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Von der Mondfinsternis zur Institutsdirektorin

Meike List leitet als Frau ein naturwissenschaftliches Forschungsinstitut – immer noch keine Selbstverständlichkeit. Im Interview mit up2date. erzählt sie unter anderem, wie ihr Weg auf diese Position war

Forschung / Weltraum

Professorin Meike List ist seit September 2023 Direktorin des Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik in Hannover und Bremen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ihre Geschichte zeigt, wie Begeisterung für Wissenschaft Karrierewege ebnen kann.

Frau List, Sie leiten das DLR-Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik, kurz DLR-SI. Das dürfte für viele Menschen erstmal kompliziert klingen. Wie erklären Sie, was Ihr Institut macht?

Zugegeben: der Name ist ein Zungenbrecher. Das Institut hat zwei große Missionsziele: Satellitengeodäsie und Inertialsensorik. Der Begriff Geodäsie bezeichnet die Vermessung des Schwerefeldes der Erde: die Vermessung der Kraft, die alles nach unten zieht, der Schwerkraft also. Die ist über den gesamten Globus verteilt nicht überall gleich, und sie ändert sich über die Zeit – da gibt es jahreszeitliche Schwankungen, Gezeiteneffekte, Atmosphäreneffekte. Das wird mit der Geodäsie seit langer Zeit gemessen, aber zumeist punktuell und lokal.

Erst die Satellitengeodäsie – ein Beispiel ist die Mission GRACE Follow On – ermöglicht uns ein globales Bild, weil sie aus dem Weltraum arbeitet. Das gemessene Schwerefeld und seine Veränderungen liefern Informationen über Masseschwankungen, die zumeist unterirdisch passieren und bei denen es sich oft um Wasser handelt, das sich bewegt.

Bei der Inertialsensorik handelt es sich um Beschleunigungssensoren. Das Schwerefeld ist ja etwas, in dem alles „nach unten“ fällt bzw. beschleunigt wird. Ich muss also eine Beschleunigung messen können, um eine Aussage über das Schwerefeld machen zu können. Sehr gute und genaue Inertialsensoren können in zukünftigen Satellitenmissionen genutzt werden, um ein noch besseres Bild durch eine bessere räumliche und zeitliche Auflösung der Effekte zu erzielen. Inertialsensoren sind aber auch interessant für Navigation.

Generell wollen wir genauere und bessere Sensoren mit neuen Technologien bauen und mit anderen, klassischen Sensoren kombinieren oder diese sogar ersetzen. Diese neue Inertialsensorik kann zum Beispiel eines Tages helfen, auch unter Wasser zu navigieren, was besonders schwierig ist, da man dort kein GPS-Signal hat.

Vier Personen sitzen um einen Tisch und schauen gemeinsam auf Papiere
„Weibliche Naturwissenschaft“ wird im DLR-SI nicht plakativ nach vorne gestellt: Rund die Hälfte des naturwissenschaftlichen Instituts sind Frauen.
© Matej Meza / Universität Bremen

Gibt es ein griffiges Beispiel, wie Satellitengeodäsie und Inertialsensorik uns aktuell weiterhelfen? So wie die KI häufig damit erklärt wird, dass sie Hautkrebs viel besser erkennen kann als eine Ärztin oder ein Arzt?

Ein Beispiel ist die Verschiebung von Grundwasser, die wir feststellen können. Das hat einen bedeutenden Einfluss auf viele Regionen, insbesondere auf Landwirtschaft, Wasser management und weitere Bereiche. Klimawandel und seine Folgen ist hier ein wichtiges Stichwort. Dürren, Überschwemmungen, das Abschmelzen von Polkappen – all das, und vor allem die Dinge, die wir nicht an auf der Erdoberfläche „sehen“, ist über die Veränderung des Schwerefeldes messbar. Wir können mit der Satellitengeodäsie die Datenbasis für Entscheidungsträger liefern: Wo muss man tiefere Brunnen bohren, wo sollte man alternative Wirtschaftszweige fördern? So gibt es beispielsweise auch sehr aufschlussreiche Daten der GRACE Follow On Mission über die Lüneburger Heide.

Wie sah Ihr Weg an die Spitze des Instituts aus? Dass eine Frau ein naturwissenschaftliches Forschungsinstitut leitet, ist immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Ich habe an der Uni Oldenburg in Theoretischer Physik promoviert. Früher habe ich aber auch schon am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation unserer Uni, kurz ZARM, im Bereich Satellitenmodellierung zusammen mit Benny Rievers eine Arbeitsgruppe geleitet. Später war ich an der Uni Hannover wissenschaftliche Geschäftsführerin eines Sonderforschungsbereiches, da habe ich zum Beispiel sehr viel Erfahrung mit Anträgen und Projektmanagement gesammelt.

Ab 2014 war ich dann wieder am ZARM als Leiterin der Gruppe „Micro Satellite Systems and Modelling Methods“. Die Bestimmungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes erforderten dann, dass ich mich 2019 außerhalb der Universität bewerbe. Mein Weg führte mich daher zum damals sehr jungen DLR-Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik, wo ich fachlich und administrativ die Abteilung „Relativistische Modellierung“ in Bremen aufgebaut habe. Nach Übernahme der kommissarischen Leitung des Instituts in Hannover und Bremen bin ich dann im September 2023 zur Institutsdirektorin ernannt worden. Seit Januar 2022 lehre ich zudem als Kooperationsprofessorin im Fachbereich Physik/Elektrotechnik der Universität Bremen das Fachgebiet Weltraumwissenschaften und Satellitenmodellierung.

Was beim DLR-SI in Hannover und Bremen auffällt: Nicht nur Sie als Leiterin, sondern Ihr gesamtes Führungsteam ist weiblich ….

…. stimmt, ich habe mit Lisa Wörner eine Co-Direktorin, die sehr viel Technologie- und Laborwissen hat, ich bin ja mehr theoretisch aufgestellt. Die Geschäfte führt Jana Hoffmann als administrative Leiterin. Grundsätzlich sind wir sehr divers aufgestellt.

Dass bei einem naturwissenschaftlichen Institut in einer Abteilung mit 13 Mitarbeitenden rund die Hälfte Frauen sind, ist aber schon bemerkenswert und – noch – nicht alltäglich. Wie erklärt sich das?

Das weiß ich nicht (lacht). Ich persönlich glaube schon, dass es ein wenig die Wirkung von mir als „role model“ ist. Vielleicht auch gerade deswegen, weil die „weibliche Naturwissenschaftlerin“ bei uns nicht plakativ nach vorne gestellt wird, sondern das ganze eher ganz natürlich gelebt wird. Es ist so, und es wirkt für sich. Wir hatten nie das Problem, dass sich zu wenig Frauen beworben haben, und wir haben auch sehr gut ausgebildete Frauen gefunden.

Dass die sogenannten MINT-Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik besser nachgefragt sein könnten, ist hinlänglich bekannt. Dass der Frauenanteil hier besonders gering ist, auch. Hat sich hier in den vergangenen Jahren etwas zum Besseren entwickelt?

Kann ich nicht sehen. Wenn ich mir die Studierendenstruktur so anschaue, hat sich da in den vergangenen Jahren nichts geändert. Die Dauerfrage bleibt: Wie bekommt man das hin, dass sich mehr Frauen naturwissenschaftlichen Fächern zuwenden?

Meike List sitzt an einem Tisch, neben ihr ein Laptop, hinter ihr ist etwas an die Wand gebeamt.
Ihr naturwissenschaftliches Interesse wurde früh gefördert: Professorin Meike List glaubt, dass dies ein Ansatz sein könnte, mehr junge Menschen für MINT-Fächer zu begeistern.
© Matej Meza / Universität Bremen

Was hat Ihnen persönlich geholfen, in der Physik und Raumfahrttechnik Karriere zu machen?

Mein Interesse an Physik, Weltraum, Raumfahrt begann relativ früh und hing mit meinem Vater zusammen, der Physik- und Mathelehrer war. Der hat dann auch mal mit mir in die Sterne geschaut oder mit dem Feldstecher eine Mondfinsternis mit mir beobachtet. Ein Privileg für mich war, dass er mir zu Hause Sachen erklären konnte, die ich in der Schule in Physik nicht verstanden hatte. So wurde mein Interesse gefördert, und ich fing an, das Knobeln und logische Nachdenken zu mögen, das ja mit einem Fach wie Physik einhergeht. Die letztlich erfolgreiche Förderung meines frühen Interesses ist also ein Hinweis darauf, wo man ansetzen muss, um junge Menschen – nicht nur Mädchen – für die MINT-Fächer zu begeistern.

Wie fördern Sie selbst junge Wissenschaftlerinnen, und wie geben Sie Ihre Erfahrungen als Kooperationsprofessorin im Fachbereich Physik/Elektrotechnik weiter?

Wir sind ja ein externes Institut, aber die Studierenden können hier zum Beispiel ihr Praktikum machen. Ich habe aktuell drei Anfragen von Frauen, die das hier im DLR-SI absolvieren möchten. Und nächstes Jahr im Januar kommt eine Schulpraktikantin. Zusätzlich können die Studierenden bei uns ihre Bachelor- und Masterarbeiten schreiben. Aber das Wichtigste ist, glaube ich, meine Begeisterung für mein Forschungsgebiet rüber zu bringen. Und wenn ich anderen Menschen – auch dem Nachwuchs – spürbar vermitteln kann, wie toll das ist, dann ist das wahrscheinlich die beste Förderung – völlig unabhängig vom Geschlecht.

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