Waldinventur per Drohne und KI
Mangroven sind „Super-Bäume“: Sie steuern eine Vielzahl von wertvollen Prozessen. Mit einer neuen Methode lässt sich der Bestand der Mangrovenwälder jetzt detailliert erfassen und besser schützen
Im Kampf gegen den Klimawandel sind Mangroven wichtige Verbündete; sie speichern bis zu fünfmal mehr Treibhausgase als andere Bäume. Dank einer von Forschenden aus Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance entwickelten Methode lässt sich der Bestand der Mangrovenwälder jetzt detailliert erfassen – und damit besser schützen.
Für Dr. Arjun Chennu sind Mangroven schlicht „Super-Bäume“. Weil sie in einem extrem salzigen Umfeld gedeihen, weil sie angepasst sind an die tropische Hitze, an die Gezeitenwechsel mit ihrer unterschiedlichen Salinität und weil sie ganz nebenbei noch mit ihren Wurzeln die Küsten schützen vor Erosion sowie als Kinderstube für Fische und andere Meerestiere dienen. Vor allem aber sind sie einmalig aufgrund ihrer Fähigkeit, CO2 in großen Mengen aus der Atmosphäre zu ziehen und langfristig in ihrer Biomasse und im Sedimentboden zu speichern, für Jahrhunderte, wenn nicht sogar für Jahrtausende. „Das“, findet Chennu, „macht sie ziemlich besonders und deshalb sollte es uns nicht egal sein, was mit ihnen passiert.“
Genaue Angaben über die Kohlenstoffvorräte in den verschiedenen Mangrovengebieten gibt es bislang kaum. Schätzungen gehen von 4 bis 20 Milliarden Tonnen aus, die in den Gezeitenwäldern gebunden sind. Chennu, Leiter der Arbeitsgruppe „Data Science und Technologie“ am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), und Daniel Schürholz, Doktorand am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPIMM), beides Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance, wollten es genauer wissen.
„Unser Ziel war, eine Methode zu entwickeln, die jeden einzelnen Baum in einem Wald identifiziert und seine Biomasse erfasst, indem wir die Baumkrone, die Höhe und den Umfang des Stammes ermitteln. Je präziser die Informationen sind, desto genauer kann die gespeicherte Kohlenstoffmenge bestimmt und desto besser können die Bäume überwacht und geschützt werden“, erläutert Schürholz.
Auch bisher schon erstellen Wissenschaftler:innen Inventare von Mangrovenwäldern, vor allem vom Boden aus, aber die Arbeit in dem oft schwer zugänglichen Terrain ist herausfordernd und langatmig. Meist liegen die Gebiete sehr abgeschieden, der Untergrund ist schlammig, man ist mit Scharen von Mücken und anderen Tieren konfrontiert, die Gezeiten schränken den Zugang ein. „In der Regel werden kleine Parzellen vermessen, in größeren Abständen entlang der Küste, und die Ergebnisse dann hochgerechnet“, sagt Chennu. „Dieses Verfahren ist nicht nur schwierig, sondern auch sehr fehleranfällig.“
Das Duo setzte stattdessen auf modernste Technik, auf eine Inventarisierung aus der Luft mithilfe von Drohnen und Künstlicher Intelligenz (KI). „Diese Technologien eröffnen ganz neue Möglichkeiten für die Kartierung von Lebensräumen“, meint Schürholz. Die Bremer kooperierten dabei mit der kolumbianischen Universidad del Valle und den Wissenschaftlern Juan Carlos Mejía-Rentería und Gustavo Castellanos-Galindo, der einst selbst am ZMT tätig war. Ihr Forschungsgebiet war der abgelegene Utría-Nationalpark an der kolumbianischen Pazifikküste, in dem einer der größten und dichtesten Mangrovenwälder weltweit gedeiht mit bis zu 30 Meter hohen Bäumen.
Die Feldarbeit, das Steuern der Drohnen nach einem bestimmten Muster über den Baumkronen und die Luftaufnahmen übernahmen die kolumbianischen Kollegen. In Bremen erstellte die damalige ZMT-Wissenschaftlerin Elisa Casella aus den einzelnen Bildern großflächige und hoch aufgelöste Oberflächenmosaike des Waldes, Schürholz entwickelte die KI zur Erkennung der Bäume.
Das klingt einfacher, als es ist. Doch Baumkronen gehen ineinander über. Wo also ein Baum endet und der nächste beginnt, ist trotz der Bilder, die den Detailgrad von Satellitenaufnahmen deutlich übertreffen, schwer zu bestimmen. Über Wochen identifizierte Schürholz anhand der Aufnahmen einzelne Bäume, mehr als 4.000, und trainierte die KI mit den Ergebnissen. „Ich habe von Bäumen geträumt“, erinnert sich der 33-Jährige lachend. Das maschinelle Lernen war erfolgreich. Die KI war schließlich in der Lage, eigenständig Mangroven und sogar unterschiedliche Arten zu identifizieren. Wofür zuvor Monate gebraucht wurde, gelang nun innerhalb von Stunden: Insgesamt 34.667 Bäume der Mangrovenart Pelliciera rhizophorae erkannte der Algorithmus in dem Untersuchungsgebiet. Zudem wurden 30 Hektar Fläche mit der Roten Mangrove (Rhizophora mangle) kartiert.
„Das Tolle an der Inventarisierung ist: Jeder Baum hat nun eine eigene Identität“, meint Chennu. „Wir kennen seinen genauen Standort und wissen, wie viel CO2 er speichert.“ Ermöglicht wird dies durch die Feststellung des Kronendurchmessers. Sie lässt Rückschlüsse auf die Höhe, den Stammumfang und damit auf die oberirdische Biomasse eines Baumes zu. Daraus wiederum lässt sich die gespeicherte Kohlenstoffmenge ableiten.
Seit den 1980er-Jahren sind nach Schätzungen mehr als ein Drittel der globalen Mangrovenbestände verloren gegangen und haben das in ihnen gespeicherte CO2 in die Atmosphäre entlassen.
Veränderungen am Bestand sind durch die KI-gestützte Inventarisierung ebenfalls leichter feststellbar. Und die sind gewaltig. Mangrovenwälder sind unter Druck, seit Langem schon. Bäume werden gefällt, um das Holz als Brennstoff zu nutzen, Wälder weichen der Landwirtschaft, Hotels oder Aquakulturen. Abwässer, Müll und andere Umwelteinflüsse gefährden das System. Seit den 1980er-Jahren sind nach Schätzungen mehr als ein Drittel der globalen Mangrovenbestände verloren gegangen und haben das in ihnen gespeicherte CO2 in die Atmosphäre entlassen.
Die Inventarisierung per Drohne und KI hilft dabei, diesen Prozess zumindest transparent zu machen. „Das standardisierte Verfahren liefert Entscheider:innen verlässliche und reproduzierbare Daten“, betont Schürholz. Alljährlich können Forstwirt:innen oder andere Anwender:innen so zum Beispiel den Baumbestand eines Waldes mit überschaubarem Aufwand überprüfen. Der Erhalt und das nachhaltige Management des fragilen Ökosystems werden dadurch sehr viel einfacher.
Darüber hinaus ist die Technologie günstig, was ihre Anwendung insgesamt erleichtert. „Bei den Drohnen handelt es sich um Standardware. Ihre Sensoren liefern zwar nur Daten von geringer Qualität, aber mit unserer KI erzielen wir dennoch qualitativ hochwertige Ergebnisse“, erklärt Chennu.
Die Entwicklung der KI ist Teil der Doktorarbeit von Daniel Schürholz, der in Peru aufwuchs und für seinen Master in Computerwissenschaften nach Europa kam. Einen anschließenden Abstecher in die Finanzbranche beendete er schnell. „Ich will mein Wissen für das Gemeinwohl einsetzen, habe nach einem Thema für eine Doktorarbeit gesucht, die das ermöglicht, und bin am MPIMM fündig geworden“, erläutert er seinen Weg nach Bremen. „Ich bin sehr glücklich hier.“
„Bremen ist ein großartiger Platz für marine Forschung. Die Zusammenarbeit innerhalb der U Bremen Research Alliance ist eng und vertrauensvoll.“ Dr. Arjun Chennu
Auch der Physiker Arjun Chennu, in Indien geboren, kam für seine Doktorarbeit ans MPIMM – vor gut einem Dutzend Jahren. Inzwischen ist der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler, der mit dem „HyperDiver“ ein System zur Überwachung von Korallen entwickelt hat, ans ZMT gewechselt. Bremen sei ein großartiger Platz für marine Forschung, meint Chennu, die Zusammenarbeit innerhalb der U Bremen Research Alliance sei eng und vertrauensvoll. So habe das MPIMM für die Waldinventarisierung zum Beispiel Serverkapazitäten zur Verfügung gestellt.
„Den Wald vor lauter Bäumen sehen: Kartierung des Bestandes und Zählung von Bäumen aus Luftbildern eines Mangrovenwaldes mit Künstlicher Intelligenz“, lautet die übersetzte Überschrift des englischsprachigen Artikels, in dem Schürholz, Chennu und Kolleg:innen ihre universell einsetzbare Methode der ökologischen Buchführung beschrieben haben. Sie hoffen nun, dass sie möglichst breitenwirksam auch in anderen Weltregionen angewendet werden. Entsprechende Anfragen liegen bereits vor. Und: Natürlich könnten auch Wälder in Deutschland von der KI profitieren. Sie müsste nur mit den entsprechenden Bildern gefüttert werden.
Nachhaltigkeit als Leitprinzip
Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und Klimaneutralität bestimmen noch stärker als bisher das Handeln der Universität Bremen. Erstmals seit 20 Jahren hat das Kernmitglied der U Bremen Research Alliance sein Leitbild modernisiert und diesen Themen eine herausragende Bedeutung zugeordnet. „Die Welt verändert sich. Das muss sich auch in unserem Leitbild widerspiegeln“, so Professorin Dr. Jutta Günther, Rektorin der Universität. Für Studierende und Mitarbeitende bedeutet diese Weiterentwicklung, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz in allen Bereichen künftig eine bedeutendere Rolle spielen werden. Ein Beispiel hierfür ist der geplante englischsprachige Bachelor-Studiengang „Natural Science for Sustainable Future“. Bereits jetzt ist die Universität bei diesen Themen gut aufgestellt. Beim „UI GreenMetric World University Ranking“, das die Nachhaltigkeit erfasst, erreichte die Universität den 10. Platz – unter weltweit 1183 Teilnehmenden.
Der Artikel stammt aus Impact - Dem Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Institute der bundländerfinanzierten außeruniversitären Forschung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der Tiefsee bis ins Weltall“. Das Wissenschafts-Magazin Impact gibt zweimal im Jahr spannende Einblicke in das Wirken der kooperativen Forschung in Bremen.