„Toleranz ist eine Notwendigkeit“

Doch die Bereitschaft, andere Meinungen auch anzuerkennen, gehe zunehmend verloren, findet die Philosophin Professor Dr. Dagmar Borchers.

Uni & Gesellschaft

Für die Dekanin des Fachbereichs Kulturwissenschaften ist die Fähigkeit zur Toleranz ein Schlüssel für eine demokratische, pluralistische, menschliche Gesellschaft. Ob man sie lehren und lernen kann, wo für sie die Grenzen der Toleranz liegen, erläutert Dagmar Borchers zum Internationalen Tag der Toleranz am 16. November. Und warnt vor einer neuen Intoleranz gegenüber Andersdenkenden.

John Stuart Mill ist einer ihrer Lieblingsautoren. Sein Essay aus dem 19. Jahrhundert über die Freiheit sei grandios, findet Dagmar Borchers. Selbst wenn alle Menschen auf der Welt einer Meinung seien und es nur einen einzigen Abweichler gäbe, hätte dieser das Recht, angehört zu werden, so der britische Philosoph. Könnte ja sein, dass er recht hat.

Es geht also um die Kraft des Argumentes. Um das Zuhören, um das Verstehen, um das Durchdenken. Und erst dann um das Beurteilen. „Ich versuche Philosophie als eine Disziplin weiterzugeben, in der man nicht sofort eine Meinung hat und dieses vehement vertritt. Sondern in der man erstmal zur Kenntnis nimmt: Was ist eigentlich das Problem? Was unterscheidet ein gutes von einem schlechten Argument?“, sagt Dagmar Borchers.

Andere Überzeugungen erdulden

Auf das lateinische Verb „tolerare“ geht der Begriff Toleranz zurück, es bedeutet „erdulden, ertragen“. Also etwas hinzunehmen, das man selbst ablehnt, ohne es zu bekämpfen. Doch diese Fähigkeit gehe derzeit in sehr vielen Bereichen flöten, meint die Wissenschaftlerin. „Wir leben heute in einer Gesellschaft, die sehr meinungsstark und polarisierend ist. Wer eine andere Meinung hat, wird sehr schnell ausgegrenzt.“

Mit Toleranz sei das nicht vereinbar. Unterschiedliche Anschauungen müssten nebeneinander existieren können, dies sei essenziell für eine demokratische Gesellschaft sonst gebe es keine Vielfalt, keinen Pluralismus. Jedes Individuum, so Borchers, hätte in einer Demokratie im Rahmen von Recht und Gesetz bestimmte Freiheitsrechte und Gestaltungsspielräume. „Ohne Toleranz können diese nicht nebeneinander existieren. Für eine liberale, demokratische Gesellschaft, für das menschliche Zusammenleben ist Toleranz eine Notwendigkeit.“

In seinen Briefen über die Toleranz, verfasst im 17. Jahrhundert im Kontext des Kampfes um die Religionsfreiheit, hat John Locke den Begriff etabliert. Die Menschen, so der Philosoph, seien frei und gleich geboren. Und weil dem so sei, dürften sie selbst und nicht der Staat über ihren Glauben bestimmen, den es zu respektieren gelte. Die Durchsetzung der Religionsfreiheit wurde über Jahrhunderte erkämpft. Wie auch das, was als tolerant empfunden wurde, sich immer wieder veränderte und entwickelte. „Derzeit leben wir in einem Paradox, in einer in vielerlei Hinsicht sehr toleranten und zugleich intoleranten Gesellschaft“, meint Borchers.

Toleranz kann man lernen

In ihrer Lehre versucht sie nicht nur durch Argumentationstheorie und Logik für Toleranz zu werben. Sondern auch indem sie gedankliche Stoppschilder setzt und systematische Verunsicherung erzeugt. Um das vermeintlich Selbstverständliche, um die eigenen Denkmuster zu hinterfragen und die Selbstreflexion zu stärken. Und natürlich kann man Toleranz auch lernen, sie ist schließlich nicht angeboren. „ Ich glaube sogar, man muss Toleranz trainieren, von der Kita, über die Schule und die Universitäten. Man muss für sie eintreten und Haltung zeigen, wo immer Meinungen aufeinanderprallen, so schwer wie das ist“, sagt Borchers, die angewandte Philosophie lehrt und sich unter anderem mit Entscheidungsfindung befasst.

Toleranz braucht Wissen, braucht Begegnungen mit Vielfalt, mit Menschen anderer kultureller Hitergründe , Erfahrungen und Meinungen, braucht auch Empathie sowie einen respektvollen Umgang. Und sie braucht Grenzen. Was ist noch erduld- und ertragbar? Dagmar Borchers hat da eine klare Vorstellung: „Wo Menschen wieder ausgegrenzt werden, beschimpft, vertrieben und diskreditiert werden, da ist die Grenze eindeutig überschritten.“

Weitere Informationen zur Person Professor Dr. Dagmar Borchers sind in ihrem Profil auf der Website des Fachbereichs zu finden.

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