Und dann? Bin ich dabei geblieben
Das Studium ist beendet, der erste Job kann kommen – oder? Im neuen Jahrbuch der Uni Bremen erzählen insgesamt acht Absolventinnen und Absolventen, wie es ihnen nach ihrem Abschluss ergangen ist.
Sarah Ryglewski kam 2002 zum Studium der Politikwissenschaft nach Bremen. Nach dem Ende ihres Studiums 2009 arbeitete sie zunächst als Stadtteilmanagerin. Politisch aktiv ist Ryglewski bereits seit ihrer Jugend – zunächst bei den Jusos, unter anderem als Juso-Landesvorsitzende, dann als stellvertretende SPD-Landesvorsitzende, in der Bremischen Bürgerschaft und seit 2015 im Deutschen Bundestag. Heute ist sie parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium und aktuell die jüngste unter den Staatsministern und Staatssekretären.
Frau Ryglewski, Sie sind gebürtige Kölnerin. Wie sind Sie nach Bremen gekommen?
Meine Motivation nach Bremen zu kommen, war für mich das Studium. Ich gebe zu, ich hätte gerne in Köln Regionalstudien Lateinamerika studiert, habe dort aber keinen Studienplatz bekommen. Politikwissenschaften fand ich auch interessant, in Köln war mir die fachliche Ausrichtung aber zu geisteswissenschaftlich. Das Angebot in Bremen fand ich dagegen wegen des sozial wissenschaftlichen Anteils, also Veranstaltungen im Bereich Wirtschaft und Rechtswissenschaften, attraktiv. Ich habe mir die Stadt angesehen und gedacht, wenn es mir nicht gefällt, kann ich ja immer noch gehen. Ich bin gerne geblieben und Bremen ist mein Zuhause geworden.
Haben sich Ihre Erwartungen an Ihr Studium also erfüllt?
Auf jeden Fall. Das Studium hat mir viel Spaß gemacht, ich konnte mich gut spezialisieren. Die Uni Bremen hat letztendlich sehr gut gepasst: Man kannte jeden, die Professorinnen und Professoren kannten uns auch. Gerade im Hauptstudium war das eine gute Situation. Und auch inhaltlich haben sich meine Erwartungen voll erfüllt.
Sie haben von 2002 bis 2009 in Bremen studiert. Wie politisch war Ihr Studium? Und wie politisch waren Sie selbst in Ihrer Studienzeit?
Die Themen, die wir im Studium diskutiert haben, waren auf der Höhe der Zeit. Wir haben uns mit Fragestellungen beschäftigt wie: Was bedeutet Ungleichheit? Wie ist sie messbar? Wissenschaftlich fundiert, aber immer mit aktuellen Bezügen. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich hätte an keiner Universität studieren wollen, die nur im akademischen Elfenbeinturm diskutiert. Ich war nie in der Hochschulpolitik aktiv. Ich finde es auch gut und wichtig, dass Studierende ihr universitäres Umfeld mitgestalten, und hatte immer großen Respekt vor den Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sich im Studierendenrat (SR) und im AStA engagiert haben, aber mein Fokus lag immer stärker auf der Politik außerhalb der Uni. Schon bevor ich nach Bremen gekommen bin, war ich SPD-Mitglied und habe mich besonders bei den Jusos engagiert.
Welche Themen wurden zu der Zeit bei den Bremer Jusos diskutiert?
Viele Themen, über die wir damals diskutiert haben, sind auch heute noch aktuell. Wie die Frage der Chancengleichheit. Wie muss ein Bildungssystem aussehen, das jedem ermöglicht, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Ich war zum Beispiel die Erste in meiner Familie, die studiert hat. Das war und ist leider selbst an einer jüngeren Uni wie Bremen, die dazu noch einen linken Ruf hatte, eher Ausnahme als Regel. Das hat uns Jusos ziemlich stark beschäftigt. Aber es gab natürlich auch Themen, bei denen sich ganz schön was getan hat. Wie beim Mindestlohn. Das war ein Bohren sehr dicker Bretter, bis die gesellschaftlichen Mehrheiten dafür da waren. Selbst die Gewerk schaften haben es sehr kritisch gesehen. Heute ist der Mindestlohn etabliert und die Unkenrufe haben sich nicht bewahrheitet.
Gibt es einen Zeitpunkt in Ihrem Studium, der Ihnen als besonders richtungsweisend oder inspirierend in Erinnerung geblieben ist?
Das war ehrlich gesagt schon ziemlich zum Anfang. Ich dachte, ich interessiere mich vor allem für Außenpolitik. Das war mir aber zu technisch und zu sehr an der Oberfläche. Ich habe mich viel lieber mit Politikfeldanalyse beschäftigt und mich vor allem auf Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik konzentriert. Ich habe festgestellt, dass ich in diesem Kontext sogar Zahlen und Statistik spannend finde. Ich war in Mathe nicht die beste Schülerin und habe im Studium gemerkt, mit dem richtigen Ansatz und Leuten, die einem etwas vernünftig vermitteln, findet man den Zugang.
Wie hat sich der Übergang vom Studium in den Beruf gestaltet? Und wann wurde klar, dass Sie Berufspolitikerin werden würden – und wollen?
Meine Vorstellung war eigentlich, dass ich nach dem Studium in den Bereich Politikberatung gehe, vielleicht in einer Gewerkschaft arbeite, für einen großen Verband. Auch mit Journalismus habe ich geliebäugelt. Als Nebenfach hatte ich Geografie und ich habe nach dem Studium als Stadtteilmanagerin für das kommunale Quartierprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ (WiN) gearbeitet. Das hat mir gefallen, weil es so vielfältig war – die Kommunikation mit politischen Gremien, gleichzeitig hatte es viel mit Sozialraumgestaltung zu tun und auch eine Sozialarbeitskomponente. Nebenbei habe ich mich immer ehrenamtlich politisch engagiert, als Landesvorsitzende der Jusos und stellvertretende Landesvorsitzende der SPD. Vor der Bürgerschaftswahl 2011 bin ich dann von der SPD gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, für die Bürgerschaft zu kandidieren. Diesen Schritt habe ich mir genau überlegt: Ich stand am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, und es war klar, dass meine Arbeitszeiten mit den Zeiten kollidieren, zu denen die Bürgerschaft tagt, und ich mich in jedem Fall beruflich verändern müsste. Ausschlaggebend war für mich aber, dass ich immer der Meinung war, dass die Perspektive junger Menschen auch in die Parlamente gehört, und ich die Chance nutzen wollte, diese Perspektive einzubringen. Vier Jahre lang war ich Bürgerschaftsabgeordnete, das war für mich der Einstieg in die Berufspolitik. Als Carsten Sieling nach der Wahl 2015 in Bremen Bürgermeister geworden ist, bin ich nachgerückt und so in den Bundestag gekommen. Bei der Bundestagswahl 2017 habe ich dann das Direktmandat für den Wahlkreis 54 – Bremen I gewonnen.
Inwiefern hat Ihre Studienzeit Sie geprägt?
Ich bin mit 19 Jahren von zu Hause ausgezogen und während meiner Studienzeit erwachsen geworden. Ich konnte auch durch mein Studium ziemlich gut herausfinden, was mich wirklich interessiert und worin ich gut bin. Während meines Studiums war ich eine Zeit sehr krank. Da habe ich gelernt, mich zu fokussieren, zu entscheiden, was mir wichtig ist, was ich verfolgen möchte, auch wenn es gerade schwierig ist, und auch, was ich nicht möchte. Das hat mich geprägt.
“Ich habe mich immer für Menschen interessiert: Wie organisieren Gesellschaften das Zusammenleben und warum?”
Was begeistert Sie an Ihrem Beruf, Politikerin zu sein?
Ich habe mich immer für Menschen interessiert: Wie organisieren Gesellschaften das Zusammenleben und warum? Kann man Dinge vielleicht auch besser regeln? Darum habe ich Politikwissenschaft studiert. Ich fand es deshalb sehr spannend, die Perspektive zu wechseln – von der analytischen Aufsicht zum Selbermachen. Toll ist, dass man wirklich etwas für die Menschen tun und verändern kann, wenn man Ausdauer hat und am Ball bleibt. Wie beim Mindestlohn. Damit habe ich als junge Frau angefangen und es ist gelungen, das durchzusetzen. Wenn man dann sieht, dass es das Leben der Menschen konkret verbessert, dann ist das ein gutes Gefühl. Und das ist nach wie vor mein Leitmotiv: Als direkt gewählte Abgeordnete für die Menschen in Bremen etwas zu erreichen und ihr Leben zu verbessern.
Sie haben gesagt, manche Themen bleiben. Ganz offen gefragt: An welchen Stellen braucht es aus Ihrer Sicht Umbrüche?
Es ist nicht so, dass es immer den ganz großen Umbruch braucht. Willy Brandt hat mal gesagt, jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten. Und ich glaube, es ist die große Herausforderung, immer wieder zu prüfen: Passen die Sachen, die in der Vergangenheit funktioniert haben, heute noch? Oder brauchen wir etwas anderes? Aber die Tatsache, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter öffnet, empfinde ich als großes Problem mit enormer Sprengkraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Hierfür gibt es nicht den einen Ansatz, aber ein wichtiger Aspekt ist auch hier das Thema Chancengleichheit.
Sie verbringen viel Zeit in Berlin. Wie oft sind Sie noch in Bremen?
Ich arbeite in Berlin, aber ich lebe in Bremen. Wie alle Bundestagsabgeordneten habe auch ich meinen Ankerpunkt in meinem Wahlkreis. Tatsächlich verbringe ich sogar ein bisschen mehr Zeit in Bremen als in Berlin.
Und wie unterscheidet sich der Blick über die Weser vom Blick über die Spree?
Die Spree ist im Vergleich zur Weser eher ein Flüsschen.
Sarah Ryglewski beendete ihr Diplomstudium in Politikwissenschaften mit dem Nebenfach Geografie 2009 an der Uni Bremen.