afghan:innen mit einem Stipendium der Akademie HERE AHEAD und der Universität Bremen in Deutschland ankamen. Eine Menge Fragen hatten sie im Gepäck: Was würde dieses neue Land ihnen bringen? War es richtig, alles hinter sich zu lassen, um den gewünschten Bildungsweg weitergehen zu können? Heute können sie dies mit einem klaren „Ja“ beantworten. Denn sie brachten damals auch eine immense Willenskraft mit.
Als die up2date.-Redaktion sich im April 2024 das erste Mal mit drei von ihnen traf war dieser eiserne Wille bereits deutlich zu spüren. Er hat es ihnen ermöglicht, trotz aller Widrigkeiten und Anstrengungen an ihrem ersten Ziel festzuhalten: Dem C1-Sprachniveau, um in Deutschland studieren zu können. Alle drei damals vorgestellten Afghan:innen haben mittlerweile ihre Prüfung bestanden und sind bereit für den nächsten Schritt. Wie sind ihre Pläne?
Nazdana Sultanfar
Als wir Nazdana Sultanfar im Frühjahr 2024 trafen, hatte sie ein klares Ziel vor Augen: Sie wollte Frauenministerin in einem freien Afghanistan werden. Und heute? Der Wunsch, sich eines Tages als Spitzenpolitikerin für die Rechte von Frauen und Mädchen stark zu machen, ist geblieben. Aber in Deutschland, nicht in Afghanistan. „Die Situation dort hat sich weiter verschlechtert, es gibt überhaupt keine Perspektiven mehr für Frauen“, erklärt die 24-Jährige.
Die Verbindungen zur Heimat sind zwar noch stark, beispielsweise chattet und telefoniert Nazdana Sultanfar regelmäßig mit ihrer älteren Schwester und Freundinnen in Kabul. Doch ihr Leben in Bremen sieht mittlerweile ganz anders aus: „Ich habe mich im Fitnessstudio angemeldet, kann spazieren gehen, wenn ich Lust dazu habe oder einen ganzen Tag in der Bibliothek Fachliteratur lesen – alles Dinge, die die Frauen in Afghanistan nicht dürfen“.
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Aktuell könne sie es sich nicht vorstellen, wieder in ihre Heimatstadt Kabul zurückzukehren. Ihr Leben findet in Bremen statt, hier hat sie Freund:innen gefunden, eine Wohnung und einen Teilzeitjob. „Bremen ist meine zweite Heimat geworden, ich fühle mich hier richtig wohl“, sagt sie. Im vergangenen Jahr konnten ihr Bruder und weitere Teile der Familie nach Deutschland kommen. Ihre Verwandten wohnen nun in Niedersachsen, gar nicht so weit weg von Bremen.
Und was mit Studieren? Das steht weiter ganz oben auf der Prioritätenliste der Afghanin. Im Sommersemester 2026 will sie ihr Politikwissenschaftsstudium an der Universität Bremen aufnehmen. Die Zeit bis dahin will sie nutzen, um ihr Englisch aufzufrischen. „Das intensive Lernen für die C1-Prüfung in Deutsch hat mein Englisch sehr in den Hintergrund rücken lassen. Daher mache ich gerade einen Sprachkurs, um hier auch wieder sicher kommunizieren zu können“, erklärt die ehrgeizige junge Frau. Parallel zum Sprachkurs absolviert sie ein Praktikum, um den deutschen Berufsalltag kennen zu lernen. Was sie sich sonst noch vornimmt? Die Biografie von Angela Merkel zu Ende lesen. Und natürlich: Radfahren lernen. „Das gehört in Bremen ja nun mal dazu“, sagt Nazdana Sultanfar.
Mohammad Fahim Amini
„Halt die Ohren steif“ – diese typisch deutsche Redewendung hat Mohammad Fahim Amini heute beim Arbeiten in der Bäckerei aufgeschnappt und sich gleich gemerkt. „Ich lerne immer noch Deutsch, jeden Tag. Beim Arbeiten bekomme ich viel mit. Auch die Kolleg:innen bringen mir immer wieder etwas bei,“ erzählt der junge Mann gleich zu Beginn des Interviews. Schon in den ersten Wochen nach seiner Ankunft habe er die Freundlichkeit vieler Menschen gespürt – sei es in der Universität, in Sprachkursen oder am Arbeitsplatz. Dieses positive Umfeld habe ihm sehr geholfen, seinen eigenen Weg zu finden. „Was ich an Deutschland besonders schätze, sind die vielfältigen Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, die man hier bekommt. Wenn man fleißig ist und Verantwortung übernimmt, öffnen sich viele Türen“, findet er.
Den Verkäufer-Job in der Bäckerei in Bremen-Walle empfindet er als Volltreffer. Auf diese Weise kann der 28-Jährige die Wartezeit überbrücken, bis seine Zeugnisse aus Afghanistan übersetzt sind. Zum Wintersemester 2026/27 will er dann ein duales Studium der Elektrotechnik an der Hochschule Bremen beginnen – bis dahin müssen alle Unterlagen aus Afghanistan vorliegen. Dort hatte er bereits einige Semester Informatik studiert und will sich diese Leistungen nun teilweise anerkennen lassen.
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„Informatik war immer mein Traum. Aber seit ich hier in Deutschland bin und so viel lernen musste für die Sprachprüfung, habe ich gemerkt, dass ich doch lieber was mit mehr Praxisbezug machen möchte“, sagt er. Also lieber Elektrotechnik auf dem dualen Bildungsweg. „Ich möchte meine Zukunft aktiv gestalten und gleichzeitig der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben. Dafür arbeite ich hart. Ich bin überzeugt, dass auch Menschen mit Migrationsgeschichte durch Engagement und Verantwortung einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten können,“ ergänzt er.
Um auf den Studienbeginn gut vorbereitet zu sein, hat Mohammed Fahim Amini sich wichtige mathematische Formeln an die Wand seines Wohnheim-Zimmers gehängt. „Ich bin ja seit drei Jahren weg von der Uni, da muss ich einiges wiederholen“, erklärt er.
Und in der Freizeit? Da kocht er gern, am liebsten afghanische Gerichte. Mittlerweile isst Mohammad Fahim Amini aber auch typisch deutsche Lebensmittel gern. Ganz besonders hat es ihm das Walnuss-Rosinen-Brot in „seiner“ Bäckerei angetan: „Ich esse es oft zum Frühstück – es gibt keinen besseren Start in den Tag“.
Eins ist ihm noch ganz wichtig: „Ich möchte Danke sagen, der Universität Bremen, der Akademie HERE AHEAD, der Sprachschule Casa. Mit eurer Hilfe habe ich mein Leben nun wieder selbst in der Hand.“
M. Sohrab Zarbafiyan
„Mein Leben ist gut“, stellt M. Sohrab Zarbafiyan gleich zu Beginn des Interviews klar. Er hat das C1-Sprachniveau geschafft, eine schöne Wohnung in Bremen-Schwachhausen gefunden, einen lukrativen Nebenjob als Software-Entwickler ergattert und ganz wichtig: Freund:innen gefunden. „Ich war nie so alleine wie in meiner ersten Zeit in Deutschland“, erzählt der 28-Jährige. Die kulturellen Unterschiede waren ein Schock für ihn, die Deutschen kamen ihm Vergleich zur afghanischen Lebensweise sehr verschlossen vor. Dazu das anstrengende Lernen für die Deutschprüfung. „Es war eine harte Zeit, aber deswegen bin ich auch sehr stolz auf mich. Das ist schon ein großes Ding, das wir da erreicht haben“, findet M. Sohrab Zarbafiyan.
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Er bedankt sich für die Chance, die ihm gegeben wurde und will sie weiterhin nutzen. Ab dem Sommersemester 2026 wird er sein in Afghanistan begonnenes Informatik-Studium an der Hochschule Bremen weiterführen. „Ich werde ein duales Studium beginnen. Und sobald ich meinen Abschluss habe, gründe ich eine eigene Firma“, erzählt der Informatiker.
Auch sonst ist sein Leben gut durchgeplant: M. Sohrab Zarbafiyan kocht alle seine Mahlzeiten frisch, ein gesunder Lebensstil ist ihm sehr wichtig. Vier Mal in der Woche Fitnessstudio, dazu Schwimmen und – wenn die Zeit es zulässt – einen Snooker-Abend mit Freund:innen. Er ist in Bremen angekommen. „Vor zwei Jahren hatte ich gar nichts, jetzt habe ich ein Leben hier“, fasst er zusammen.
Infos zum Omid-Farda-Stipendium
Schon der Name trägt die Hoffnung in sich: Das Stipendium „Omid Farda“, persisch für „Hoffnung für morgen“ bot elf afghanischen Studierenden eine Perspektive für ein Studium in Bremen. Die Stipendienausschreibung fand im Frühsommer 2022 über die Academy HERE AHEAD statt und nach einem harten Auswahlprozess konnten im Sommer 2023 elf Stipendiat:innen ihre Sprachausbildung in Deutschland beginnen. Die finanzielle Unterstützung lief nach einem Jahr aus, doch die Afghan:innen fanden auch danach Wege, ihr Ziel weiter zu verfolgen. Mittlerweile haben alle ihre C1-Sprachprüfung geschafft und sich damit für ein Studium in Deutschland qualifiziert. Das Omid-Farda-Stipendium wurde einmalig ausgeschrieben, derzeit werden keine weiteren Stipendien vergeben.
Weitere Informationen:
up2date.-Artikel vom April 2024: Die einzige Chance, etwas Sinnvolles zu machen