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Nanogerüste für die Medizin von morgen

Die Biophysikerin Professorin Dorothea Brüggemann und ihre Arbeitsgruppe entwickeln neue Materialien für den Einsatz im menschlichen Körper

Forschung

Wundpflaster aus körpereigenen Proteinen oder biologische Beschichtungen auf Implantaten, die das Einwachsen im Körper erleichtern – all das wird es eines Tages geben. Bei der Grundlagenforschung für derartige Anwendungen an der Schnittstelle von Biologie und Physik hilft manchmal auch der Zufall. So wie beim Doktoranden Karsten Stapelfeldt, der bei Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop plötzlich Nanofasern an Stellen entdeckte, an denen er sie nicht erwartet hatte. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen begann er die Suche nach den Zusammenhängen – mit Ergebnissen, die für Aufsehen sorgen.

„Fasergerüste aus natürlichen Materialien wären eine hervorragende Unterstützung der Blutgerinnung bei Patienten mit Gerinnungsstörungen.“
Professorin Dorothea Brüggemann

160, 170, 180 cm Körpergröße sind rund um den Erdball normal. Aber im Detail ist der Mensch auch winzig klein – auf der Ebene der Zellen ist man plötzlich im MikrometerBereich. Diese Zellen sind von Nanostrukturen umgeben, beispielsweise von Fasern mit einer Größe von wenigen Milliardstel Metern. „Genau hier setzt unsere Arbeit an“, sagt Dorothea Brüggemann, Leiterin der Emmy Noether-Forschungsgruppe für Nano-Bio-Materialien im Institut für Biophysik der Universität Bremen. „Wir entwickeln faserige Nanogerüste, die wir dann in den menschlichen Körper bringen wollen und in denen sich dann wieder Zellen ansiedeln können.“ Diese Nanomaterialien können mit zusätzlichen Funktionen versehen werden und dem Menschen auf unterschiedliche Art und Weise helfen.

Das beste Beispiel für die Arbeit von Brüggemanns Arbeitsgruppe ist ein dreidimensionales Eiweißgerüst, mit dem die Forscherinnen und Forscher die Fachwelt beeindruckt haben. Dieses Gerüst, das sich eines Tages vielleicht sogar aus dem Blut eines Menschen herstellen lässt, könnte dann als „biologisches Pflaster“ bei der Wundheilung helfen. Normalerweise verschließt der menschliche Körper kleinere Wunden mit einer „Borke“ oder „Schorf“ genannten Kruste. „Dabei wird das im Blutplasma enthaltene Protein Fibrinogen durch das Enzym Thrombin in Fibrin umgewandelt. Es bildet dann Nanofasern“, erklärt Karsten Stapelfeldt den Prozess. „Das entstehende Gewebe von mikroskopisch feinen Fasern sorgt im menschlichen Körper für den Wundverschluss und unterstützt die Heilung. Wir haben ein solches biologisch inspiriertes Fibrinogen-Netzwerk erstmals ohne die Zugabe von Enzymen im Labor hergestellt.“ Mit Hilfe der bremischen Patentverwertungsagentur InnoWi GmbH wurde mittlerweile eine europäische Patentanmeldung eingereicht. Die Entdeckung verspricht für die Zukunft ein großes Potenzial.

Masterstudentin Stephani Stamboroski (links) und Postdoktorandin Dr. Jana Markhoff zählen zu den Wissenschaftlerinnen, die sich über ihre Arbeit in der Emmy-Noether- Forschungsgruppe weiterqualifizieren.
Foto: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen

Material aus dem eigenen Blut

„Normalerweise hilft man sich bei Wunden mit Pflastern und Kompressen, die selbst ja auch ein Gewebe darstellen – allerdings ein synthetisches“, erläutert Dorothea Brüggemann. „Die Verwendung von körpereigenem Fibrinogen kann es künftig ermöglichen, dass wir bioresorbierbare Wundauflagen herstellen, die während der Wundheilung nach und nach vom Körper aufgenommen werden. Unsere Vision: Jeder Mensch könnte eines Tages über sein ‚eigenes biologisches Pflaster‘ verfügen, das vom Körper ideal angenommen wird. Vielleicht wird irgendwann Menschen schon als Säugling etwas Blut abgenommen, um für solche Anwendungen körpereigenes Material ‚auf Lager‘ zu haben“, schaut sie in die Zukunft.

Karsten Stapelfeldt hatte mit dem Rasterelektronenmikroskop den Selbstorganisationsprozess untersucht, der aus gelösten Proteinen die ultrafeinen Fasern macht, die sich dann zu einem Nano-Gerüst verbinden. Die Arbeitsgruppe schaute genauer hin: Wie bilden sich die Fibrinogen-Netzwerke? Als der Mechanismus entschlüsselt war, machte man sich an die Herstellung einer mehrere Mikrometer dicken Schicht des natürlichen Fibrinogengerüsts, das man sogar real in die Hand nehmen kann – eine erste Grundlage für eine „natürliche“ Wundauflage.

Irina Walter (vorne) schloss im Sommer ihr Physik-Bachelorstudium mit einer Arbeit in der AG Brüggemann ab. Hier arbeitet sie zusammen mit Doktorandin Naiana Suter unter der Sterilbank in der Zellkultur.
Foto: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen

Vom Kleinen zum Großen

Als „Multiskalenansatz für die Entwicklung von biologisch inspirierten Fasergerüsten“ beschreibt Dorothea Brüggemann den Kern der Arbeit. „Wir forschen und entwickeln auf der Nanoebene, wollen aber auch den darunterliegenden atomaren und molekularen Bereich verstehen“, sagt sie. Auf diesem Gebiet kooperiert sie erfolgreich mit der Arbeitsgruppe „Grenzflächen in der Bio-Nano-Werkstofftechnik“ des Produktionstechnikers Professor Lucio Colombi Ciacchi. „Mit unseren Nanogerüsten wollen wir Zellen, die mehrere Mikrometer groß sind, gezielt kontrollieren und steuern. Die Gerüste, die wir am Ende bauen, sollen dann aber durchaus auch makroskopisch sichtbar werden, wie beispielsweise das als Wundauflage anwendbare Fibrinogen-Gerüst. Deshalb ‚Multiskalen‘: Verständnis im Kleinen, Anwendung im Großen.“

Sind die „Baupläne“ und Mechanismen der natürlichen Fasergerüste erst einmal bis ins Detail erforscht, sind viele Einsatzmöglichkeiten funktionalisierter Fasergerüste denkbar. Wenn es beispielsweise gelänge, Medikamente in die Gerüste mit einzubauen, könnte man diese als Unterstützung in gezielten Bereichen gleich mit in den Körper einbringen. „Fasergerüste aus natürlichen Materialien wären auch eine hervorragende Unterstützung der Blutgerinnung bei Patienten mit Gerinnungsstörungen, den sogenannten Blutern“, nennt Dorothea Brüggemann eine andere denkbare Anwendungsmöglichkeit.

Auch Collagen im Fokus

Ein anderes Protein im Fokus der Arbeitsgruppe ist das Collagen. Es kommt in großen Mengen in der Haut oder in Blutgefäßen vor und ist sehr flexibel. „Auch hier nutzen wir den Selbstorganisationsprozess der Proteine, um Nanofasern herzustellen. Zudem haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem mikrometergroße Bereiche eines Materials gezielt mit Collagen-Nanofasern beschichtet werden können“, erläutert Naiana Suter aus dem Team. „Zellen spüren, ob sie sich auf einer faserigen oder glatten Fläche befinden. In Fasern wachsen sie ein, auf einer glatten Fläche breiten sie sich aus. Dadurch lässt sich die Entwicklung der Zellstrukturen gezielt steuern.“ Auch dieses Forschungsergebnis wurde nach Beratung durch die InnoWi GmbH zum Patent angemeldet. Die mögliche Anwendung: „Man könnte steuern, wie ein Implantat vom Körper angenommen wird – zumal auch Knochen zu einem großen Teil aus Collagen bestehen.“ Weil beispielsweise Hüftimplantate heute meistens aus Titan und Polymeren gefertigt sind, wäre eine solche Beschichtung durchaus sinnvoll: „Zellen treffen dann auf Proteinfasern und nicht auf Metall oder Kunststoff.“

Ein weiteres Vorhaben der Arbeitsgruppe kombiniert die Expertise zu verschiedenen Fasergerüsten mit keramischen Biomaterialien. Die Postdoktorandin Dr. Jana Markhoff untersucht im Graduiertenkolleg MIMENIMA (Micro-, meso- and macroporous nonmetallic Materials) des Fachbereichs Produktionstechnik, wie die Nanofasergerüste als Beschichtungen für nanoporöse Keramiken genutzt werden können. Das Ziel ist, daraus neue Werkstoffkombinationen als Biomaterialien zu entwickeln.

Arbeit mit „magnetischen Fasern“

Damit nicht genug: Dorothea Brüggemann und ihr Team arbeiten auch mit Chitosan, einem Material, das in ähnlicher Form in Panzern von Insekten, Spinnen und Krebstieren vorkommt. „Chitosan kann man als fertiges Pulver kaufen. Wir machen daraus Fasern, die wir in Kooperation mit PD Dr. Michael Maas aus dem Fachgebiet Advanced Ceramics mit magnetischen Nanopartikeln versetzen.“ Diese „magnetischen Fasern“ lassen sich später im Körper vielleicht sogar bewegen. Die Arbeit der Forschungsgruppe geht hier in Richtung der gezielten Faserorientierung. „So könnte die Richtung des Zellwachstums mit magnetischen Fasern künftig vielleicht von außen gesteuert werden“, sagt die Emmy Noether-Preisträgerin.

All das ist aber noch Zukunftsmusik. Bis Forschungsergebnisse in realen Anwendungen auftauchen, hat die Arbeitsgruppe von Dorothea Brüggemann noch sehr viel Arbeit vor sich – „zumal wir uns in Richtung medizinischer Anwendungen bewegen, ein extrem schwieriger Bereich“, so die Leiterin. Zunächst gelte es, die Grundlagen weiter auszubauen: „Als nächstes werden wir testen, wie Zellkulturen auf unsere Netzwerke reagieren und wie sie unter verschiedenen Bedingungen wachsen. Um die mechanische Stabilität unserer neuen Gerüste zu untersuchen, kooperieren wir auch mit dem Bionik-Innovations-Centrum B-I-C der Hochschule Bremen.“ Kleine Schritte statt großer Sprünge – so funktioniert Wissenschaft.

Radio Bremen hat in der Sendung „buten un binnen“ über die Forschungen von Professorin Dorothea Brüggemann berichtet:

www.youtube.com/watch?v=ineus31m8jo

Die Emmy-Noether-Förderung

Die Forschungsgruppe für Nano-Bio-Materialien von Dorothea Brüggemann wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Emmy-Noether-Programms mit mehr als 1,6 Millionen Euro finanziert. Das Programm soll besonders aussichtsreichen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit geben, sich durch die Leitung einer Nachwuchsgruppe innerhalb von sechs Jahren für eine Hochschulprofessur zu qualifizieren. Voraussetzung für eine Förderung ist unter anderem die Skizzierung eines exzellenten Forschungsprojektes. Namensgeberin des Programms ist die Mathematikerin Emmy Noether (1882 – 1935).

Das Portrait

Timo Wunsch hat die Vorzüge des forschenden Studierens an der Universität Bremen kennengelernt.
Foto: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen

„Ich möchte weiter im Bereich Wund­ heilung forschen“ Der 26-jährige Timo Wunsch hat seinen Master in der Arbeitsgruppe Brüggemann gemacht.

„Produktionstechnik – Maschinenbau & Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Materialwissenschaften“ – dieses Masterstudium hat Timo Wunsch an der Universität Bremen absolviert. Der 26-Jährige, der zuvor an der Hochschule Bremen seinen Bachelor in Bionik gemacht hatte, arbeitete für seine Masterarbeit intensiv in der Arbeitsgruppe von Professorin Dorothea Brüggemann mit. „Bei der Herstellung von Fasernetzwerken des Blutproteins Fibrinogen habe ich eine mechanische Analyse größerer Proben durchgeführt. Das heißt, ich habe die Widerstandsfähigkeit des Materials ermittelt und seine Eignung für die Wundheilung untersucht.“ Im Spätsommer 2019 hatte er seinen Abschluss in der Tasche. Nun wartet Timo Wunsch auf die Möglichkeit, bei Dorothea Brüggemann auch zu promovieren. „Ob die Fördermittel dafür eingeworben werden, wird sich Anfang 2020 entscheiden. Die Zeit bis dahin nutze ich unter anderem, um mir einen Traum zu erfüllen: Ich möchte den 800 km langen Jacobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich bis Santiago de Compostela in Spanien wandern.“

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