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„Am Ende hängt alles am CO2

Wir haben es selbst in der Hand, das Tempo und Ausmaß der Gletscherschmelze zu bestimmen, sagt Glaziologe Professor Ben Marzeion

Forschung / Nachhaltigkeit / Meer

Dass der Gegenstand seiner Forschung durch das von den Vereinten Nationen ausgerufene Jahr des Gletscherschutzes 2025 mehr Aufmerksamkeit erhält, freut ihn natürlich. Aber ändert es etwas? Grundsätzlich, findet Ben Marzeion, kommt das Thema Klimawandel, zu dem auch die Gletscher gehören, derzeit in Politik und Gesellschaft zu kurz. Weil die Eismassen zeitverzögert auf die Erderwärmung reagieren, entscheiden wir jetzt darüber, wie viel von ihnen künftig bleibt.

Ben Marzeion sagt von sich, er sei ein grundsätzlich fröhlicher Mensch. Beim Blick auf seinen schmelzenden Forschungsgegenstand allerdings vergeht selbst ihm gelegentlich die gute Laune. Wissenschaftler:innen warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen der Klimaerwärmung und trotzdem ändert sich wenig. „Wenn wir auf magische Weise unser jetziges Klimasystem einfrieren könnten, verschwinden trotzdem 39 Prozent der weltweiten Gletschermassen“, erläutert der Wissenschaftler. So hat es kürzlich eine internationale Studie festgestellt, an der der Professor am Institut für Geographie und am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften beteiligt war. „Es gibt eine klare Beziehung zwischen der globalen Mitteltemperatur und der Menge des Eises“, meint Marzeion. Wird die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt, muss noch knapp die Hälfte der Eismassen daran glauben. „Am Ende“, sagt der 47-Jährige, „hängt alles am CO2.“

Verzicht ist nicht die Lösung

Die Folgen der Schmelze sind vielfach beschrieben: der Meeresspiegelanstieg mit der Gefährdung von Inseln und Küstenregionen, auch entlang der Nordsee; Gletscher- und Gesteinsabbrüche wie zuletzt in der Schweiz. Weniger Wasser in den sommerlichen Flüssen mit schwer kalkulierbaren Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme und die Menschen vor Ort, vor allem in Zentralasien und Südamerika. „Gerade in den Hochgebirgsregionen sind Gletscher auch Identifizierungspunkte. Zu sehen, wie die Natur sich verändert, macht etwas mit den Menschen.“

Dennoch: Für Resignation sieht Marzeion, der Optimist, keinen Anlass. „Wir haben es in der Hand, unsere Emission selbst zu steuern.“ Mit dem Ausbau von Technologien wie Windenergie, Photovoltaik und neuen Stromleitungen etwa.“ Wäre da nicht das Umsetzungsdefizit. Von individuellen Lösungen hält er wenig. „Anderswo in der Welt müssen die Menschen in die Lage gebracht werden, vernünftig zu leben. Durch Verzicht im globalen Norden lösen wir das Problem nicht. Der Preis, den wir dafür zahlen, das Klimaproblem zu lösen, ist nicht der Verzicht auf Flugreisen, sondern dass wir Windkraftwerke akzeptieren und bereit sind, mehr für die Energiewende zu zahlen.“

Ein Portrait von Ben Marzeion, der in die Kamera lächelt
Dr. Ben Marzeion ist Professor am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften sowie am Institut für Geographie, Fachbereich 8, der Universität Bremen.
© Ben Marzeion

Wieviel Zeit bleibt zur Anpassung?

Marzeions Faszination für Gletscher hat sich langfristig entwickelt. Der in der Stadt Geldern geborene Wissenschaftler hat in Kiel physikalische Ozeanographie studiert, weitere Stationen folgten unter anderem in Bergen und Innsbruck, wo aus dem Klimamodellierer ein Glaziologe wurde. Das hat auch mit dem Hintereisferner zu tun, dem Innsbrucker Hausgletscher in den Ötztaler Alpen, dessen Entwicklung von den Innsbrucker Glaziologen seit langem intensiv verfolgt wird.

2015 wechselte Marzeion dann in die norddeutsche Tiefebene. Warum Bremen ein guter Platz ist für einen Glaziologen? Als „Lehnstuhlwissenschaftler“ müsse er nicht dicht dran sein an den Eismassen, meint er schmunzelnd. „Den ein oder anderen Gletscher habe ich schon gesehen, aber viel Feldarbeit mache ich nicht.“ Doch ernsthaft: „Hier beschäftigen sich ganz viele Kolleg:innen unterschiedlichster Fachrichtungen mit Ozeanen und dem Meeresspiegelanstieg. Es gibt kaum einen Prozess im Klimasystem, der sich nicht auf den Meeresspiegel auswirkt.“ Marzeion fürchtet, dass eines Tages der Bau eines Wesersperrwerkes zum Schutz vor den Wassermassen nötig sein könnte. „Der Meeresspiegel wird auch an den deutschen Küsten um zwei Meter steigen. Die Frage ist, wie viel Zeit wir haben, uns anzupassen. Das können wir wiederum über unsere CO2-Emissionen steuern.“

Forschung in Neuseeland

2019 war Marzeion einer der Leitautoren des Sonderberichtes des UN-Weltklimarates zu Ozean und Kryosphäre im Klimawandel. In diesem Jahr hat er den Julius-von-Haast-Fellowship-Award erhalten, der ihm über drei Jahre hinweg regelmäßige Forschungsaufenthalte in Neuseeland ermöglicht. Dann ist er zurück in einem Land, in dem er schon als Austauschschüler war, und er ist dichter dran am Eis. Aber auf Gletschern herumzukraxeln, darum geht es ihm ja nicht. Er will mit den Wissenschaftler:innen vor Ort zusammenarbeiten, unter anderem um den menschlichen Anteil an der Gletscherschmelze genau zu bestimmen. Im Sommersemester 2027 zieht Ben Marzeion samt Familie für ein halbes Jahr nach Neuseeland. „Darauf freuen wir uns.“

Weitere Informationen

Institut für Geographie

MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften

Zur Person Professor Ben Marzeion

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