Wie schwierige Texte automatisch verständlich gemacht werden können
Der Informatiker Hendrik Heuer entwickelt Anwendungen, die beim Verstehen komplexer Texte helfen sollen
Etwa 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland haben Probleme, einen anspruchsvollen Text zu erfassen, so das Ergebnis der Studie LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität. Im Alltag finden sich überall komplexe Texte, die für Bürgerinnen und Bürger wichtig sind, die aber schwer verständlich sind. Wie können die Betroffenen im Alltag unterstützt werden? Dr. Hendrik Heuer aus der Arbeitsgruppe Informationsmanagement der Universität Bremen nähert sich dem Thema aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz: Er möchte Anwendungen entwickeln, um Texte verständlicher zu machen.
Herr Heuer, wie kann man sich das vorstellen? Sie programmieren eine App, jemand scannt damit einen Text, heraus kommt eine Version in vereinfachter Sprache?
Es wäre toll, wenn das ginge. Aber dafür ist das Thema leider zu komplex. Erst einmal muss man schauen: Was ist eigentlich das Ziel? Es gibt die sogenannte Leichte Sprache, die klar definiert ist und bestimmten Regeln folgt. Sie richtet sich an Personen mit Lernschwierigkeiten. Ein Text, der das Siegel „Leichte Sprache“ trägt, wird von zwei Personen, die selbst auf diese Sprache angewiesen sind, geprüft. Das läuft also sehr formell ab. Solche Texte werden zum Beispiel auf Webseiten von öffentlichen Einrichtungen verwendet, wie auch an der Universität Bremen. Meine Arbeit setzt einen Schritt früher an und richtet sich an eine größere Zielgruppe. Ich möchte Werkzeuge bauen, die Menschen dabei unterstützen, Texte verständlicher zu machen. Diese Werkzeuge entwickele ich dabei in enger Abstimmung mit den zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern. Dabei geht es mir aber nicht nur um Leichte Sprache.
Wie gehen Sie da ran?
Im Vorfeld habe ich vor allem erst eine Vielzahl an Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen geführt um zu verstehen, worauf man bei diesem Thema achten muss. Die erste offene Frage war dabei: Wer ist eigentlich die Zielgruppe? Sind es Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Nicht-Muttersprachlerinnen? Aus den vielen Gesprächen habe ich nun eine Vielzahl an Ideen. Im Moment führe ich eine Studie durch, um zu verstehen, welche dieser Ideen für welche Zielgruppe wirklich hilfreich ist. Es geht aber auch um die Frage, wie man verhindern kann, dass Nutzerinnen und Nutzer das Gefühl bekommen, nicht ernst genommen zu werden.
Wie kann die Anwendung denn am Ende konkret aussehen?
Das lasse ich bewusst offen, da es sich danach richten wird, was von der Zielgruppe gebraucht wird. Aus den Interviews mit den Expertinnen und Experten habe ich drei Beispielszenarien erstellt, in denen verständliche Sprache besonders wichtig ist: Beim Arztbesuch, bei den Corona-Regeln, und beim Thema Wahlen. In allen drei Szenarien ist es sehr wichtig, dass die Zielgruppe die Informationen vollständig und richtig erfasst.
Wie finden Sie nun heraus, wie in diesen Szenarien eine künstliche Intelligenz helfen kann?
Indem ich die Meinungen von vielen möglichen Nutzerinnen und Nutzern sammle. Aktuell mache ich eine Umfrage, in der mir die Zielgruppe selbst sagt, welche Hilfe sie sich in diesen Szenarien wünschen. Zu dieser Umfrage sind alle Menschen eingeladen, die von den Anwendungen profitieren können. Also sowohl Personen mit Einschränkungen als auch Nicht-Muttersprachler:innen sowie alle Personen, die mit ihnen zu tun haben. Mit der Umfrage versuche ich herauszufinden, welche der möglichen Werkzeuge wirklich hilfreich sind.
Die Umfrage läuft noch bis zum 31. Juli 2021. Die Umfrage kann gern an Menschen, die von Anwendungen für verständliche Sprache profitieren können, weitergeleitet werden.
Über Hendrik Heuer
Dr. Hendrik Heuer ist Wissenschaftler an der Universität Bremen. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind Desinformation, verständliche Sprache und die Nutzer:innenerfahrung von Systemen des Maschinellen Lernens, insbesondere YouTube. Er hat Digitale Medien, Human-Computer Interaction und Machine Learning an der Universität Bremen, an der State University of New York at Buffalo (USA), an der Königlich Technischen Hochschule (Schweden), und der Aalto University, (Finnland) studiert.