Vorbereitung für die Marserkundung
Wie Roboter in virtueller Realität für ihren Einsatz trainiert werden
Hat es auf dem Mars früher Leben gegeben, als das Eis dort noch Wasser war? Drei Arbeitsgruppen der Universität Bremen entwickeln zurzeit gemeinsam mit überregionalen Partnern die technischen Möglichkeiten, um diese und weitere Forschungsfragen beantworten zu können. Zentraler Baustein ist der Aufbau eines Roboterschwarms, der die raue Landschaft der Mars-Canyons autonom erkunden kann.
Wasser gilt als wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Leben – nicht nur auf der Erde, sondern auch auf anderen Planeten. Der Mars verfügte vor Milliarden von Jahren über ganze Ozeane und wies darüber hinaus auch organische Moleküle auf. Falls sich daraus Leben entwickelt hat, könnten heute noch Spuren davon im Eis verborgen liegen, das sich unter der Mars-Oberfläche befindet. Auffindbar wären solche Spuren am ehesten in den tieferen Gesteinsschichten, die nur in den zerklüfteten Tälern des Planeten zugänglich sind. Ein autonomer Roboterschwarm soll sich auf die Suche danach machen – unter maßgeblicher Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bremen.
Um das schwierige Terrain untersuchen zu können, müssen Roboter mit unterschiedlichen Fähigkeiten wie Laufen, Klettern oder Fliegen kooperieren. Auch der Transport von Nutzlasten und die Energieversorgung müssen gesichert sein. Die Initiative VaMEx („Valles Marineris Explorer“), die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) finanziert wird, ermöglicht die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Robotersystemen. Neben der Universität Bremen sind mehrere weitere Partner an der aktuellen Phase VaMEx-3 beteiligt, darunter das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das DFKI Robotics Innovation Center in Bremen.
Realitätsgetreue Marslandschaft in der Virtuellen Realität
Die Entwicklung eines kollaborierenden Roboterschwarms mit unterschiedlichen Betriebssystemen wäre schon für den Einsatz auf der Erde eine Herausforderung, aber das Zielgebiet Mars potenziert die Komplikationen noch einmal. Rund sechs bis acht Monate dauert ein Flug von der Erde aus, wenn die beiden Umlaufbahnen günstig zueinander stehen. Aufgrund der langen und teuren Anreise ist es für Raumfahrtmissionen entscheidend, dass alle technischen Geräte vor Ort reibungslos funktionieren, ohne dass ein Techniker oder eine Programmiererin vor Ort sind. Hinzu kommen die extremen Temperaturschwankungen, Sandstürme und die Abwesenheit eines Satellitennavigationssystems.
Alle benötigten Qualitäten müssen also schon frühzeitig auf der Erde entwickelt und erprobt werden – von Teams, die auch auf diesem Planeten weit voneinander entfernt arbeiten. Die Lösung dafür ist eine realitätsgetreue Marslandschaft in der virtuellen Realität. Auf der Grundlage von NASA-Daten hat die Arbeitsgruppe Computergraphik am Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen unter Leitung von Prof. Gabriel Zachmann rund 40 Quadratkilometer Gelände abgebildet, in denen sich Roboter und Menschen virtuell bewegen können. Als Zielregion wurde das „Valles Marineris“ ausgewählt - ein Tal, das gerne mit dem Grand Canyon verglichen wird, allerdings noch einmal deutlich größere Dimensionen aufweist: Mit einer Breite von 700 Kilometern, einer Länge von 4.000 Kilometern und einer Tiefe von bis zu 8 Kilometern handelt es sich um eines der größten Grabensysteme in unserem Sonnensystem. Die „Mariner-Täler“, benannt nach einer der ersten Mars-Raumsonden der NASA, sind damit so lang wie die gesamten USA.
Digitales Testumfeld muss Schwächen rechtzeitig aufzeigen
Damit die virtuelle Marslandschaft ihren Nutzen entfaltet, mussten auch die Roboter als realitätsgetreue digitale Zwillinge in diese Welt überführt werden. Die TZI-Wissenschaftler haben Schnittstellen zu den verschiedenen Systemen der Projektpartner programmiert, um den Austausch von Informationen zu ermöglichen.
In der aktuellen Entwicklungsphase VaMEx-3, die Ende 2022 startete, betrachtet das Projektkonsortium den Schwarm erstmals als Ganzes und maximiert seine Fähigkeit zur kooperativen, autonomen Exploration. Das digitale Testumfeld muss dabei höchsten Ansprüchen genügen: „Der virtuelle Zwilling muss realistische Aussagen ermöglichen, dass der Schwarm in Zukunft auf dem Mars genauso funktionieren wird“, betont Prof. Zachmann. Auch muss das Testumfeld bestehende Schwächen aufzeigen, wenn beispielsweise die Erkennung bestimmter Objekte bei einem Roboter noch nicht ausreichend funktioniert. Die Software bezieht dabei die Besonderheiten des Planeten in die Simulationen mit ein – beispielsweise Schwerkraft, Bodenbeschaffenheit und extreme Temperaturen.
„Für die realistische, dreidimensionale Darstellung der Landschaft mussten wir enorme Datenmengen verarbeiten“, so Zachmann. „Es ist es auch eine Herausforderung, alle Fahrzeuge schnell genug zu simulieren und dabei – unter anderem – auch die Kamerabilder und Lidar-Scans in Echtzeit nachzubilden.“
Navigieren ohne GPS und Galileo
Während die Arbeitsgruppe Computergraphik sich auf die Weiterentwicklung des Testfelds fokussiert, leitet die Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik der Universität Bremen das Teilprojekt „Robust Ground Exploration“ (robuste Bodenerkundung). Ein zentraler Punkt ist dabei die Entwicklung eines gemeinsamen Navigationsverfahrens für die Roboter, denn auf dem Mars gibt es weder GPS noch Galileo. Darüber hinaus verbessert die Arbeitsgruppe die Robustheit der Systeme, damit sie den schwierigen Umweltbedingungen standhalten und mit unerwarteten Situationen umgehen können.
„Eine Herausforderung besteht darin, dass die Umgebung im Vorfeld teilweise unbekannt ist“, erklärt Dr. Joachim Clemens, der das Teilprojekt koordiniert. „Daher müssen die Schwarm-Mitglieder Hindernisse selbstständig erkennen, eine Karte der Umgebung erstellen und ihre Position in der Karte schätzen. Dabei kooperieren die Einheiten miteinander: Karten- und Positionsinformationen werden ausgetauscht, damit alle Einheiten davon profitieren können. Diese Informationen nutzen die Schwarmteilnehmer anschließend, um das Vorgehen zu planen und sich dabei abzustimmen.“
Eine weitere Aufgabe ist die Entwicklung und Integration eines Missionskontrolltools. Dieses System soll zum einen die Visualisierung des aktuellen Status der Mission und zum anderen die Kommunikation der Forschenden mit dem VaMEx-Schwarm ermöglichen. Die an den Schwarm übermittelten Informationen, beispielsweise über wissenschaftlich relevante Zielgebiete, werden in die autonome Planung des Systems eingebracht und im weiteren Missionsverlauf berücksichtigt. Entwickelt wird das Missionskontrolltool von der Arbeitsgruppe High-Performance Visualization an der Universität Bremen.
Erprobung in marsähnlichem Gelände geplant
Das System hat sich bereits bei den ersten Tests bewährt. Die Forschenden haben beispielsweise festgestellt, dass Roboter auf dem Mars andere Algorithmen benötigen als auf der Erde, um ihre Position bestimmen zu können. Dies liegt unter anderem an den sehr eintönigen Farben des Geländes, die es schwierig machen, landschaftliche Wiedererkennungsmerkmale zu identifizieren. Genau in derartigen Erkenntnissen liegt der größte Nutzen der Simulation: Fehler können behoben werden, bevor die Roboter eines Tages ihre achtmonatige Reise zum Mars antreten.
Das Ziel ist es nun, alle Entwicklungen und Vorbereitungen für eine Demonstrationsmission auf der Erde durchzuführen, um sich bis 2025 als Nutzlast für eine Marsmission zu empfehlen.
Neben der Universität Bremen sind auch folgende Partner an VaMEx-3 beteiligt: ANavS GmbH, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), DFKI Robotics Innovation Center, DSI Aerospace Technologie GmbH, INVENT GmbH, TU Braunschweig, TU München, Universität Erlangen-Nürnberg, Universität der Bundeswehr München und Universität Würzburg.
Umfangreiche Marsforschung an der Universität Bremen
Über die Initiative VaMEx hinaus wird an der Universität Bremen umfangreiche Marsforschung betrieben. Im Juli 2022 wurde die Initiative „Humans on Mars – Pathways toward a long-term sustainable exploration and settlement of Mars“ gegründet. Hier gehen rund 60 Forschende aus acht Fachbereichen der Frage nach, wie Konzepte für eine langfristige, nachhaltige Erkundung und Besiedelung des Mars durch den Menschen aussehen können. Das Land Bremen fördert die Initiative. Der Anstoß und die Federführung zu „Humans on Mars“ kommt aus dem Wissenschaftsschwerpunkt MAPEX Center for Materials and Processes der Universität Bremen. Eng eingebunden sind darüber hinaus außeruniversitäre Forschungsinstitute der U Bremen Research Alliance.