„Frühzeitig um zusätzliche Altersvorsorge kümmern“
Nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im Alter genug Geld zum Leben zu haben – das wünschen sich alle Menschen. Aber hat die „klassische Rente“ überhaupt noch Zukunft? Ein Interview mit der Soziologie-Professorin Simone Scherger.
Für viele Menschen in Deutschland reicht die Rente gerade so zum Leben, für eine wachsende Zahl aber auch nicht – und diese wird wahrscheinlich in Zukunft weiter deutlich steigen. Gleichzeitig wird die Gesellschaft zunehmend älter. Was bedeutet diese Entwicklung für die nächsten Jahrzehnte – und für die, die heute noch jung sind? Simone Scherger, Soziologie-Professorin der Universität Bremen, ist Expertin auf diesem Gebiet. Sie hat zuletzt in der Rentenkommission der Bundesregierung zum Thema „Rente der Zukunft“ mitgearbeitet.
Frau Scherger, Sie haben als wissenschaftliche Expertin die Politik beraten. Worum ging es konkret bei Ihrer Mitarbeit in der Rentenkommission der Bundesregierung?**
Die Einrichtung der Rentenkommission war in den Koalitionsvereinbarungen der jetzigen Regierung beschlossen worden – unter anderem, weil man sich in bestimmten Punkten nicht einigen konnte. Die Kommission sollte Vorschläge für die weitere Entwicklung des Rentensystems ab 2025 machen. Wie soll die Rente bis 2040 oder 2050 aussehen und finanziert werden?
Warum hat man Sie mit in diese Kommission geholt – und wie läuft sowas eigentlich ab?**
Ich habe einen Anruf aus Berlin vom zuständigen Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales erhalten. Ich musste mich dann recht kurzfristig entscheiden, ob ich eines von drei wissenschaftlichen Mitgliedern in der zehnköpfigen Kommission werden will. Meine Beschäftigung mit Lebenslauf und Sozialpolitik, mit sozialen Ungleichheiten und mit dem Thema „Erwerbstätigkeit und Alter“ hat mich dafür qualifiziert. Vorgeschlagen wurde ich wahrscheinlich vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Man hatte wohl auch Interesse, mal ein neues Gesicht in der Kommission zu haben, dass zudem nicht aus der Wirtschaftswissenschaft kommt.
Wie darf man sich die Arbeit so einer Kommission vorstellen?**
Man trifft sich ein- bis zweimal monatlich und erarbeitet sich einen gemeinsamen Informationsstand. Weitere Expertinnen und Experten werden zu Befragungen eingeladen und die Positionen der unterschiedlichsten Interessenvertretungen angehört. Wir haben aber auch mit ganz normalen Menschen aus allen Altersgruppen gesprochen und uns in einem „Generationendialog“ ihre Meinungen, Erwartungen und Ängste angehört. Es wird viel debattiert – schließlich kommen in so einer Kommission ganz unterschiedliche Sichten zusammen. Am Ende erarbeitet man Empfehlungen, die in einem Abschlussbericht vorgelegt werden.
„Wir haben auch mit ganz normalen Menschen aus allen Altersgruppen gesprochen.“
Was kam dabei heraus? Hat die Rente in ihrer jetzigen Form Zukunft?**
Das gesetzliche Rentensystem, wie wir es jetzt kennen, sollte auf jeden Fall ein wichtiger Baustein der Alterssicherung bleiben. Da war sich die Kommission einig. Unterschiedliche Ansichten gab es darüber, wie viele andere Bausteine man dazu nehmen sollte und an welchen Stellschrauben man wie drehen muss, um das Auskommen der Menschen im Alter zu sichern – zum Beispiel Rentenniveau, Beitragssätze und reguläres Rentenalter. Da haben wir sogar relativ wenig Einigung erzielt, was auch daran lag, dass die Hälfte der Kommission mit Politikern besetzt war. Die spiegelten natürlich auch den Streit wider, den es in der Koalition darüber gibt. Auch bei den beteiligten Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft, Gewerkschaften und Arbeitgebern gab es Differenzen. Von daher ist der Bericht sicher nicht der ganz große Wurf, den sich manche erhofft hatten. Er macht eher kleinere Vorschläge zur Weiterentwicklung der verschiedenen Bausteine und formuliert übergeordnete Leitlinien, worauf man in der Zukunft achten muss.
Sie waren eine von zehn Expertinnen und Experten. Finden Sie sich im Ergebnis wieder?**
Wissenschaft liefert ja letztlich nur die Grundlage für politische Maßnahmen, das sieht man ja auch in der Corona-Krise. Politische Maßnahmen basieren auf Wertsetzungen, nicht allein auf Wissenschaft. Meine Aufgabe war eher, dafür zu sorgen, dass gewisse Punkte nicht aus dem Blickwinkel geraten – zum Beispiel soziale Ungleichheit, die Auswirkungen von Entscheidungen auf Geringverdienende oder Frauen oder die Gerechtigkeit von Maßnahmen. All das waren Dinge, die ich als Soziologin in der Kommission immer wieder thematisiert habe und die viele der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft nicht ständig im Fokus haben. Einige wichtige Punkte meiner Mitarbeit finde ich durchaus im Abschlussbericht wieder.
„Die gesetzliche Rente ist besser als ihr Ruf.“
Wenn Sie heute junge Studentin wären – müssten Sie sorgenvoll in die Zukunft blicken? Konkreter: Wird es auch in 30 oder 40 Jahren noch gesetzliche Rente geben?**
Ich habe leider keine Glaskugel. Was sicher ist: Die gesetzliche Rente wird weiterhin ein wesentlicher Baustein der Altersversorgung bleiben. Sie ist auch besser als ihr Ruf – da wurde vor 10, 20 Jahren auch ein bisschen was kaputtgeredet. Für die meisten Menschen wird sie aber nicht der einzige Baustein sein. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich frühzeitig um zusätzliche Altersvorsorge zu kümmern. Die Rente der Zukunft wird sich aus einem Mix aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente speisen. Betriebliche Altersvorsorge hat dabei gegenüber den oft unübersichtlichen Formen der gänzlich privaten Altersvorsorge viele Vorteile. Bei privater Vorsorge sollten staatliche Zuschüsse auf jeden Fall genutzt werden. Ich persönlich bin der Meinung, dass man sich als junger Mensch bei solchen Fragen von unabhängigen Dienstleistern wie der Verbraucherberatung beraten lassen sollte, die nicht auf bestimmte Produkte und Provisionen, sondern tatsächlich auf die besten Lösungen fokussiert sind. Außerdem ist ein einigermaßen kontinuierlicher Erwerbsverlauf mit großen Teilen in Vollzeitarbeit oder vollzeitnaher Erwerbsarbeit eine Voraussetzung für eine gute eigene Rente – das ist gerade für Frauen wichtig.
Zur Person:
Simone Scherger ist Professorin für Soziologie am SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen und stellvertretende Sprecherin der Institution. Zu den Schwerpunkten ihrer Tätigkeit gehören Forschungsthemen rund um individuelle Lebensläufe und Sozialpolitik.