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Den richtigen Dreh raus

An der Universität Bremen wird gleich dreifach an neuesten 2D-Materialien, atomar-dünnen Schichten eines Kristalls, geforscht.

Forschung

Seit drei Jahren ermöglicht ein magischer Winkel neue 2D-Materialien, die in verblüffender Weise etwas mit Seidenkleidern und Fotografie verbindet. Lasst euch von seltsamen Quanteneffekten und Supraleitung faszinieren und erfahrt, wie an der Universität Bremen gleich dreifach an diesen neuesten 2D-Materialien geforscht wird.

Forschungsergebnisse im Bereich der 2D-Materialien erlauben es, optische und elektronische Eigenschaften von Materialien gezielt an bestimmte Bedürfnisse anzupassen. So kann zum Beispiel Licht in einer ganz bestimmten Farbe ausgesendet werden. Diese speziell designten Materialien kann man dann für winzige LEDs und Mikrolaser nutzen, die direkt auf Chips integriert werden oder in neuartige optische Sensoren eingebaut werden.

Außerdem spielen Erkenntnisse zu den starken Korrelationen zwischen Elektronen eine bedeutende Rolle für die Erforschung von Supraleitung. Dies ist eine besondere Form elektrischer Leitfähigkeit, die es erlaubt Strom völlig verlustfrei zu transportieren. Wie das funktioniert erfahrt ihr später in diesem Artikel.

Neue 2D-Materialien – neue Kooperationen

Bei all den vielversprechenden Eigenschaften der 2D-Materialien ist vielleicht am spannendsten, dass ihre Erforschung Arbeitsgruppen verschiedenster Forschungsrichtungen zusammenbringt. In Bremen zum Beispiel interessieren sich Halbleiteroptikexpertinnen und -experten AG Jahnke, AG Gies für dieselben Materialien wie Fachleute für Supraleitung und starke Korrelation AG Wehling. Unsere Universität ist ganz vorne mit dabei, neue 2D-Materialien zu erforschen Pressemitteilung: Graphenähnliche Materialien: Universität an SPP beteiligt.

Die Voraussetzungen für neue Erkenntnisse sind ideal: Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms waren gleich drei Arbeitsgruppen mit ihren Projektanträgen erfolgreich. Die Bremer Projekte liefern im Wesentlichen die Theorie, auf die dann die jeweiligen experimentell forschenden Partnerinstitute in Münster, Berlin, Regensburg oder München aufbauen. Alle drei Gruppen sind Teil des Graduiertenkollegs „Quantum Mechanical Materials Modelling“, welches zum Erfolg der Projekte beigetragen hat.

Die drei Arbeitsgruppen unserer Universität beschäftigen sich mit komplexen Theorien (Details am Ende des Textes). Im Folgenden steigen wir erstmal ein in die Welt der 2D-Materialien.

Was sind 2D-Materialien?

2D-Materialien sind atomar-dünne Schichten eines Kristalls, die als Einzellagen vollkommen andere physikalische Eigenschaften aufweisen als in einer dreidimensionalen Struktur. Als wäre dies nicht bemerkenswert genug, entdeckten Forschende 2018 bizarre Effekte, als sie zwei dieser Schichten aufeinanderlegten und um einen kleinen Winkel von etwa 1,1 Grad verdrehten. Die verdrehten Schichten überlagerten sich zu einem sogenannten Moirémuster.

Überlagern sich zwei regelmäßige Gitter, welche um wenige Grad verdreht sind, können neue, sogenannte Moirémuster entstehen.
© Tobias de Jong

Moirémuster entstehen, wenn sich mehrere regelmäßige Raster überlagern und so neue Strukturen bilden. Neben den beiden Ursprungsmustern beeinflusst auch der Winkel beider Lagen zueinander diesen optischen Effekt.

Moirémuster können ungewollt beim Drucken, Fernsehen oder Fotografieren auftreten – beispielsweise, wenn sich die Struktur des Geräts mit einer regelmäßigen feinen Struktur des abgebildeten Motivs überlagert. Habt ihr schon mal versucht, den Computer-Bildschirm mit dem Smartphone abzufotografieren und euch über das verzerrte Bild geärgert? Das ist das Ergebnis des Moiréeffekts.

Der Moiréeffekt kann aber auch gezielt genutzt werden, um durch übergeordnete Strukturen die Illusion von Bewegung zu schaffen. Wenn zum Beispiel zwei Lagen Stoff mit leicht verschobenem Webmuster übereinandergelegt werden, entsteht ein Moiréstoff.

Damit das Licht gut hindurch fällt, wird meist dünner Stoff – etwa Seide – verwendet. In Europa sind Moiréstoffe etwas aus der Mode gekommen und werden eher selten beispielsweise für Schärpen oder Vorhänge verwendet. In anderen Kulturen sind sie noch immer Teil traditioneller Gewänder.

Bilagen von Graphen – ein doppeltes Wundermaterial!

Auch zwei verdrehte Lagen Graphen können eine Moiré-Überlagerung bilden, die kurz TBG (Twisted-Bilayer of Graphene‘) genannt wird. TGBs verhalten sich wie ein völlig neues zweidimensionales Gitter, mit gänzlich anderen elektronischen Eigenschaften als eine Monolage Graphen siehe auch unseren Blog-Artikel über Graphen.

Seltsame Quantenphänomene

TGBs erlauben Forschenden, seltsame Quanteneffekte und damit fundamentale Theorien der Festkörperphysik im Experiment zu untersuchen. Ein Beispiel eines solchen seltsamen Quantenphänoms sind stark korrelierte Elektronen. Elektronen sind quantenmechanische Teilchen, die gleichzeitig Wellen- und Teilcheneigenschaften haben. Dies wird als Welle-Teilchen Dualismus bezeichnet. Wirklich vorstellen können wir Menschen uns das nicht, damit rechnen aber schon!

Für quantenmechanische Teilchen gelten ganz andere Regeln als für klassische Teilchen. Würden wir zwei Tennisbälle nebeneinanderlegen, wäre dem einen die Anwesenheit des anderen herzlich egal. Betrachten wir jedoch zwei Elektronen, kann die Anwesenheit eines Elektrons ein anderes Elektron stark beeinflussen! Im Bändermodell können sich Elektronen nur in bestimmten diskreten Energiezuständen aufhalten.

Ein bestimmter Zustand kann dabei nur einmal besetzt sein, wie ein Sitz in der Straßenbahn. Eine starke Korrelation von Zuständen verbietet zusätzlich, dass der Nachbarsitz besetzt wird. Wir können uns das wie die Hygienevorschriften während der Pandemie vorstellen: Neben jedem Sitzplatz muss ein Platz unbesetzt bleiben. Wenn wir von oben auf die Passagiere blicken, ergibt sich so ein regelmäßiges Muster.

Wie Elektron-Loch-Paare entstehen

Fehlt ein Elektron auf einem eigentlich zu besetzenden Platz, wird von einem „Loch“ gesprochen. Das Elektron, das sich woanders aufhält, und das freie Loch bilden zusammen ein Elektron-Loch-Paar. Dies wird auch Exziton genannt und ist ein sogenanntes Quasiteilchen. Gemeinsam sind das negativ geladene Elektron und sein positiv geladenes Loch neutral, sie werden daher von anderen geladenen Teilchen weniger abgestoßen.

Genau genommen gibt es auch Materialien, die nach diesem Bändermodell eigentlich leitend sein sollten, es im Experiment aber einfach nicht sind. Schuld sind die Elektronen, die sich untereinander abstoßen.

Die räumlich stark eingeschränkten Elektronen sind stark lokalisiert. Das erhöht die Abstoßung der Elektronen und verändert damit die theoretischen Energien des Bändermodells – ein sogenannter Mott-Isolator entsteht. Mit quasi zweidimensionalen Oberflächenschichten lässt sich gleich eine ganze Klasse dieser Mott-Isolatoren realisieren.

Umgekehrt kann ein Isolator zu leiten beginnen, wenn externer Druck die Bandlücke zusammenstaucht, bis Leitungs- und Valenzband überlappen. Theoretisch kann somit jedes Metall leiten, es muss nur ausreichend Druck ausgeübt werden.

Was ist ein Quasiteilchen?

Quasiteilchen können wir uns mit der Metapher einer Luftblase vorstellen: Zwar ist die Luftblase kein Teilchen im eigentlichen Sinne, trotzdem können ihr einige teilchenartige Eigenschaften, wie zum Beispiel eine runde Form, zugewiesen werden.
© Michael Maasen / unsplash

Quasiteilchen können kleine Störungen oder Unregelmäßigkeiten in einem Material sein, die sich wie ein Teilchen verhalten. Vereinfacht können wir Blubberblasen in einer Sprudelwasserflasche betrachten. Eigentlich sind die Blasen nur ein Phänomen der Flüssigkeit: CO2 ersetzt ein kleines Wasservolumen. Trotzdem besitzt die einzelne Blase einige teilchenartige Eigenschaften: Ihr kann eine Größe, die runde Form und zu jeder Zeit ein Ort zugeordnet werden. Wir können beobachten, wie sie sich durch die Flasche bewegt und sogar mit anderen Bläschen zusammenstößt.

Das Exziton-Quasiteilchen lässt sich in den zweidimensionalen TMDs realisieren. Durch geschicktes Erzeugen von Moiréstrukturen, versuchen Forschende die energetischen Zustände dieser Elektron-Loch-Paare zu kontrollieren und zu manipulieren. Beispielsweise wird, wenn das Elektron und sein Loch sich wie beim Laser wieder vereinen, ein Photon abgestrahlt.

Ein Laser, der ohne Licht funktioniert

Nun können Forschende dieses Photon, also das Lichtteilchen, zwischen zwei Spiegeln einfangen, so dass es nicht entkommen kann. Da der Abstand der Spiegel ungefähr einem Mikrometer, also ungefähr der Wellenlänge des eingeschlossenen Lichtes entspricht, wird dieser Aufbau als Mikrokavität bezeichnet. Trifft das eingefangene Photon dann wieder auf ein Elektron, bildet sich erneut ein Elektron-Loch-Paar (Exziton), welches innerhalb der Mikrokavität als Polaritron bezeichnet wird. Das kann theoretisch unendlich so weitergehen.

Werden die Moirélagen in eine Mikrokavität eingeschlossen, spüren die Ladungsträger im Halbleiter ein vielfachverstärktes elektromagnetisches Feld. Die Wechselwirkung kann so stark werden, dass ein neues Quasiteilchen entsteht: Ein Interlagen-Moiré-Exziton-Polariton. Dessen Eigenschaften können über die Mikrokavität und die Exzitonen sehr gut kontrolliert werden. Damit sind neuartige Materiezustände denkbar, beispielsweise ein Laser, der ohne Licht funktioniert.

Elektronen-Blockaden und Supraleitung

Normalerweise hat die Graphit-Monolage Graphen hervorragende Leitungseigenschaften, die es sogenannten freien Elektronen verdankt. Diese sind nicht an ihren Platz gebunden können sich gut bewegen.

Liegen aber in TGBs Atome zweier Schichten direkt übereinander, sammeln („lokalisieren“) sich dort viele der freien Elektronen und blockieren sich gegenseitig: TGB wird zu einem Mott-Isolator. Das Paradoxe: Werden nun weitere Elektronen hinzugefügt, blockieren diese nicht zusätzlich, sondern heben den inneren Widerstand vollkommen auf. Ein Supraleiter entsteht, der quasi verlustfrei Strom leitet.

Diese Grundlagen könnten es zukünftig ermöglichen, den Energieverlust in Stromleitungen zu reduzieren und damit Umweltbelastung und Kosten zu verringern.

Beschreibung der drei Bremer Projekte am Institut für theoretische Physik:

Das Projekt von Dr. habil. Christopher Gies nimmt die Exzitonen-Licht Wechselwirkung in Moiréstrukturen genauer unter die Lupe. Gemeinsam mit experimentellen Spezialistinnen und Spezialisten in Oldenburg und Berlin liegt der Fokus auf der Polaritron Physik und (Mikro)kavitäts-Quanten-Elektrodynamik. Zu deren Erforschung werden eine Vielzahl an Methoden verwendet, zum Beispiel das gezielte Stapeln von 2D-Lagen, verschiedene spektroskopische Verfahren oder mikroskopische Modellierungen.

Das Projekt von Dr. Alexander Steinhoff aus der Halbleiter-Theoriegruppe untersucht unerforschte, komplexe Vielteilchenzustände und wechselwirkende Quantengase in Heterostrukturen aus halbleitenden Übergangsmetall-Dichalkogeniden (TMDs). Dabei sollen Vielteilchenrechnungen zu elektronischen und optischen Eigenschaften den Studien der experimentellen Partner in Regensburg und München den Weg weisen.

Das Projekt, zu dem Professor Tim Wehlings Gruppe die Theorie liefert, hat sich zum Ziel gesetzt, Quantenphasen von dotierten Moiré-TMD-Lagen zu realisieren, zu verstehen und ihre Eigenschaften zu kontrollieren. Es stehen beispielsweise Isolatoren, Elektron-Elektron- oder Elektron-Proton-Wechselwirkungen und verschiedene Arten der Supraleitung im Fokus. Die entstehenden Elektronenzustände werden in Zusammenarbeit mit einer experimentellen Gruppe in Münster erforscht und modelliert.

Der Artikel stammt aus dem MINT Science Blog

Der MINT Science Blog der Universität Bremen erklärt einem breiten Publikum anspruchsvolle Forschungsthemen. Studierende und Nachwuchsforschende wollen dort komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich darstellen. Anfang 2021 war das Redaktionsteam in der MINTchallenge erfolgreich. In dem Wettbewerb des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft überzeugte es die Jury mit seinem Blog und belegte den 3. Platz. Mehr zur MINTChallenge. Weitere Eindrücke und Hinweise auf neue Artikel gibt es auf der Instagram-Seite des Science Blogs @scienceblog_unibremen.

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