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Oral History: Erinnerte Geschichte

Oral History – das bedeutet so viel wie mündlich überlieferte Geschichte. Und genau die interessiert Dr. Heiko Garrelts vom Universitätsarchiv, vor allem im Zusammenhang mit dem 50. Geburtstag der Universität 2021.

Campusleben

Es ist eine noch relativ junge geschichtswissenschaftliche Teildisziplin: Oral History. Mit dem Begriff wird mündlich überlieferte Geschichte beschrieben, die zumeist durch Erinnerungsinterviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zustande kommt. Dr. Heiko Garrelts vom Archiv der Universität Bremen forscht damit – und befragt Menschen zur 50-jährigen Geschichte der Universität.

Heiko Garrelts ist mit seiner Berufswahl sehr zufrieden. „Für mich ist das hier ein Traumjob“, sagt der gelernte Politikwissenschaftler, der seit 2018 im Archiv der Universität Bremen arbeitet. „Ich kann in unterschiedliche Welten eintauchen und pendele zwischen ihnen.“

Pendeln zwischen unterschiedlichen Welten: Das klappt am besten, wenn man sowohl im Hier und Jetzt arbeitet als sich auch für vergangene Ereignisse interessiert. Und genau das tut Heiko Garrelts. Er hat sich der überlieferten Geschichte verschrieben, die in dem Fachausdruck „Oral History“ ihren Ausdruck findet. „Oral History ist eine Methode der Geschichtswissenschaft, die auf die Untersuchung mündlicher Überlieferungen historischer Inhalte gerichtet ist. Sie arbeitet bevorzugt mit Befragungen und Interviews“, fasst er diese Sparte zusammen.

Befragungen von Zeitzeugen sind keine gänzlich neue Erscheinung. Schon vor 150 Jahren – „in der frühen amerikanischen Eliten-Biografie“ – führte man Interviews mit Politikern, Wirtschaftsführern oder auch Militärs. Die maskuline Form ist hier bewusst gewählt, weil es fast ausschließlich Männer waren, die befragt wurden. „Es ging zum Beispiel darum, informelle Prozesse politischer Führung sichtbar zu machen“, so Garrelts.

Aufnahmemedien im Wandel der Zeit: Die technische Entwicklung trug entscheidend zur Vereinfachung und Verbilligung der Oral History bei.
© Thomas Lietz

Einen großen Schub bekam Oral History in den 1970er-Jahren. Dazu trug auch die technische Entwicklung bei, die zunächst mit dem tragbaren Kassettenrekorder und später immer moderneren Aufnahmegeräten den Weg ebnete und entscheidend zur Vereinfachung und Verbilligung beitrug. „Heute gibt es das Internet und Softwareprogramme - man kann Interviews mit Menschen führen, die ganz woanders sitzen. Das erleichtert diese Art der Geschichtswissenschaft ungemein, auch was weitere Arbeitsschritte wie die Archivierung der Interviews oder deren Interpretation angeht“, so Garrelts.

„Geschichte ist mehr als die Abfolge von Ereignissen und Jahreszahlen“

Inhaltliche Impulse erfolgten zuvor unter anderem durch die Studierendenbewegung, die ein Interesse an einer „Geschichte von unten“ entwickelte. Ihr Bestreben war es, auch auch andere Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Zwar sprachen Kritiker fortan von „Barfußhistorikern“, doch so konnten jetzt diskriminierte Minderheiten, Arbeiterinnen und Arbeiter, Frauen, Migrantinnen und Migranten und viele mehr ihre Sichtweisen darstellen. Von Universitäten durchgeführte Studien widmeten sich später etwa den Faschismuserfahrungen der Arbeiterbewegung oder der „volkseigenen Erfahrungen“ in der DDR. Heute interessiert vielfach der Wandel der Arbeit oder die Erinnerung an Migration. „Das ist ein Zugang zu Geschichte, der die individuelle Wahrnehmung bzw. Erinnerung in den Mittelpunkt stellt. Beispielsweise ist der Alltag sehr wichtig. Geschichte ist mehr als die Abfolge von Ereignissen und Jahreszahlen“, verdeutlicht Heiko Garrelts.

Beim Vorgehen setzen die Befragenden der Oral-History-Sparte auf die Methode des „erzählenden Interviews“: „Die Leute sollen mit ihren eigenen Worten das darstellen, was war, und das möglichst unbeeinflusst. Um den Erinnerungsprozess authentisch zu halten, sollten die Befragten im Vorfeld nicht wissen, welche Fragen genau auf sie zukommen und vor allem auch was andere bereits gesagt haben.“

Deshalb hält sich Dr. Heiko Garrelts auch sehr zurück, wenn es um seine aktuelle Arbeit mit Oral History geht – Details werden nicht verraten. Im Zusammenhang mit dem 50. Geburtstag der Universität im kommenden Jahr führt er nämlich Interviews mit sehr unterschiedlichen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus der Universitätsgeschichte durch: von Sekretärinnen und Sekretären über Dienstleistende, Professorinnen und Professoren bis hin zu Absolventinnen und Absolventen. „Das ist das Pendeln zwischen den Welten, dass ich eingangs erwähnt habe.“ 19 Gespräche hat er im vergangenen Jahr geführt, jedes dauerte zwischen zwei und drei Stunden und setzte jeweils akribische Recherchen voraus. Inzwischen sind die meisten dieser Interviews von einer studentischen Hilfskraft transkribiert worden.

Interview-Archiv kann auch die Identifikation mit der Universität stärken

Das Vorhaben des Universitätsarchivs verfolgt mehrere Ziele: Mündliche Erinnerungen zum Arbeiten und Studieren an der Universität Bremen sollen gesammelt werden, um damit auch neue Quellen zu schaffen, die es bisher nicht gab. „Mittelfristig wollen wir ein Interview-Archiv mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aufbauen“, so Garrelts. „In der Sache versprechen wir uns auch davon, Vorgänge oder Ereignisse zu entdecken, die schriftlich gar nicht oder kaum dokumentiert sind. Zuweilen weiß man auch nicht, wie Dinge, die in den Akten beschrieben werden, eigentlich zusammenhängen. Hier können die Interviews hilfreich sein.“

Dieses Archiv mündlicher Quellen soll natürlich nicht verborgen bleiben, sondern für die universitätsgeschichtliche und wissenschaftshistorische Forschung genutzt werden können. „Und ich bin mir sicher, dass so ein Archiv auch die Identifikation von gegenwärtigen und zukünftigen Angehörigen der Universität stärken kann. Geschichte und Geschichten sind immer interessant – gerade auch aus der Institution, für die man arbeitet!“

Mehr zum Thema

Link zum Oral-History-Projekt des Universitätsarchivs

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