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Gedichte neu denken

Offener Lehransatz: Das Projekt „Gedichtalternativen für Deutschland“ an der Uni Bremen entwickelt sich, während es läuft.

Lehre & Studium

Ein Gedicht muss sich reimen. Es sollte einen klar erkennbaren Rhythmus betonter und unbetonter Silben haben. Diese Regeln werden noch heute häufig in der Schule vermittelt. Aber muss das so sein? Im Projekt „Gedichtalternativen für Deutschland“ an der Universität Bremen gehen Studierende, Lehrende, Schüler:innen und interessierte Bremer:innen einen anderen Weg. Mit ihrem Ansatz haben sie bei der Ausschreibung „Eine Uni - ein Buch“ überzeugt.

Im gerade zu Ende gehenden Wintersemester und dem kommenden Sommersemester werden die „Gedichtalternativen“ an der Universität und in der Stadt Bremen sichtbar. Dabei stehen zwei Dinge im Fokus: Eine Lehrveranstaltung im Mastermodul „Fachdidaktik Bewertungs- und Reflexionskompetenzen“ des Fachbereichs 10 Sprach- und Literaturwissenschaften sowie eine Ringvorlesung für den dortigen General Studies Bereich. Hinzu kommt ein Reader, der voraussichtlich im Herbst 2023 erscheinen soll und die wichtigsten Erkenntnisse der Lehrveranstaltung festhalten wird.

Der Weg zur konkreten Umsetzung des Projekts musste sich zunächst noch finden. Denn wie so häufig, wenn man etwas Neues probiert, gab es auch am Anfang des Projekts im Spätsommer 2022 vor allem Fragen. Was genau soll in der Lehrveranstaltung passieren? Wie können sich die Studierenden einerseits, wie die interessierten Bremer:innen andererseits sinnvoll einbringen? Welche Art von Publikation soll am Ende dabei herauskommen? Und – ganz grundsätzlich: Was verstehen wir überhaupt unter Gedichtalternativen?

Offener Ansatz bringt neuen Zugang

„Wie sich gezeigt hat, sehr unterschiedliche Dinge“, erzählt Lena Otto. „Unsere Dozierenden dachten bei Gedichtalternativen vor allem an unbekannte Gedichte, die es verdient hätten, im Unterricht gelesen zu werden.“ Gemeinsam mit der gleichaltrigen Masterstudentin Megan Dwinger wirkt die 24-Jährige als studentische Hilfskraft an der Umsetzung des Projekts mit. Lena selbst kamen bei dem Begriff eher alternative Gedichtformen in den Sinn wie beispielsweise Songs oder Poetry Slams. Für Megan war dagegen klar: Gemeint ist ein Ansatz, Gedichte den Schüler:innen auf alternative Art und Weise nahezubringen.

Blick ins Überseemuseum Bremen. Im Hintergrund sind Ausstellungsstücke zu sehen. Im Vordergrund sitzen etwa 20 Menschen auf Stühlen und hören einer Person zu, die vor einer Leinwand steht und spricht.
Im Überseemuseum bekamen die Teilnehmenden die Möglichkeit, im Herzen von Bremen durch die Welt zu reisen…und zwar durch Gedichte. Gemeinsam mit den Referent:innen warfen sie zudem einen kritischen Blick auf die Kolonialzeit und die Macht der Sprache.
© Megan Dwinger/Universität Bremen

Und was sind Gedichtalternativen nun? „Wir haben uns auf ein sehr offenes Gedichts-Verständnis geeinigt“, sagt Megan. Ein Ansatz, der sich auszuzahlen scheint. Seit dem Start des Projekts im Oktober sind die mehr als 25 Teilnehmenden unter anderem in einen Liedtext von Taylor Swift eingetaucht, haben sich über ihre Emotionen zu einem Gedicht über den chilenischen Bürgerkrieg ausgetauscht und Rassismus-Erfahrungen einer schwarzen Lyrikerin aus Costa Rica analysiert. Aber auch Klassiker haben ihren Platz: Zum Ende der Vorlesungszeit wird Schillers „Glocke“ thematisiert. Die Auswahl kommt von den Teilnehmenden selbst. Jede:r kann Texte ins Seminar einbringen, egal ob Studierende:r, Uni-Mitarbeitender oder Teilnehmende:r aus der Stadtgesellschaft.

„Dieser offene Charakter gefällt mir sehr gut“, sagt Megan. „Ich rezipiere die Texte nun bewusster. Ehrlich gesagt habe ich früher bei Gedichten nie etwas gefühlt, das ist nun ganz anders.“

Lena findet es spannend, dass sich die Lehrveranstaltung erst entwickelt, während sie schon läuft: „Es geht recht locker im Seminar zu und es ist sehr gewinnbringend“, findet die Studentin. Früher habe sie sich kaum vorstellen können, wie Lehrkräfte jugendliche Schüler:innen für diese Textformen begeistern können. „Jetzt finde ich, dass diese Texte ein sehr spannender Unterrichtsinhalt sein können“. Sie hat den Song „All Too Well 10 Minute Version“ von Taylor Swift eingebracht. „Ich wusste schon, dass da ganz schön was an Emotionen drinsteckt. Aber dass wir im Seminar so viel herausarbeiten konnten, hat mich auch überrascht“, berichtet die Studentin.

Erfolgreich bei „Eine Uni - ein Buch“

Die wissenschaftliche Leitung des Projekts liegt bei Professorin Sabine Doff (Fremdsprachendidaktik Englisch) sowie dem Literaturwissenschaftler Dr. Uwe Spörl, beide vom Fachbereich 10. Sie haben das Projekt entwickelt und damit beim Programm „Eine Uni - ein Buch“ im Sommer 2022 überzeugen konnten. Auf diese Weise sicherten sie sich eine Projekt-Förderung in Höhe von 10.000 Euro. Zudem ist die Stiftung der Universität Bremen mit einer Ko-Finanzierung an dem Projekt beteiligt. Hinter der Ausschreibung „Eine Uni - ein Buch“ stehen der Stifterverband und die Klaus Tschira Stiftung in Kooperation mit dem ZEIT-Verlag. Ausgezeichnet werden die zehn besten Ideen und Aktionen für eine gelebte Campuskultur bundesweit.

Bewerbungsvideo des Projekts “Gedichtalternativen für Deutschland” bei der Ausschreibung “Eine Uni - ein Buch”.
© Universität Bremen

Reader mit Tipps für Lehrkräfte

Die Lehrveranstaltung ist nun fast vorbei. Als nächster Schritt steht das Erstellen eines Readers an. „Wie der Reader genau aussehen wird, ist noch offen“, erläutert Megan. Die Inhalte hängen eng mit der Lehrveranstaltung zusammen, deren Inhalte sich ja erst nach und nach herausschälen. Da komme noch einige Arbeit auf sie und Lena zu. Denn die studentischen Hilfskräfte beschäftigen sich unter anderem mit Rechtefreigaben für die urheberrechtlich geschützten Werke, die möglicherweise abgedruckt werden sollen. „Was wir davon wirklich nutzen können, wird sich in den kommenden Monaten zeigen“, sagt die Studentin. Eins stehe indes schon fest: Der Reader richtet sich in erster Linie an Lehrkräfte in Schulen. „Er soll ihnen unter anderem helfen, das Thema ‚Gedicht‘ im Unterricht alternativ anzugehen“, sagt Megan.

Eine weitere Besonderheit des Projekts ist die Diversität der Teilnehmenden, die die Lehrveranstaltung und den Reader mit ihren Erfahrungen und Sichtweisen bereichern. Regelmäßig wählen sich interessierte Bremer:innen in das Online-Seminar ein. Sie kommen aus ganz verschiedenen Bereichen des Stadtlebens. Beispielsweise sind Vertreter:innen des Überseemuseums, des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses und der Gruppe für Gestaltung involviert, ebenso wie Schauspielende der Bremer Shakespeare Company. Lehrkräfte und Schüler:innen des Hermann-Böse-Gymnasiums wirken ebenfalls mit. Hinzu kommen Lyriker:innen wie beispielsweise die aus Costa Rica stammende Shirley Campbell Barr. Sie hat ihre Werke in der Veranstaltung präsentiert und diskutiert. Zum Abschluss der Veranstaltung steht der Besuch in einer Druckerei im Bremer Viertel auf dem Programm. Gemeinsam mit den Studierenden arbeiten alle Beteiligten daran, dass ein möglichst umfassender Blick auf Gedichtalternativen gelingt, der letztlich den künftigen Unterricht an Bremens Schulen und darüber hinaus bereichern soll.

Weitere Informationen

Webseite „Eine Uni - ein Buch“

Webseite des Fachbereich 10 Sprach- und Literaturwissenschaften

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