Und dann? Erlebte ich fast einen Kulturschock
Das Studium ist beendet, der erste Job kann kommen – oder? Im neuen Jahrbuch der Uni Bremen erzählen insgesamt acht Absolventinnen und Absolventen, wie es ihnen nach ihrem Abschluss ergangen ist.
Professorin Heike Faßbender hat an der Universität Bremen promoviert und habilitiert. Sie war eine der ersten Mitarbeitenden des 1995 gegründeten Zentrums für Technomathematik (ZeTeM). Heute ist Faßbender Professorin an der Technischen Universität Braunschweig. Dort leitet sie das Institut für Numerische Mathematik.
Frau Faßbender, Ihre Doktormutter hat Sie 1991 von Bielefeld mit an die Universität Bremen gebracht. Wie haben Sie die erste Zeit hier erlebt?
Ich muss zugeben, mein erster Eindruck vom neuen Arbeitsplatz war nicht sehr positiv. Als ich das erste Mal zum Mehrzweckhochhaus – dem MZH – kam, habe ich mich von den Räumlichkeiten erst mal nicht sehr willkommen geheißen gefühlt. Inzwischen ist das Gebäude ja renoviert, aber damals war es wirklich keine Schönheit. Als ich dann die Menschen in diesem Gebäude, meine neuen Kolleginnen und Kollegen in der Mathematik, kennengelernt habe, hat sich dieser erste Eindruck schnell verflüchtigt. Tatsächlich habe ich es sehr zu schätzen gelernt, dass die gesamte Mathematik in einem Gebäude angesiedelt ist. So sind die Wege sehr kurz und ein unkomplizierter Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen an der Tagesordnung.
Der Beginn Ihrer Promotion und der Arbeit an der Universität Bremen fiel mit der Zeit zusammen, in der das ZeTeM neu gegründet wurde. Was haben Sie von diesem Prozess mitbekommen?
Sehr viel. Es war eine spannende Zeit, in der ich sehr vieles gelernt habe, das mir bei meinem weiteren Karriereweg weitergeholfen hat. Meine Doktormutter, Angelika Bunse-Gerstner, hat den Gründungsprozess des ZeTeM aktiv mitgestaltet. Aber sie hat nicht nur selbst überall mitgemischt, sondern uns Mitarbeitende immer auch mit eingebunden. Ich habe alle Bewerbungsvorträge für die insgesamt drei neu geschaffenen Professuren gesehen und mir dabei viel dafür abgeschaut, wie man sich in einem Bewerbungsprozess gut präsentiert. Auch die Diskussionen hinter den Kulissen, in denen es darum geht, wie man das Zentrum inhaltlich aufstellen möchte, habe ich damals hautnah mitbekommen. Im Rückblick ist diese Zeit sehr bezeichnend für die Diskussionskultur der Uni Bremen. Die habe ich vor allem im Vergleich zu späteren beruflichen Stationen sehr zu schätzen gelernt. An der Uni Bremen wurde jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter ernst genommen und konnte sich in solche Diskussionen einbringen – egal ob Doktorandin oder Professor.
Es hört sich so an, als habe Sie die Zeit in Bremen sehr geprägt. Gab es damals einen letzten Tag, einen Abschied von der Uni Bremen?
Wenn ich so darüber nachdenke, war es eher ein schleichender Abschied. Mein Mann, der damals in der gleichen Arbeitsgruppe im ZeTeM gearbeitet hat, war noch länger dort und wir haben auch noch eine Zeit lang in Bremen gewohnt. Deswegen war ich noch öfter dort. Inzwischen bin ich schon länger nicht in Bremen gewesen, halte aber immer noch den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen. Ich würde mich aber sehr freuen, bald mal wieder an die Uni Bremen zu kommen.
Haben Sie den Wechsel an eine andere Universität als Umbruch erlebt?
Als ich im Anschluss an meine Zeit in Bremen den Ruf nach München angenommen habe, war das schon fast ein Kulturschock. Durch mein Studium in Bielefeld und die Promotion sowie Habilitation in Bremen bin ich an jungen Reformuniversitäten sozialisiert worden, in denen Hierarchien verhältnismäßig flach sind. An der Technischen Universität München (TUM) – wie auch an anderen Technischen Universitäten – gibt es viel stärker ausgeprägte Hierarchien. In München haben seit jeher die C4-Professuren das Sagen. Vorlesungen werden dort beispielsweise in der Regel nur durch die Professorinnen und Professoren gehalten. In meiner Zeit an der Uni Bremen hatte ich bereits für das gesamte Lehrportfolio in meinem Bereich die Vorlesungen gehalten. Diese Erfahrungen hätte ich in München nicht sammeln können. Das Selbstvertrauen, das ich mir so erarbeiten konnte, ist nicht zu unterschätzen.
Trotzdem sind Sie als Professorin von der TU München noch mal an eine TU, nämlich nach Braunschweig, gewechselt. Was war der Grund?
Ich bin heute gerne an einer TU, denn die Mathematik, die hier gemacht wird, liegt mir einfach gut. Ich mache Mathematik nicht um der Mathematik willen, sondern mit starkem Anwendungsbezug. In München hatte ich damals eine sogenannte „C4 auf Zeit“-Berufung. München ist eine schöne Stadt und auch das bayrische Wissenschaftssystem hat seine Vorzüge, aber ich wollte lieber wieder Richtung Norden. Schon vor Ablauf der Zeit hatte ich mehrere Rufe, zwischen denen ich mich entscheiden konnte. Meine Wahl ist auf Braunschweig gefallen. Das war eine gute Entscheidung, hier gehe ich nicht mehr weg.
Im Laufe ihrer Karriere haben Sie viele Menschen davon überzeugen können, in Ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Sie waren unter anderem Gründungsdekanin einer neuen Fakultät und Vizepräsidentin der TU Braunschweig. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe es im Wissenschaftssystem immer so erlebt: Wer seine Meinung sagt, bekommt auch einen Job. Natürlich muss man dann auch die Verantwortung annehmen und hartnäckig sein, um seine Pläne erfolgreich umzusetzen. Deswegen habe ich einiges von Angelika Bunse-Gerstners Führungsstil übernommen. Ich vertraue in die Fähigkeiten meiner Mitarbeitenden, übertrage ihnen früh Verantwortung. Natürlich können sie bei Fragen zu mir kommen, aber erst mal lasse ich sie machen. Das ist eine wichtige Chance zur Persönlichkeitsentwicklung. Was außerdem wichtig ist, ist gute Vernetzung. Schon als Doktorandin habe ich die Möglichkeit bekommen, auf Konferenzen zu fahren und die Community kennenzulernen. Das war nicht selbstverständlich. Die ganze Arbeitsgruppe hatte zu Beginn gerade mal ein Budget von wenigen Hundert D-Mark für Telefon, Post und Reisen. Meine gute Vernetzung in der Community hat dazu beigetragen, dass ich viele Möglichkeiten hatte, positive Veränderungen im Hochschul- und Wissenschaftssystem mitzugestalten. Diese Chance gebe ich meinen Mitarbeitenden heute auch.
“Ich vertraue in die Fähigkeiten meiner Mitarbeitenden, übertrage ihnen früh Verantwortung. “
Sie sitzen derzeit unter anderem im Akkreditierungsrat, der deutschlandweit neue Studiengänge akkreditiert, und sind Präsidentin der Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM). Was treibt Sie an, sich über Ihre Professur hinaus zu engagieren?
Ich bin schon immer dem Impuls gefolgt, Dinge zu verändern, um sie zu verbessern. Ich habe mich in meiner Zeit an der Uni Bremen als Frauenbeauftragte engagiert, und deswegen scheue ich nicht vor Ämtern mit Verantwortung zurück. Es ist toll zu sehen, wenn dieses Engagement Früchte trägt. In meiner Zeit als Vizepräsidentin der TU Braunschweig zum Beispiel haben wir es durch Hartnäckigkeit geschafft, dass Einnahmen aus Studienbeiträgen für die Unterstützung bedürftiger Studierender genutzt werden konnten. Das war ein toller Erfolg.
Heike Faßbender hat 1989 ihr Diplom in Mathematik an der Uni Bielefeld gemacht und dann bis 1991 Computer Science an der State University New York at Buffalo, USA, mit einem Master of Science abgeschlossen. 1994 promovierte sie an der Uni Bremen in Mathematik und habilitierte daraufhin 1999 ebenfalls an der Uni Bremen.