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Erklär mal, Prof: Selektive Wahrnehmung

Wieso, weshalb, warum? In "Erklär mal, Prof" verraten euch Bremer Forschende, warum die Dinge so sind wie sie sind. Dieses Mal: Die Mär vom Multitasking.

Forschung

Immer mehr Autobauer setzen auf große Bildschirme. Auf diesen, häufig in der Mitte eingebauten Displays muss die Fahrerin oder der Fahrer zentrale Funktionen einstellen – auch während der Fahrt. Neurowissenschaftler und Psychologe Thorsten Fehr erklärt, warum das gefährlich werden kann.

Schon wieder zu spät dran. Schnell ins Auto und dann nichts wie los. Auf der B75 ist mal wieder Stau. Das Navi bietet eine um fünf Minuten schnellere Route an. Die führt aber durch die Innenstadt – das sah wenigstens im Augenwinkel so aus. Musste schnell wieder auf die Straße gucken, denn an dieser Kreuzung kommen immer so viele Radfahrer. So, jetzt wieder das Navi. Aber erst mal das Radio leiser machen, R.E.M. konnte ich noch nie leiden.

Situationen wie diese versucht Thorsten Fehr zu vermeiden. Wenn der Psychologe Auto fährt, fährt er Auto. Das heißt, er konzentriert sich auf den Verkehr. „Wir Menschen können unsere Aufmerksamkeit nur bedingt teilen,“ erklärt der Neurowissenschaftler. Deswegen macht ihm eine Entwicklung Sorgen: In immer mehr Automodellen gibt es Displays, über die die Fahrerin oder der Fahrer zentrale Einstellungen vornimmt, beispielsweise den Radiosender wählt oder das Navigationsgerät bedient. In einigen Autos sind diese relativ weit unten in der Mitte zwischen dem Fahrer- und dem Beifahrersitz angebracht.

„Das ist lebensgefährlich“, sagt Fehr. Um das Display zu bedienen, müsse der Fahrer oder die Fahrerin den Blick um bis zu 50 Zentimeter abwenden und bekomme nichts mehr von der Straße mit. Hinzu komme, dass diese Displays häufig glatt seien, also keinerlei haptische Rückmeldung geben. „Ich muss also richtig hingucken, die angezeigte Information verarbeiten und dann reagieren. Das läuft alles über das Sehen, also über einen einzigen Wahrnehmungskanal. Dieser ist dann vollständig belegt und ich kriege sonst nichts mehr mit,“ erläutert Fehr.

Den Gorilla nicht gesehen

Das Stichwort lautet: Selektive Wahrnehmung. Fehr erzählt von einem Experiment: Ein Video zeigt sechs Schüler, die Basketball spielen. Drei haben schwarze T-Shirts an, drei weiße. „Die Probanden, die sich dieses Video anguckten, sollten zählen, wie oft der Ball zwischen den Spielern mit den weißen T-Shirts hin- und herwechselt. Sie waren so auf diese Aufgabe konzentriert, dass über die Hälfte von ihnen den großen Mann im Gorillakostüm, der durch die Szene lief und sich auf die Brust trommelte, gar nicht wahrgenommen hat,“ sagt Fehr. Übertragen auf die Displays im Auto bedeutet dies: Wir sind so auf die angezeigten Informationen konzentriert, dass wir das eigentlich Offensichtliche, das Geschehen auf der Straße, nicht mehr sehen können.

Eigentlich ist die selektive Wahrnehmung eine zentrale Stärke unseres Gehirns. Denn nur durch sie können wir Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden. Sie ermöglicht uns beispielsweise im hektischen Alltag nicht den Überblick zu verlieren und das Wesentliche zu erledigen.

Knöpfe statt Display

Entscheidend ist für Fehr und seine Kollegen daher, wie die technischen Komponenten im Auto angeordnet sind. Wenn sie mehrere Wahrnehmungskanäle ansprechen, also nicht nur durch das Sehen, sei schon viel gewonnen. Die ersten Autobauer scheinen bereits auf die Kritik der Wissenschaftler zu reagieren. „Ich hatte gerade heute einen Mietwagen, in dem einige Dinge wieder haptisch gelöst sind. Es sind Knöpfe, die unterschiedliche Formen haben und leicht zu erfassen sind. Das ist eine deutlich besser Lösung, als alle Funktionen in einem glatten Display unterzubringen“, sagt Fehr. Wenn die Wahrnehmung auf mehrere Kanäle wie Haptik, räumliche Orientierung und Bewegungswahrnehmung aufgeteilt werde, sei der Mensch zu einem gewissen Grad sogar fähig zum Multitasking. Dennoch sollten seiner Meinung nach all diese Systeme intensiv mit Probanden getestet werden, bevor sie in die Autos eingebaut werden. Denn nur so könnten Mensch und Maschine wirklich sinnvoll zusammenarbeiten.

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