Der „intelligente Zaun“ gegen den Wolf
Heiß diskutiert: Wolf oder Weidetier. Beides zusammen geht nicht ohne Probleme – oder doch? Forschende der Universität Bremen arbeiten an einer Lösung.
Es ist eine der am heftigsten diskutierten gesellschaftlichen Fragen: Gibt man dem Artenschutz Vorrang und schützt den Wolf, obwohl er Weidetiere reißt? Oder bekämpft man den Wolf durch gezielte Abschüsse, um die Weidetiere zu schützen? Die „goldene Mitte“ ist bislang nicht gefunden – noch nicht. Denn im Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen wird an einer Lösung geforscht: dem „intelligenten Zaun“ gegen Wölfe.
David Wewetzer vom TZI ist Pferdenarr und daher selbst viel in der Natur unterwegs. Er kennt die Problematik und die Diskussion um das Nebeneinander von Wolf und Weidetier bestens: „Die Positionen in der Auseinandersetzung haben sich verfestigt, da gibt es nur noch Schwarz und Weiß, jeder will Recht behalten – Tierhalter auf der einen Seite, Artenschützer auf der anderen.“ In Niedersachsen werden mittlerweile erste Wölfe „entnommen“ – ein anderes Wort für Abschuss, wobei es allerdings selten den „richtigen“ Wolf trifft, der für einen Riss „verantwortlich“ ist. „Außerdem löst das das Problem nicht“, sagt er, „freiwerdende Territorien werden bald wieder besetzt.“ Nach dem Wolf ist vor dem Wolf.
Vermeintlich „wolfssichere Zäune“ halten zum Verdruss der Anwender auch nicht, was sie versprechen. Also müssen sie besser werden – und Wewetzer weiß als Informatiker und Leiter der TZI-Geschäftsstelle um die technologischen Möglichkeiten, die es heute gibt. Er fand ein Programm des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), in dem es um Künstliche Intelligenz (KI) in Landwirtschaft und Ernährung geht. Und er wusste sofort, wen er dafür ansprechen muss: Professorin Anna Förster, Leiterin der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Kommunikationsnetze“ am TZI.
1,1 Millionen Euro vom Bundesministerium
Anna Förster und ihr Team arbeiten seit vielen Jahren an selbstlernenden Sensornetzwerken, am liebsten „draußen“ und nachhaltig sowie zum Nutzen der Gesellschaft. „David hat 45 Sekunden gebraucht, um mich von einer Beteiligung zu überzeugen“, erinnert sie sich. Ihre streng begutachtete Projektskizze fand Zustimmung. Bis 2024 forscht sie nun mit dem Projekt mAInZaun – die Abkürzung steht für „modularer, autonomer und intelligenter Weide(schutz)zaun mit Erkennung und Vergrämung von Wölfen“ – an einer innovativen Zaun-Lösung. Neben dem TZI sind an dem mit 1,1 Millionen Euro geförderten Projekt das Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Zaunhersteller RoFlexs GmbH aus Salzwedel beteiligt, der seine Erfahrungen aus Metallbearbeitung, Elektrotechnik und Kleinstserienproduktion einbringt.
„Draußen vor Ort“ ist man in Wolfparks, wie beispielsweise dem Wolf- und Bärenpark in Worbis (Thüringen) aktiv: „Wir können uns mit unseren Versuchsaufbauten ja nicht einfach in den Wald stellen und warten, dass mal ein Wolf vorbeikommt“, lacht David Wewetzer. In den Parks findet man daher beste Bedingungen, um zu testen, wie man Wölfe von einem Zaun fernhält – denn den sollen sie später in der Realität ja nicht überwinden können. Idealerweise warnt der „Zaun der Zukunft“ auch vor anderen unbefugten Eindringlingen auf einer Weide, oder er erkennt undichte Stellen im Zaun und meldet diese.
Erreichen wollen die Partner dieses Ziel mit Sensoren und Methoden der künstlichen Intelligenz (KI). Der Zaun soll die Annäherung eines Wolfes erkennen und die passenden Maßnahmen zur Abwehr ausführen – beispielsweise durch Lichtblitze, auf Wölfe optimierte Ultraschall-Impulse oder durch das Absondern von Duftabwehrstoffen. „Mit den KI-Systemen wollen wir sicherstellen, dass ein Wolf beispielsweise sicher von einem Hund unterschieden wird“, so Doktorand und Diplomingenieur Jens Dede, der in dem Vorhaben zusammen mit Anna Förster und zwei studentischen Mitarbeitenden arbeitet. Die Sensoren und weitere Bauteile sollen dabei über eine eigene Stromversorgung verfügen, sodass sie unabhängig von einem bereits vorhandenen Zaun betrieben werden können. Und natürlich sollen sie idealerweise auch Meldungen an die Menschen senden, die sie einsetzen – Nutzende, aber auch Polizei, Straßenmeistereien oder die Bahnaufsicht.
System baut auf vorhandene Technologien auf
„Das System, an dem wir jetzt arbeiten, baut auf vorhandenen Technologien auf. Wir müssen es aber noch anpassen, damit es praxistauglich wird“, erklärt Anna Förster. Sie hat bereits in einigen Szenarien Erfahrungen mit solchen technologischen Lösungen gesammelt – in der Fischzucht, in Kamerun beim Kampf gegen die Zerstörung des Waldes, in Thailand beim Zählen von Mückenpopulationen oder beim Auffinden von verschütteten Minenarbeitern. „Dabei geht es immer darum, in der Wildnis bestimmte Parameter mit technologischer Unterstützung zu erfassen und auszuwerten, um dann in einer bestimmten Art und Weise reagieren zu können.“ Know-how, das jetzt auch im Projekt mAInZaun zum Tragen kommt.
„Unser Ziel ist es zum Beispiel, dass die künstliche Intelligenz nicht nur die Unterscheidung von Wölfen und anderen Tierarten lernt, sondern sogar einzelne Wölfe untereinander unterscheiden kann.” Anna Förster
Die Sensorik und die Vergrämungslösungen sollen kostengünstig, digital steuerbar und vor allem energieeffizient sein, weil der Wolfszaun ohne externe Energiequellen auskommen muss. Gleichzeitig müssen diese Lösungen aber auch sehr genaue Ergebnisse liefern. „Unser Ziel ist es zum Beispiel, dass die künstliche Intelligenz nicht nur die Unterscheidung von Wölfen und anderen Tierarten lernt, sondern sogar einzelne Wölfe untereinander unterscheiden kann. Wir würden gerne die Vergrämungslösungen individualisieren, damit sich einzelne Tiere nicht an bestimmte Abwehrmethoden gewöhnen“, so Anna Förster. Wölfe gelten als sehr intelligent und anpassungsfähig. In diesen Fragen liefert die Tier-Verhaltensforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen einen wichtigen Beitrag.
Auch die Expertise des Zaunherstellers RoFlexs GmbH spielt eine große Rolle – schließlich soll die Forschung aus Bremen und Gießen eines Tages in ein funktionierendes, vermarktbares Produkt führen. Das muss nicht zwingend von RoFlex kommen, betont Anna Förster: „Die Firma ist als Projektpartner dabei, weil sie viel Erfahrung in der Metallbearbeitung und der Elektrotechnik von Zäunen hat. Sie kümmert sich zum Beispiel um die Entwicklung eines robusten und wetterbeständigen Gehäuses für die Steuerungs- und Sensortechnik und die flexible und autarke Stromversorgung für die Module.“
Aber generell, so die Bremer Professorin, gehe es bei mAInZaun um die wissenschaftlichen Grundlagen und die Entwicklung eines anwendbaren Prototypen. Die Ergebnisse werden offen publiziert und stehen der Allgemeinheit zur Verfügung. Die Universität Bremen wird dennoch etwas davon haben: „Mit Hilfe unserer Transferstelle haben wir die von uns konzipierte Lösung bereits zum Patent angemeldet“, so David Wewetzer. Sollte sich die Idee aus dem TZI also eines Tages in konkreten Produkten – sprich: funktionierenden Wolfszäunen – durchsetzen, könnte die Universität Lizenzgebühren kassieren.
Überrollt von Medienanfragen
Wie sehr die Öffentlichkeit auf eine Lösung des grundlegenden Problems hofft, zeigt das ungemein große Interesse der Medien an dem Forschungsprojekt. Förmlich „überrollt“ wurden Wewetzer und Förster von Medienanfragen zu diesem Thema. „Und wir werden immer wieder zu Vorträgen angefragt, beispielsweise demnächst bei der Landwirtschaftskammer Bremen. Man merkt ganz deutlich: Die Menschen wollen zu dieser grundlegenden Frage endlich eine Antwort haben.“