Konstruktiver Journalismus: Wenn Medien nach Lösungen suchen
Journalismus soll aufklären und Missstände aufdecken. Eine relativ neue Strömung versucht nun, Berichterstattung lösungsorientiert anzugehen.
Journalist:innen berichten häufig über Krisen und politische Missstände. Eine relativ neue Strömung versucht nun, die Berichterstattung konstruktiver anzugehen. Kann das gutgehen oder widerspricht das der journalistischen Neutralität? Dr. Leif Kramp vom Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) hat sich mit konstruktiven Ansätzen in der Berichterstattung beschäftigt. Up2date. hat mit Leif Kramp darüber gesprochen.
Journalismus soll aufklären und Missstände aufdecken. Warum muss er denn auch noch konstruktiv sein? Ist es denn per se destruktiv, Missstände aufzudecken?
Es gehört zu den klassischen Zuschreibungen für den Journalismus, die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft zu kontrollieren. Ebenso soll er ein Garant sein für Meinungsvielfalt, notwendig für das Funktionieren der Demokratie und ein wichtiger Orientierungsgeber in schweren Zeiten. Letzteres ist für Redaktionen allerdings nicht immer leicht einzulösen, da die Menge, Wucht und Negativität allgegenwärtiger Krisennachrichten viele Menschen zunehmend belastet. Sie wenden sich ab. Die Kunst besteht für Journalist:innen darin, investigativ Missstände aufzudecken und zugleich konstruktiv den Blick nach vorn zu richten. Niemals aber sollte der Journalismus seine kritische Distanz verlieren.
Sie haben in Ihrer Studie, die bei der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht wurde, den konstruktiven Journalismus während der Corona-Pandemie analysiert. Das Ergebnis: Konstruktiv vermittelter Journalismus kann die Debattenkultur stärken. Inwiefern?
Es gibt - gerade im internationalen Feld - zahlreiche Ansätze, konstruktiv zu berichten. Gemein ist den verschiedenen “Schulen“, dass Journalismus eine größere Rolle in der Lebenswirklichkeit der Menschen spielen soll, um der demokratietheoretisch bedeutsamen Aufgabe nachzukommen, die gesellschaftliche Selbstverständigung zu moderieren. Dafür muss die Bevölkerung aber erst einmal erreicht werden. Diese Funktion steht zur Disposition, seit sich die gesellschaftliche Kommunikation immer stärker ins Netz verlagert und in den sozialen Medien in kleine Teilöffentlichkeiten aufspaltet.
Wie kann das gelingen?
Hilfreich erscheint vor allem ein intensiverer Dialog zwischen Journalist:innen und dem Publikum, ob bei der Themenfindung und -recherche oder im Nachgang von Veröffentlichungen. Auch im Zeitalter digitaler Vernetzung brüten viel zu viele Journalist:innen immer noch im stillen Kämmerlein vor sich hin, statt sich offensiv in den Austausch mit dem Publikum zu begeben und dies für ihre Arbeit zu nutzen. Davon würde auch die Diskurshygiene unserer gesellschaftlichen Debattenkultur insgesamt profitieren: Hass und Hetze im Netz wird leider zu wenig Paroli geboten, auch weil Medienhäuser an falschen Stellen sparen bzw. investieren.
„Die Kunst besteht für Journalist:innen darin, investigativ Missstände aufzudecken und zugleich konstruktiv den Blick nach vorn zu richten. Niemals aber sollte der Journalismus seine kritische Distanz verlieren.“
Wie verbreitet ist denn der lösungsorientierte Journalismus beispielsweise bei deutschen Medien?
Es bildet sich langsam ein breiteres Feld an Medienangeboten heraus, das auf denkbar unterschiedliche Weise mit konstruktiven bzw. lösungsorientierten Ansätzen experimentiert. Zum einen gibt es hierzulande eine Reihe von Redaktionen, die sich sogar explizit über ein konstruktives Selbstverständnis definieren. Das reicht von Online-Medien, die der etablierten Nachrichtenindustrie etwas entgegensetzen wollen, bis hin zu Regionalzeitungen, die versuchen, den Lokaljournalismus grundsätzlich neu - und zwar konstruktiv - auszugestalten. Zum anderen finden sich in zahlreichen Redaktionen - von großen Wochenzeitungen über Special-Interest-Zeitschriften bis hin zu Formaten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - viele verschiedene Herangehensweisen. Dazu gehört zum Beispiel auch, die Kompliziertheit der Welt zu akzeptieren, statt sie zu vereinfachen, und sie einem heterogenen Publikum differenziert, aber verständlich zu vermitteln.
„Konstruktiver Journalismus hat mit Schönfärberei nichts zu tun“
Wenn es stimmt, dass Medienkonsument:innen nicht nur Krisen, sondern auch Lösungen sehen möchten, dann steht hinter der Bewegung doch sicherlich auch der Versuch, die Leserzahlen zu steigern.
Für die einen ist das ein begrüßenswerter Nebeneffekt, für die anderen geschäftliches Kalkül. Je mehr sich konstruktiver Journalismus besonders in Krisenzeiten und einer sich ausbreitenden „News Fatigue“ zum Trendphänomen entwickelt, interessieren sich auch solche Medienhäuser dafür, die online vor allem mit hohen Reichweiten, Klickzahlen und Verweildauern ihr (Werbe-)Geld verdienen. Für genuin konstruktive Medienangebote, die sich zum Beispiel durch werbefreie Mitgliedermodelle tragen, ist die Steigerung der Zahlungsbereitschaft ihrer Nutzer:innen durch die Art und Weise der Berichterstattung aber natürlich auch wichtig.
Kann Journalismus, der nach guten Nachrichten sucht, denn objektiv sein?
Schönfärberei hat mit Konstruktivität nichts zu tun. Die irrige Wahrnehmung, lösungsorientierte Berichterstattung verbreite vor allem ‚Good News‘, mag auf die Argumentation einiger Pioniere des Feldes zurückzuführen sein, die sich vor allem von der Problem- und Konfliktfixierung der journalistischen Praxis abgrenzen wollten. Es geht vielmehr um die Wiederentdeckung klassischer Werte und Regelstrukturen im Journalismus, einen ganzheitlichen Blick auf das Weltgeschehen, ergänzt um die Frage: „Was nun?”
Bewegt er sich nicht auch an der Grenze zum Aktivismus?
So vielgestaltig journalistische Praktiken und Formen vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Mediatisierung von Kultur und Gesellschaft geworden sind, so sehr gibt es Reibungen, Vermischungen, Ausweitung von Grenzen. In der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie hat der Journalismus insgesamt einen schweren Stand, muss sich im unübersichtlichen Gemenge von Online-Inhalten durchsetzen und hat damit allerhand Schwierigkeiten. So kommt es generell auch vor, dass Journalist:innen nicht mehr als neutrale Beobachter:innen berichten, sondern sich aktiv für bestimmte Ziele einsetzen, sogar Partei ergreifen, politischen Positionen anheimfallen oder das eigene Sendungsbewusstsein überdrehen. Damit aber sind ihre kritische Unabhängigkeit und Überparteilichkeit in Gefahr - ein Gut, das auch im konstruktiven Journalismus nicht hoch genug bewertet werden kann.
Die Studie von Leif Kramp und Stephan Weichert ist hier abrufbar.