„Politiken des Lebens“ - Podcasts von Studierenden der Politikwissenschaften
Ohne Frage: Corona wirbelt unser Leben ziemlich durcheinander. Jedoch sind die sozialen Härten ungleich verteilt.
Viele Menschen beklagen sich über die derzeitigen Einschränkungen durch Corona. Sie leiden zum Beispiel unter finanziellen Problemen, Existenzsorgen, Isolation. Doch wie wirkt sich die Pandemie-Politik auf die schon bestehenden sozialen Ungleichheiten aus? Das haben Studierende der Politikwissenschaften an der Universität Bremen im Sommersemester erarbeitet. Sie haben Podcasts, Videos und Texte zu verschiedenen Aspekten von Corona erstellt, die jetzt in der digitalen Ausstellung „Politiken des Lebens“ zugänglich sind.
Wenn Mika von seinem Leben unter Corona-Bedingungen erzählt, wird deutlich, was die Corona-Zeit für ihn konkret heißt. In einem der Podcasts, die in der Sammlung zu hören sind, berichtet der wohnungslose 73-Jährige, dass der Appell, zuhause zu bleiben, für ihn gar nicht zu befolgen ist: „Weil ich ja nur eine Parkbank habe!“ Auch seine Einkünfte als Verkäufer der ,Zeitschrift der Straße‘ sind erheblich geschrumpft, denn seine Stammkundschaft arbeitet schon seit dem Frühjahr im Homeoffice und kommt deshalb nicht mehr regelmäßig an den gewohnten Plätzen in der Innenstadt vorbei. Mika ist einer der Gesprächspartner*innen, mit denen Studierende der Politikwissenschaft für ihre facettenreiche Podcast-Ausstellung gesprochen haben.
Die Hörer*innen erfahren von ihm, dass er noch die Möglichkeit zum Duschen hat, er seine Klamotten aber nicht mehr waschen kann. Mika erzählt seine persönliche Geschichte. Durch Corona haben sich seine Lebensumstände verschärft.
Das gilt genauso für Geflüchtete, Erntehelfer*innen oder Menschen in Pflege- oder psychiatrischen Einrichtungen, die sich nicht oder nur unzureichend vor einer Ansteckung schützen können.
Ungleichheiten verschärfen sich in der Pandemie
„Dass sich gesellschaftliche, ökonomische und politische Ungleichheiten in der aktuellen Corona-Krise verschärfen und auch verfestigen, das haben wir uns in dem Projekt zum Ausgangspunkt genommen“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Gundula Ludwig, die das Projekt gemeinsam mit ihrem Kollegen Philipp Schulz geleitet hat. „Wir wollten zeigen, dass Politik immer auch mit dem Leben zu tun hat“, betont Philipp Schulz. „Der Titel der Ausstellung ,Politiken des Lebens‘ spiegelt das wider. Uns geht es darum, Ungleichheiten aufzeigen, damit gesellschaftliche Diskurse entstehen können.“
Gerade in den persönlichen Interviews wird deutlich, wie sehr die aktuelle Covid-19-Pandemie in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet ist. Kontaktbeschränkungen, Priorisierung beim Impfen, die Festlegung, wer als ,systemrelevant‘ gilt – es sind letztlich politische Entscheidungen, die das Leben der Menschen verändern. Das Virus kann zwar alle treffen, dennoch sind nicht alle in gleicher Weise gefährdet. In der Online-Ausstellung wird dazu eingeladen, neue Blickwinkel auf die Krise und ihre Symptome einzunehmen.
Gesellschaftliche Debatte anstoßen
Die Grundlage des Projektes ist ein Seminar im Sommersemester, welches von Gundula Ludwig im BA-Studiengang Politikwissenschaften angeboten wurde. Für die Studierenden war es etwas Neues, die Ergebnisse ihres Seminars in Form von Podcasts umsetzen zu können. Neben den Interviews mit Betroffenen und Aktivist*innen wurden im Rahmen des Seminars als Grundlage auch theoretische Texte, zum Beispiel von Michel Foucault zu Biomedizin oder von Judith Butler zu Körperpolitik verarbeitet. Daraus wurde ein vielstimmiges Mosaik. „Es ist zwar im Uni-Kontext entstanden, aber uns ist wichtig, dass wir diesen Kontext verlassen und eine gesellschaftliche Debatte anstoßen“, erklärt Philipp Schulz. Dass ihre Arbeitsergebnisse nun im Rahmen einer Ausstellung öffentlich gemacht werden, freut sowohl die Studierenden wie die Lehrenden.
Podcasts sind kreativer Umgang mit digitalem Semester
Nicht nur als Thema spielte die Pandemie eine zentrale Rolle im Seminar, sondern sie führte auch zu der Präsentationsform der Podcasts. „In diesem digitalen Semester“, erläutert Politikstudent Gunnar Bantz, „in dem wir uns nur noch virtuell getroffen und ausgetauscht haben, war der Podcast eine sehr gute Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.“ „Interessant war dabei“, so die Studierende Renée Gerber, „aktuelle Entwicklungen direkt zu beobachten und so ein Teil davon zu sein. Über die theoretischen Grundlagen und die aktuellen Nachrichten haben wir immer mehr Input bekommen, um unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können.“
Kritische Perspektiven der Geistes- und Sozialwissenschaften sind gefragt
Wie wichtig wissenschaftliche Erkenntnisse, Einsichten und Debatten sind, wurde in der Covid-19-Krise deutlich. Nicht nur Immunologie und Virologie sind gefragt, sondern auch Perspektiven aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese Vielfalt spiegelt sich in unterschiedlichen Formaten – Texten, Gesprächen, Video und Audio – der digitalen Ausstellung.
Es sind mehr als 29 „Ausstellungsstücke“, die in sieben virtuellen thematischen Räumen die Verbindung zwischen Körper und Kapitalismus ziehen, zum Nachdenken über Sorge und Geschlechterverhältnisse einladen, Gesundheit und Rassismus, Sicherheit und postkolonialen Grenzregime, Schutz und Nationalismus, Verletzbarkeit und Demokratie thematisieren. So soll eine Brücke geschlagen werden zwischen aktivistischem und akademisch-kritischem Wissen.
Link zur Ausstellung: covid19-mosaik.de
Gefördert wird das Projekt im Rahmen der Sonderausschreibung „Corona-Krise und die Humanities“ der interdisziplinären Verbundforschungsplattform „Worlds of Contradiction“ der Universität Bremen. Mehr: woc.uni-bremen.de