Auf Mars-Mission: Von Cyanobakterien zu Biokunststoff
Selbstversorgung auf dem Mars – Das Überleben beginnt mit Cyanobakterien
Die Wissenschaftler Dr. Cyprien Verseux und Professor Sven Kerzenmacher von der Universität Bremen arbeiten an Lösungen zur Selbstversorgung auf dem Mars – und wie diese ein nachhaltiges Leben auf der Erde inspirieren könnten.
Auf der Erde atmen wir in der Regel nahezu automatisch – erst in Momenten körperlicher Anstrengung oder in überfüllten Hörsälen wird uns die Bedeutung der Luft für uns klar. Doch auf dem Mars, wo keine Atmosphäre das natürliche Atmen ermöglicht, wird die Produktion von Sauerstoff zu einer zentralen Herausforderung. Nicht nur Sauerstoff, sondern auch viele andere lebensnotwendige Ressourcen werden auf dem Mars zur Mangelware. Die Idee, alles Erforderliche für das langfristige Überleben von der Erde aus mitzubringen, mag zunächst reizvoll klingen – wie das Packen eines Rucksacks für einen Ausflug. Expert:innen winken jedoch ab: Eine solche Unternehmung ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern für Missionen, die über ein paar Jahre hinausgehen sollen, schlicht unmöglich. Daher ist es entscheidend, Wege zu finden, um aus den natürlich vorhandenen Ressourcen auf dem Mars möglichst viel vor Ort zu produzieren. Dieser Herausforderung nehmen sich die Bremer Wissenschaftler Professor Sven Kerzenmacher vom Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien (UFT) und Dr. Cyprien Verseux an, der zusätzlich am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) im Projekt „Sustainable bioproduction on Mars“ im Rahmen der Initiative „Humans on Mars” tätig ist.
Das Überleben beginnt mit Cyanobakterien
Die Grundlage der Forschung von Cyprien Verseux bildet die Verwendung von Cyanobakterien, einer der ältesten Lebensformen unserer Erde. Diese Organismen sind in der Lage, sich von Gasen aus der Marsatmosphäre und dem Regolith, der obersten lockeren Schicht auf dem Mars, zu ernähren und Sauerstoff zu produzieren. Das Regolith enthält Elemente wie Kalzium, Magnesium und Eisen, die das Wachstum der Bakterien anregen. Allerdings müssen diese Nährstoffe zunächst aus dem Marsboden gewonnen werden, was nicht ohne Risiken ist. Das liegt daran, dass das Regolith giftige Verbindungen, insbesondere so genannte Perchlorate, enthält. Somit ist der Marsboden sowohl eine Quelle von Nährstoffen als auch von toxischen Verbindungen und muss mit entsprechender Umsicht behandelt werden. Cyprien Verseux konnte im Laboratory of Applied Space Microbiology (LASM) im ZARM bereits nachweisen, dass das Konzept der Sauerstoffgewinnung mit Hilfe von Cyanobakterien unter Verwendung von Marsressourcen funktionieren kann und untersucht dort, wie die Bakterien entwickelt werden können, damit sie die Ressourcen des Mars optimal aufnehmen.
Eine weitere Komplexität im Umgang mit Cyanobakterien auf dem Mars besteht darin, dass sie die in der Marsatmosphäre vorhandenen Gase als Kohlenstoff- und Stickstoffquelle nutzen können, aber diese Atmosphäre – bis zu einem gewissen Grad – aufbereitet werden müsste. Verseuxs Team prüft in diesem Zusammenhang, wie Veränderungen der atmosphärischen Parameter sich auf das Wachstum der Bakterien auswirken und welcher Kompromiss zwischen geringstmöglicher Aufbereitung der Atmosphäre und effizientem Bakterienwachstum gefunden werden kann. Dies ist entscheidend, da die Aufbereitung dieser Gase mit einem Verbrauch von Ressourcen einhergeht, die bekanntlich auf dem Mars knapp sind. Verseux betont die Relevanz der umfassenden Untersuchung, um nicht nur die Machbarkeit, sondern auch die Effizienz und die Kosten abzuschätzen. „Zu wissen, dass es funktionieren kann, reicht nicht aus. Man muss wissen, wie gut es funktioniert und wie kosteneffizient das System ist ”, erklärt Verseux.
Vom Nebenprodukt zum Ressourcenschatz
Der anvisierte Forschungsansatz geht über die reine Sauerstoffproduktion hinaus. Sven Kerzenmacher, Experte für Anwendungsentwicklung und Bioelektrochemische Systeme am IUV, fokussiert sich darauf, auch die Nebenprodukte der Sauerstoffproduktion sinnvoll zu nutzen – nämlich cyabobakterielle Biomasse, die sowohl essentielle Nährstoffe wie Phosphat und Stickstoff als auch Kohlenstoffverbindungen enthält..
Der Wissenschaftler und sein Team vom IUV arbeiten schwerpunktmäßig an der Integration verschiedener Prozesse, die die Umwandlung der Nebenprodukte der Cyanobakterien und des Regoliths in wertvolle Sekundärprodukte wie Biotreibstoff und Biokunststoff ermöglichen. Kerzenmachers Team definiert die Merkmale und Anforderungen dieses Teils des Prozesses und optimiert die Verarbeitung der Biomasse der Cyanobakterien. Dabei behält er die gesamte Perspektive im Blick: „In unserem Fachbereich der Umweltverfahrenstechnik liegt ein besonderer Fokus auf der Analyse integrierter Prozesse. Unsere Forschung geht über die Entwicklung von Materialien und detaillierte Einblicke hinaus – wir möchten das Gesamtbild erfassen und das System ganzheitlich verstehen und gestalten. Diese umfassende Perspektive spiegelt sich auch in der Vielfalt unserer Arbeitsgruppe wider, die Forschende aus den Bereichen Mikrobiologie, Physik, Chemie und Maschinenbau vereint.“ Die Vision Kerzenmachers ist, die Biomasse in einem integrierten Prozess zu nutzen, indem sie beispielsweise in Elektrolysezellen zur Herstellung von Bio-Plastik oder Wasserstoff verwendet wird. Der organische Kohlenstoff wird aus der Mischung entfernt, und das verbleibende Produkt, eine Lösung aus Stickstoff und Phosphat, könnte wiederum als Dünger für Pflanzen in Gewächshäusern auf dem Mars dienen. Dies ist ein weiterer Schritt im Prozess für eine nachhaltige Bioproduktion auf dem Mars. Dieser Teil des Projektes wird im Schwerpunkt durch Dr. Daniel Schubert im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) verfolgt.
Eine Vision für Mars und Erde
Die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen und Instituten bringt Verseux und Kerzenmacher erstmalig zum gemeinsamen Arbeiten zusammen. Diese Interdisziplinarität von “Humans on Mars” schätzt Sven Kerzenmacher besonders. Er sagt: „Cyprien und ich kannten uns vorher, haben uns gegenseitig in den Laboren besucht und gesehen, dass man Überschneidungspunkte hat. Die initiale Entscheidung zusammenzuarbeiten ist dann allerdings im Rahmen der Initiative gekommen. Dadurch ist ‚Humans on Mars‘ für mich eine wunderbare Möglichkeit, mit ganz vielen Kolleg:innen zusammenzuarbeiten oder erst einmal zusammenzukommen und sich auszutauschen.“
Dieser Austausch bringt Forschende zusammen, um nicht nur Teilaspekte von Bioproduktionsprozessen zu erforschen, sondern gesamtheitlich die Schaffung eines geschlossenen Kreislaufs zu entwickeln, der den Mars als autonome Ressourcenquelle nutzt. Das Ziel der gemeinsamen Forschung ist, das Beste aus einer sehr begrenzten Anzahl von Ressourcen zu machen. In diesem Ansatz liegt das Potenzial, das durch die Erforschung des Weltraums nicht nur die Grenzen des Menschen erweitert, sondern auch Lösungen für nachhaltiges Leben auf der Erde inspiriert und sich damit den Fragen unserer Zeit widmet.