Auf einen Espresso mit… Dr. Andreas Bovenschulte
Der Alumni-Verein hat Bremens Bürgermeister zu seiner Zeit an der Universität Bremen befragt
Dr. Andreas Bovenschulte, Jahrgang 1965, hat von 1987 bis 1994 an der Universität Bremen Jura studiert. 1995 bis 1998 schloss sich eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an. Er promovierte in der Zeit über Kommunalrecht. Danach kamen berufliche Stationen als Referendar, bei Bremen Online Services, als Bürgermeister von Weyhe - und jetzt ist er seit einem Jahr Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen (Ministerpräsident). Was unser prominenter Alumnus heute über die Uni denkt, könnt Ihr hier nachlesen. Das Interview führte Christoph Sodemann.
Warum sind Sie zum Studium an die Uni Bremen gekommen?
Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich wollte Jura studieren, das stand für mich fest. Aber wo, das regelte damals die ZVS, die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze. Erst bekam ich einen Studienplatz in Augsburg zugewiesen. Zwei Jahre später, nach dem Zivildienst und einem Jahr in London, sollte ich dann nach Bayreuth. Aber ich hatte Glück, konnte mit einer Kommilitonin tauschen und kam nach Bremen. Da war ich hartnäckig. Weil mir die Stadt gut gefallen hat und weil ich hier schon ein paar Leute kannte. Jusos vor allem, bei denen ich damals aktiv war. Ich bin wegen und nicht trotz des Rufs der Uni als rote Kaderschmiede nach Bremen gekommen. Das gesellschaftspolitische Engagement hat mich angezogen.
Was war die prägendste Erfahrung an der Uni?
Ich habe gern studiert, das vorweg. Aber eine Zeit lang war ich in erster Linie hochschulpolitischer Aktivist, ein knappes Jahr sogar hauptamtlicher Asta-Vorsitzender. Da hat mich die Juristerei eher nebenbei interessiert. Eine politische Aktion ist ja auch in Bild und Ton gut dokumentiert worden. Vor gut 30 Jahren hatten wir versucht, die Verleihung der Ehrendoktorwürde an den damaligen Mercedes-Manager Dr. Werner Niefer zu sprengen, im Kaminsaal des Rathauses. Bis zu diesem Zeitpunkt war diese Ehre ausschließlich ausgewiesenen Kämpfern für Freiheit und Menschenrechte zu Teil geworden, beispielsweise Alfred Sohn-Rethel. Dass ein Konzernmanager ausgezeichnet werden sollte - für uns war das eine Provokation. Noch dazu, weil der Konzern sich als Rüstungskonzern profilieren wollte. Das war in unseren Augen ein klarer Verstoß gegen den Gründungskonsens der Uni. Aber zur Wahrheit gehört auch: Irgendwann habe ich mich dann tatsächlich im Wesentlichen auf das Studium konzentriert.
Welche Hochschullehrer waren wichtig für Sie?
Der prägendste war mein späterer Doktorvater, Dian Schefold. Schon im ersten Semester hatte ich eine Veranstaltung mit dem programmatischen Titel „Grundlagen politischer Herrschaft“ bei ihm. Auch Alfred Rinken, der ehemalige Präsident des Staatsgerichtshofs, hat mich stark beeinflusst. Er war unter anderem Zweitkorrektor meiner Dissertation. Vom jüngst verstorbenen Gerhard Stuby und von Robert Franke habe ich ebenfalls viel gelernt. Im Zivilrecht erinnere ich mich vor allem an Peter Derleder, der leider auch nicht mehr lebt, und an Dieter Hart. Die Professoren haben meine ungestüme politische Haltung am Ende dann doch noch mit rechtlichem Wissen unterlegt.
Was hat dieses Studium für Ihr späteres Leben bedeutet?
Jura war für mich ursprünglich eine reine Sozialtechnik - wenn es nicht gerade um Rechtssoziologie oder Rechtsgeschichte ging. Das lag vielleicht auch an jugendlicher Hochnäsigkeit. Ich habe mir damals gesagt: Du bist politikwissenschaftlich interessiert. Aber das studierst du nicht, das machst du ohnehin viele Stunden am Tag. Lerne lieber ein Handwerk wie die Juristerei, damit kannst Du dann später deine Brötchen verdienen.
Hilft die Juristerei heute noch im Job?
Ja. Absolut. Ich war zwar nie Richter oder Rechtsanwalt, aber in der öffentlichen Verwaltung viele Jahre lang fachjuristisch tätig. Ich habe über Kommunalrecht promoviert. Das hat mir zum Beispiel in der Gemeinde Weyhe, in der ich mehr als zwölf Jahre lang gearbeitet habe, sehr geholfen. Ich war dort erst allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters, dann selber Bürgermeister. Da ist es gut, wenn man Gesetze nicht nur lesen kann, sondern auch juristische Strukturen versteht. Für einen Bremer Bürgermeister gilt das natürlich genauso.
Wollten sie schon immer Bürgermeister werden?
Ganz und gar nicht. Als ich Mitte 30 war hatte ich ernsthafte Zweifel, ob die Politik das richtige für mich ist. Geh jetzt mal den ordentlichen Weg in die Verwaltung, dachte ich mir. Und habe ein paar Jahre bei Bremen Online Services, einem Tochterunternehmen des Landes, gearbeitet. Das war nicht unpolitisch, aber politikferner. Dass ich 2010 ins Spiel zurückgekommen bin, als SPD-Landesvorsitzender, das war alles andere als geplant. Das war eher ein großer Zufall. Ich war in den 90er Jahren zwar mal SPD-Ortsvereinsvorsitzender, aber nie im Unterbezirksvorstand, nie im Landesvorstand, nie in der Bürgerschaft. Dass ich dann plötzlich quasi aus dem Nichts kommend als Landesvorsitzender kandidiert habe, das hat sich in einer etwas unklaren politischen Gemengelage damals so ergeben.
Jetzt, nach einem Jahr im Amt als Bürgermeister: was nervt am meisten in diesem Job?
Wenn man in einer kleineren Kommune oder in einem kleineren Unternehmen tätig ist, kann man viele eigene Projekte unmittelbar umsetzen. Auch dort muss man natürlich mit dem Gemeinderat oder dem Aufsichtsrat klarkommen. Aber man kann seine Vorhaben in einer vertretbaren Zeit auf den Weg bringen und sagen: so machen wir das jetzt! In einem größeren Gemeinwesen wie Bremen ist der Weg bis zur Realisierung deutlich länger und komplizierter. Das ist schon etwas, woran ich mich erst gewöhnen musste. Und ganz ehrlich: so ganz möchte ich das immer noch nicht akzeptieren. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie haben wir ja gezeigt, dass wir schnell und unkompliziert handeln können. Und ich würde mir wünschen, dass wir uns diese Fähigkeit bewahren. Ein bisschen mehr Wumms und ein bisschen mehr Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Projekten – das würde uns guttun.
Was empfinden Sie an Ihrer Arbeit positiv?
Ich empfinde es als eine ganz große Ehre und Freude Bremer Bürgermeister zu sein. Ich nehme das richtig sinnlich wahr, wenn ich abends manchmal als einer der letzten im Büro bin und dann die Atmosphäre unseres wunderbaren Rathauses auf mich wirken lasse. Da spüre ich die lange Geschichte unserer Hansestadt und denke: Das hättest Du Dir nie träumen lassen, hier einmal Bürgermeister und Präsident des Senats zu sein. Es ist natürlich auch viel Demut dabei, sowohl angesichts der Verantwortung, die mit dem Amt verbunden ist, als auch angesichts der großen Fußstapfen, die viele meiner Vorgänger hinterlassen haben.
Haben Sie ein Vorbild in der Politik oder im Leben?
Ein großes Vorbild sind ganz klar meine Eltern, von denen ich viel für’s Leben gelernt habe. Aber es gibt natürlich auch Politiker, zu denen ich voller Hochachtung aufschaue. Wie Hans Koschnick gehandelt hat in der Krise der AG Weser, politisch und emotional – das muss man erstmal hinkriegen und aushalten können. Und wie Willy Brandt seinen Weg unbeirrt gegangen ist, obwohl er vom politischen Gegner immer wieder massiv diffamiert worden ist - das nötigt mir Bewunderung ab. Ein Vorbild ist für mich auch mein akademischer Lehrer, Dian Schefold, der mein staats- und verfassungsrechtliches Denken wesentlich mit beeinflusst hat.
Nächstes Jahr wird die Uni Bremen 50 Jahre – was verbinden Sie damit?
Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte! Als junger Student habe ich noch vehement gegen die damals betriebene Umsteuerung der Uni gekämpft. Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften sollten ja gleichberechtigt neben den Geisteswissenschaften stehen, um das aus der Gründungsphase resultierende Übergewicht der Lehrerausbildung zu relativieren. Und, um die Uni politisch stärker in den Mainstream zu rücken, um ihr im akademischen Betrieb mehr Anerkennung zu verschaffen. Ich muss heute sagen: Man gut. Man sieht das an der Akzeptanz in der Fachwelt, an den Studierendenzahlen, an den eigeworbenen Drittmitteln und an vielen anderen Indikatoren. Zumal sich die Uni ja trotz alledem viel von ihrem ursprünglichen kritischen Potential bewahrt hat.
Manchmal frage ich mich: Würde es Bremen als selbstständiges Bundesland überhaupt noch geben, wenn die Universität und auch die anderen Hochschulen im Land nicht so eine Erfolgsgeschichte wären? Die Hochschulen sind Anziehungspunkte für junge Menschen, mit vielen tausend Arbeitsplätzen in Forschung und Wissenschaft. Wenn wir die nicht hätten, wäre die Sicherung der Eigenständigkeit unseres Landes eine viel größere Herausforderung als jetzt. Dass die SPD die Uni-Gründung vor 50 Jahren maßgeblich durchgeboxt hat, das macht mich stolz. Manchmal frage ich mich, warum diese traditionsreiche Stadt nicht schon im 18. oder im 19. Jahrhundert eine Universität gegründet hat. Die Kaufmannschaft hielt davon nichts, das ist bekannt, die wollten keine Unruhe, keine aufrührerischen Gesellen in Bremen. Aber das war ein schweres historisches Versäumnis. Die Gründung Anfang der 1970er Jahre war deshalb überfällig, auch wenn es eine immense finanzielle Belastung für ein kleines Land ist, eine relativ große Wissenschafts- und Forschungslandschaft zu unterhalten. Aber dazu gibt es keine Alternative.