Aufklärer der Klimakrise: Bremen im Weltklimarat
Er dokumentiert das Wissen der Welt zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme und Artenvielfalt, auf Mensch und Natur: Im Februar verabschiedet die Arbeitsgruppe II des Weltklimarates ihren Sachstandsbericht.
Ko-Vorsitzender des einflussreichen Gremiums ist ein Bremer: Professor Dr. Hans-Otto Pörtner, Kooperationsprofessor vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Universität Bremen.
Marktstraße 3 im Zentrum von Bremen, ein schmuckloses Bürogebäude unweit von Rathaus, Bürgerschaft und Dom: Unten im Erdgeschoss offeriert eine Kette ihre Kaffeeprodukte. Oben im fünften Stock wird buchstäblich Klimageschichte geschrieben, ganz unaufgeregt. Hier ist die Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe II des Weltklimarates zu Hause. Ein Team von zwölf Mitarbeitenden unter Leitung des Meeresbiologen Hans-Otto Pörtner.
Den Stand der Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen und zu bewerten, der Politik eine wissenschaftsbasierte Grundlage für ihre Entscheidungen zu liefern, ist die Aufgabe des Weltklimarates. 195 Staaten sind im „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) vertreten, so die englischsprachige Bezeichnung der zwischenstaatlichen, unabhängigen Institution, die 1988 von den Vereinten Nationen gegründet worden ist. In Sachstandsberichten tragen drei Arbeitsgruppen regelmäßig das Klima-Wissen der Welt zusammen.
„Weiterdaddeln wie bisher geht nicht. Wir sind Zeitzeugen der existentiellsten Krise des Planeten, der Natur, der Menschheit.“
Im Februar ist es wieder so weit. Dann verabschiedet die Arbeitsgruppe II, deren Ko-Vorsitzender Pörtner ist, ihre Ergebnisse. „Folgen des Klimawandels, Verwundbarkeit und Anpassung“ lautet der Titel ihres Hauptberichts im 6. Berichtszyklus. Mit den Folgen des Klimawandels für Ökosysteme und Artenvielfalt, mit der Verwundbarkeit von Mensch und Natur, mit den Möglichkeiten und Grenzen der Anpassungsfähigkeit der Systeme beschäftigt er sich. Auch enthält der Bericht Prognosen etwa darüber, wie viel Lebensraum der Mensch durch den Klimawandel verliert oder wie die Mortalität durch die globale Erwärmung steigt.
Der Entwurf ist noch vertraulich, aber eine grundlegende Botschaft ist bereits jetzt klar. „Weiterdaddeln wie bisher geht nicht“, sagt Pörtner. „Wir sind Zeitzeugen der existentiellsten Krise des Planeten, der Natur, der Menschheit. Noch haben wir die Hebel in der Hand. Aber wir müssen auch bereit sein, sie zu bewegen. Mit dem Klima können wir keine Verhandlungen führen; Naturgesetze müssen wir respektieren.“
Über einen Zeitraum von drei Jahren hat das Team an der Marktstraße mit Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt kommuniziert, hat sie unterstützt in wissenschaftlichen, organisatorischen, technischen Fragen und das Wissen zusammengefügt. Etwa 280 Hauptautor:innen sind an dem Bericht beteiligt – Biolog:innen, Geolog:innen, Umweltphysiker:innen und viele andere Disziplinen, oft die besten ihrer Zunft. Alle sind wie Pörtner auch ehrenamtlich dabei. Herausgekommen ist ein voraussichtlich gut 2000 Seiten starker Report, unterteilt in 18 Kapitel. Sie befassen sich mit einzelnen Weltregionen, mit besonders gefährdeten Systemen wie den tropischen Regenwäldern oder den Polargebieten, mit der Artenvielfalt, mit Ozeanen, der Waldwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion.
Die gut 30-seitige politische Zusammenfassung des Berichts wird im Februar auf der einwöchigen Vollversammlung des Weltklimarates mit rund 500 Regierungsvertreter:innen diskutiert. „Wir als Ko-Vorsitzende haben die Aufgabe, diesen Prozess zu koordinieren und zu leiten“, sagt Pörtner, der sich die Aufgabe mit der Südafrikanerin Debra Roberts teilt.
Die Ko-Vorsitzenden sind dann weniger als Wissenschaftler:innen gefragt, sondern als Diplomat:innen, als Vermittler:innen – und als Personen mit dem Hammer. Wort für Wort, Zeile für Zeile des Entwurfs werden debattiert. „Sie glauben gar nicht, was da noch an Wünschen kommen kann“, sagt der 66-jährige mit einem leichten Stöhnen. Ist Einigung über eine Formulierung erzielt, lässt er wie bei einer Auktion den Hammer niedersausen. Dann springt die gelbe Schrift für strittige Formulierungen um auf Grün.
Der Bericht ist ein Konsensprodukt, natürlich. Er wird gemeinsam verabschiedet von Wissenschaft und Regierungen, fließt in deren Handeln mit ein. „Wir haben direkten Zugang zu den Regierungen und können Informationen unmittelbar in den Politikprozess einschleusen. Das ist der große Vorteil des Weltklimarats“, sagt Pörtner. Ein Vetorecht habe die Politik nicht. „Die Wissenschaft hat das letzte Wort. Die Wünsche der Regierungen können nie so weit gehen, dass sie wissenschaftlichen Aussagen verändern.“
Pörtner engagiert sich seit Langem für den Weltklimarat. Zunächst als Autor, später als Leitautor für das Kapitel Ozeansysteme. Als er 2015 gefragt wurde, ob er sich als Ko-Vorsitzender zur Wahl stellen wolle, zögerte er nicht lange. Nach Professor Dr. Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist er erst der zweite Deutsche an der Spitze einer Arbeitsgruppe.
Das ist nicht nur eine Auszeichnung für ihn als Wissenschaftler und Person, sondern auch für das AWI sowie insgesamt für den Wissenschaftsstandort Bremen und die U Bremen Research Alliance. Der Biologe kam 1995 ins Bundesland Bremen, übernahm dort die Leitung der Forschungsgruppe für Integrative Ökophysiologie am AWI. Obwohl es an Anfragen aus anderen Wissenschaftsstandorten nicht mangelte, blieb er in Bremen. „Wir haben am AWI über die Jahre Forschungsmöglichkeiten aufgebaut, die sich nicht überall finden“, meint Pörtner.
Ein weiterer Faktor für sein Bleiben ist der enge Austausch der Wissenschaft im Bundesland Bremen. Als Kooperationsprofessor ist Pörtner gleich für zwei Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance tätig: für das AWI und für die Universität Bremen, an der er lehrt und Promovierende betreut. „Gute Wissenschaft geht nur gemeinsam, über die Grenzen der Disziplinen und Institutionen hinweg. Dafür ist die Allianz ein sehr gutes Beispiel.“
Mittelpunkt seiner Forschung sind der Naturraum Ozean und die Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben im Meer. Drei zentrale Faktoren bestimmen die Veränderungen: der Temperaturanstieg, die zunehmende Sauerstoffarmut und die Versauerung durch die steigende Aufnahme von Kohlendioxid. „Tiere sind spezialisiert auf ein begrenztes Temperaturfenster. Der antarktische Fisch stirbt bei drei Grad Celsius den Hitzetod“, sagt er. Eine Folge der Erwärmung ist die Artenwanderung. Die Wechselwirkungen zwischen den Arten ändern sich, neue Ökosysteme entstehen. „Wie funktionieren sie? Das ist eine von vielen Fragen, die ich beantworten möchte.“
„Gute Wissenschaft geht nur gemeinsam, über die Grenzen der Disziplinen und Institutionen hinweg. Dafür ist die Allianz ein sehr gutes Beispiel.“
Im Weltklimarat hat es Pörtner mit Kolleg:innen ganz verschiedener Disziplinen zu tun. Dabei geht es nicht nur um naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Klimakrise, etwa beim Fischfang. „Man muss die interdisziplinären Zusammenhänge sehen und die Scheuklappen seines Fachs überwinden“, beschreibt Pörtner eine Anforderung an seine Arbeit. So hat er im Sommer 2021 gemeinsam mit dem Weltbiodiversitätsrat eine Studie vorgelegt, die den Dreiklang aus Emissionsschutz, nachhaltigem Artenschutz und sozialer Gerechtigkeit erstmals thematisierte. „Dass wir diesen Zusammenhang aufgezeigt und mit Fakten etabliert haben – darauf bin ich stolz.“ Nicht weniger stolz ist er, mitgeholfen zu haben, die Ozeane in den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen zu verankern. „Für die Meeresforschung ist das ein großer Erfolg.“
Für drei Sonderberichte des Weltklimarates im 6. Berichtszyklus trug Pörtner bislang Mitverantwortung, zur globalen Erwärmung um 1,5 Grad, zu Landsystemen sowie zu Ozeanen und der Kryosphäre, den gefrorenen Systemen der Erde. Welche Wirkung auf das Klima er sich von dem Bericht erhofft? „Dass wir es schaffen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wir sind in den zehn entscheidenden Jahren der Klimapolitik. Wenn wir jetzt nicht die Dinge umdrehen, wird uns das Klima möglicherweise davonlaufen.“
In diesem Jahr steht noch ein weiterer Bericht an, der die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen des Weltklimarates zusammenfasst. Im November dann folgt die UN-Klimakonferenz in Ägypten. 2023 endet seine Amtszeit. Doch der Klimawandel schreitet weiter fort, und mit ihm das Berichtswesen. Ist das 1,5 Grad-Ziel noch erreichbar? Pörtner ist verhalten optimistisch. „Ja“, sagt er, die Betonung liege jedoch eindeutig auf „noch“. Und dann folgt das Aber: „Wir müssen bereit sein für eine tiefgreifende Transformation, und zwar jetzt. Was zu tun ist, ist bekannt.“
Webseite zur “Working Group II Impacts, Adaptation and Vulnerability”
Ausgezeichnete Klimamodellierung
Spätestens seit Veröffentlichung des ersten Teils des 6. Sachstandsberichtes des Weltklimarates vom Sommer 2021 kann es keinen Zweifel mehr daran geben: Menschliches Handeln ist verantwortlich für die globale Erwärmung. Als koordinierende Leitautorin am Bericht der Arbeitsgruppe I, die die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels zusammenfasst, ist daran eine Wissenschaftlerin aus Bremen beteiligt gewesen: Professorin Dr. Veronika Eyring. Sie hat den Lehrstuhl für Klimamodellierung an der Universität Bremen inne. Zugleich leitet sie die Abteilung für Erdsystemmodellevaluierung und -analyse am Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Schwerpunktmäßig forscht die Wissenschaftlerin – Anfang 2021 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland – zur Erdsystemmodellierung. Ziel ist ein besseres Verständnis des Erdsystems und des Klimawandels zu erreichen. Webseite des Instituts für Umweltphysik
Der Artikel stammt aus Impact - Dem Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Institute der bundländerfinanzierten außeruniversitären Forschung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der Tiefsee bis ins Weltall“. Das Wissenschafts-Magazin Impact gibt zweimal im Jahr spannende Einblicke in das Wirken der kooperativen Forschung in Bremen.