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Philosophie für einen anderen Planeten

Dass Menschen eines Tages auf dem Mars landen werden, gilt als sehr wahrscheinlich. Wie ihr Leben dort aussehen könnte, erforschen die Philosophen Norman Sieroka und Abootaleb Safdari.

Forschung / Weltraum

Kaum Sauerstoff, gesundheitsschädliche Weltraumstrahlung, Temperaturen bis zu -120 Grad – die Lebensbedingungen auf dem Mars erscheinen lebensfeindlich. Dennoch wetteifern Weltraumorganisationen und private Organisationen wie SpaceX darum, Menschen genau dorthin zu schicken. Schon in den 2030er Jahren könnte es laut Angaben der NASA so weit sein. Doch wie könnte das menschliche Leben auf dem Mars konkret aussehen? Dazu forschen Wissenschaftler:innen der Universität Bremen in der Initiative Humans on Mars. Zu ihnen gehören auch Norman Sieroka, Professor für Theoretische Philosophie, und Dr. Abootaleb Safdari, wissenschaftlicher Mitarbeiter. „Auf dem Mars werden wir existenziell auf Maschinen und Roboter und KI-Systeme angewiesen sein“, sagt Sieroka. Doch was macht das mit unserem Verhältnis zu ihnen?

Um einer Antwort auf diese Frage etwas näher zu kommen, tauschen sich Sieroka und Safdari eng mit den anderen Forschenden in „Humans on Mars“ aus. Seit rund zwei Jahren besteht die Initiative, in der Forschende aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie den Geistes- und Sozialwissenschaften kooperieren. Einige von ihnen ergründen beispielsweise, welche Lebewesen wie auf dem Mars gezüchtet werden müssen, um Nahrungsmittel, Bioplastik oder Sauerstoff herzustellen. Andere beschäftigen sich mit der Weltraumstrahlung: Sie ist für Menschen schädlich, doch könnte sie eventuell auch als Energiequelle genutzt werden? Viele der unterschiedlichen Forschungsansätze kommen zusammen in einem Antrag für die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Für ihr Projekt „Die Marsperspektive: Ressourcenknappheit als Grundlage eines Paradigmas der Nachhaltigkeit“ werden die Forschenden im August 2024 einen Vollantrag einreichen.

Leben auf dem Mars – zwischen Gedankenexperiment und realer Perspektive

„In der Philosophie hat die Beschäftigung mit dem Weltraum eine lange Tradition“, erläutert Norman Sieroka. Die unendlichen Weiten des Weltalls sowie die scheinbar perfekten Kreisbahnen von Planeten faszinierten bereits antike Philosophen wie Aristoteles. Zu der Sehnsucht nach dem Fernen und Unbekannten kommt jedoch noch eine andere Denktradition. Sie bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung – nicht von der Erde in den Weltraum, sondern vom Weltraum auf die Erde zurück. Was lernen wir über unser Leben hier, wenn wir aus der Entfernung darauf blicken? Antworten auf diese Frage können beispielsweise Raumfahrende geben, die die Erde aus dem Weltraum gesehen haben. Viele berichten von einem erhabenen Gefühl und einer Verbundenheit mit der ganzen Menschheit. Diese veränderte Wahrnehmung des Lebens auf der Erde wird in der Forschung unter dem Begriff des Overview-Effekts zusammengefasst.

Norman Sieroka sitzt in einem Büro am Laptop.
„In der Philosophie hat die Beschäftigung mit dem Weltraum eine lange Tradition“, erläutert Norman Sieroka.
© Patrick Pollmeier / Universität Bremen

Das Fremde erkunden und gleichzeitig das Bekannte unter einem anderen Blickwinkel sehen – diese beiden Aspekte spielen auch bei „Humans on Mars“ eine Rolle. Auf der einen Seite arbeiten die Forschenden an konkreten Lösungen für das höchst wahrscheinliche Szenario, dass einiges Tages Menschen auf dem Mars landen werden. „Auf der anderen Seite sehen wir als Philosophen die Überlegungen zum Leben auf dem Mars auch als eine Art Gedankenexperiment“, sagt Sieroka. Denn viele Herausforderungen, die sich auf dem Mars ergeben, sind auch für das Leben auf der Erde relevant. Zu ihnen gehört zum Beispiel der nachhaltige Umgang mit Ressourcen – auf der Erde ein so drängendes Problem wie nie zuvor. Für das Leben auf dem Mars ist Nachhaltigkeit noch bedeutender, gibt es doch keine Pflanzen, industrielle Produktion oder flüssiges Wasser. Gerade diese zugespitzte, aber auch fremde Perspektive könnte unsere Diskussionen bereichern, ist sich Norman Sieroka sicher.

Roboter und KI-Systeme auf dem Mars – nur Werkzeuge oder schon Kollegen?

Doch nicht nur die Frage nach der Nachhaltigkeit stellt sich auf dem Mars verschärft, auch die nach dem Verhältnis zwischen Menschen und Technik – das Forschungsgebiet von Sieroka und Safdari. „Gerade Roboter und KI-Systeme wären auf dem Mars noch essenzieller, als sie ohnehin schon auf der Erde sind“, sagt Safdari. Sie wären unverzichtbar, um beispielsweise Habitate für Menschen zu errichten, Wasser und Mineralien zu gewinnen oder Solarpaneele zu reparieren. Einige von diesen Aufgaben würden sie selbstständig erledigen, bei vielen anderen würden Menschen die Systeme steuern.

Abootaleb Safdari
„Gerade Roboter und KI-Systeme wären auf dem Mars noch essenzieller, als sie ohnehin schon auf der Erde sind“, sagt Abootaleb Safdari.
© Bastian Dincher / Universität Bremen

In allen Fällen wäre die Zusammenarbeit enger und bedeutender als auf der Erde. Bedeutender, weil es lebensgefährliche Folgen haben könnte, wenn Systeme etwa zur Erzeugung von Sauerstoff ausfallen. Enger, weil es bis zu 20 Minuten dauern würde, bis eine Nachricht vom Mars die Erde erreicht. „Wenn ein Gerät nicht funktioniert, kann man also nicht einmal schnell Personen auf der Erde um Rat bitten“, sagt Sieroka. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Menschen und Technik wäre also so eng, wie wir es normalerweise nur von zwischenmenschlichen Beziehungen kennen. Aber würde das auch bedeuten, dass wir Roboter und KI-Systeme eher als Kollegen denn als bloße Maschinen wahrnehmen?

Mit Interviews der Marserfahrung auf der Spur

Um das herauszufinden, gehen die beiden Wissenschaftler Begriffen, die das Verhältnis zwischen Menschen und Robotern prägen könnten, auf den Grund. So etwa das Vertrauen: Was zeichnet es aus, durch welche unveränderlichen Elemente ist es gekennzeichnet? Worum es genau geht, verdeutlicht Norman Sieroka mit einem Vergleich. „Eine Melodie kann höher oder tiefer, lauter oder leiser sein. Aber wenn sie keine Töne enthält, ist es keine Melodie mehr.“ Analog suchen die Philosophen gewissermaßen nach den Tönen, den Grundbausteinen des Vertrauens.

Jemand kommt aus dem Modell MaMBA (Moon and Mars Base Analog) heraus.
Im MaMBA (Moon and Mars Base Analog) simulieren Forschende das Leben auf dem Mars. Vielleicht werden sie schon bald von Norman Sieroka und Abootaleb Safdari zu grundlegenden Aspekten ihrer Erfahrungen im MaMBA befragt.
© Patrick Pollmeier / Universität Bremen

Doch ist Vertrauen überhaupt der richtige Begriff, um unsere Beziehungen zu Robotern zu beschreiben? Neben theoretischen Überlegungen möchten Safdari und Sieroka dieser Frage mithilfe von sogenannten mikrophänomenologischen Interviews nachgehen. Mit ihnen möchten sie herausfinden, wie Menschen in Situationen wie der auf dem Mars die Zusammenarbeit mit Maschinen wahrnehmen. „Selbstverständlich können wir uns solchen Situationen nur annähern“, räumt Abootaleb Safdari ein. Andererseits gibt es für eine solche Annäherung an der Universität Bremen ideale Räumlichkeiten, nämlich im MaMBA (Moon and Mars Base Analog) am ZARM (Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation). Hier steht ein Modul eines Habitats, wie es auch auf dem Mond oder Mars existieren könnte. Es besteht aus mehreren Zylindern, jeweils mit einem Durchmesser von etwa fünf Metern und einer Höhe von sechs bis sieben Metern, in denen Forschende das Leben und die Arbeit auf dem Mars erproben. Von der Zusammenarbeit mit Robotern bis zur verzögerten Kommunikation mit Personen auf der Erde werden die Lebensbedingungen auf dem Mars so authentisch wie möglich simuliert.

Forschende, die hier gearbeitet haben, würden dann von den beiden Philosophen im Anschluss zu Gesprächen eingeladen. Ziel wäre es, den Forschenden möglichst wenige Begriffe vorzugeben. Eine Frage wie „Haben Sie dem Roboter vertraut?“ würden Sieroka und Safdari zum Beispiel vermeiden. „Wenn der Begriff ,Vertrauen’ erst einmal im Raum ist, ist es schwer, in anderen Kategorien zu denken“, erklärt Sieroka. Und genau darum geht es den beiden Wissenschaftlern ja: Jenseits von althergebrachten Kategorien das Verhältnis zwischen Menschen, Robotern und KI-Systemen neu zu bestimmen.

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