Forschen zwischen Küche und Computer
Jan Dittrich untersucht, wie wir mit Anleitungen lernen
Backen und Programmieren haben mehr gemeinsam, als man denkt, sagt Jan Dittrich, Doktorand am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft. Denn in beiden Bereichen lernen viele Menschen autodidaktisch mithilfe von Anleitungen. In seiner Forschung untersucht er, wie sie dabei vorgehen.
Ein leckeres Brot backen oder ein würziges Curry kochen – was andere nach Feierabend machen, verbucht Jan Dittrich häufig als Arbeitszeit. Denn während er in der Küche aktiv ist, macht er sich Text- und Audionotizen oder nimmt sich auf Video auf. Ständig gleicht er ab: Was steht im Rezept, was setzt er praktisch um? Gibt es da Unterschiede – und wenn ja, warum? Wie sehr ist er auf das Rezept angewiesen? Ähnliche Fragen stellt er sich an anderen Tagen vor dem Computer. Dann nimmt er sich beispielsweise eine Anleitung vor, um mit der Programmiersprache Python ein einfaches Spiel zu bauen.
Die Ergebnisse seiner Selbstbeobachtungen fließen in seine Promotion ein, an der er seit September 2022 an der Universität Bremen arbeitet. Wie Menschen sich mit Anleitungen neue Fähigkeiten aneignen, das ist die Hauptfrage, die er sowohl für das Backen und Kochen als auch für das Programmieren beantworten möchte. Eine Gegenüberstellung, die nicht gerade naheliegt, aber aus Jan Dittrichs Sicht genau deshalb stimmig ist. „Gerade weil die Bereiche in vielem sehr unterschiedlich sind, stehen die Anleitungen als verbindendes Element im Fokus“, sagt er. Außerdem gibt es in beiden Bereichen viele Menschen, die autodidaktisch lernen. Entsprechend zahlreich sind Anleitungen sowohl in Blogs und Internetforen als auch in Büchern.
Anleitungen – eine Sache der Interpretation
Zentral für Jan Dittrichs Forschung ist das Konzept von „immutable mobiles“, also „unveränderliche mobile Elemente“. Dieser Begriff aus der Technik- und Wissenschaftsforschung beschreibt Dinge wie Karten, Diagramme und wissenschaftliche Veröffentlichungen, die Wissen, das an einem Ort entstanden ist, an einem anderen verfügbar machen sollen. Doch wie gut kann dieser Wissenstransfer gelingen? Das untersucht der Doktorand für Anleitungen, die er ebenfalls zu den „immutable mobiles“ zählt. „Nicht zuletzt durch Bilder, etwa von fertigen Gerichten oder Computerspielen, suggerieren die Anleitungen, dass das gleiche Ergebnis in unterschiedlichen Umgebungen entstehen kann“, erläutert er. In der Praxis zeigen sich allerdings große Unterschiede darin, wie Personen Anleitungen interpretieren.
In seiner Forschung bezieht sich Jan Dittrich wesentlich auf die britische Anthropologin Lucy Suchman, die in den 80er Jahren erforschte, wie Menschen einen damals neu entwickelten Kopierer mit Assistenzsystem bedienten. Dabei untersuchte sie die Wechselwirkungen zwischen dem Kopierer, den Anweisungen des Assistenzsystems und der Situation, in der Menschen es benutzten. Sie stellte fest, dass das System nicht intuitiv nutzbar war, sondern den Nutzenden einiges an Interpretationsarbeit abverlangte. Längst nicht immer funktionierte es wie von den Designer:innen geplant.
Autoethnographische Forschung im Vordergrund
Auf ähnliche Probleme stieß Jan Dittrich, als er nach seinem Studium der Medienkunst und -gestaltung einige Jahre als Designer und UX (User Experience) Researcher bei Wikimedia Deutschland arbeitete. Dort gestaltete er Webumgebungen, die das Lesen und Schreiben von Wikipedia-Artikeln so nutzerfreundlich wie möglich machen sollten. „Diese Arbeit wird in Lehrbüchern und von Designer:innen selber als klarer Ablauf von Schritten beschrieben, die aufeinander folgen“, erläutert er. In der Praxis erlebte er aber, dass seine Arbeit deutlich von diesen Beschreibungen abwich und sich häufig nur grob an sie anlehnte. Dieser Widerspruch zwischen dem idealisierten Ablauf und der Praxis erstaunte ihn immer wieder – und war ein Anstoß, sich wissenschaftlich mit dem Thema zu beschäftigen. Auch seine Programmierkenntnisse erweiterte Jan Dittrich während seiner Arbeit bei Wikimedia. Daher lag es für ihn nahe, Programmieranleitungen in seiner Promotion zu untersuchen.
Einen großen Teil seiner Datenerhebung macht die sogenannte Autoethnographie aus: Hier beobachtet sich Jan Dittrich selbst beim Kochen, Backen und Programmieren. Daneben verbringt er auch Zeit damit, Anleitungen an sich zu analysieren, anderen bei ihrer Arbeit mit Anleitungen zuzusehen und sie in Interviews zu befragen.
„Das Ergebnis ist beim Programmieren oft nicht entscheidend“
Eine seiner Forschungsfragen: Wozu werden die Anleitungen überhaupt genutzt? Während beim Kochen und Backen meistens das Resultat – die fertige Mahlzeit – im Vordergrund steht, ist das beim Programmieren nicht unbedingt der Fall. Solche Anleitungen, berichtet Jan Dittrich, dienen häufig dazu, anhand eines konkreten Beispiels eine Programmiersprache besser zu lernen. Benutzt werden sie sowohl von Personen, die in ihrer Freizeit das Programmieren lernen, als auch von Profis, die ihre Kenntnisse aktuell halten oder erweitern wollen.
Gemeinsam ist sowohl dem Kochen als auch dem Programmieren, dass Anleitungen nur selten genau befolgt werden. „Viele derjenigen, die beruflich programmieren, überfliegen sie nur und schauen sich den zugrundeliegenden Code an“, sagt der Doktorand. Eine Beobachtung, die er in ähnlicher Form auch beim Kochen und Backen machte. Als er sich einmal beim Kochen filmte, merkte er, dass er innerhalb von einer Stunde nur etwa anderthalb Minuten auf das Rezept schaute. Wenn er Anleitungen viel Zeit widmen musste, waren sie häufig anspruchsvoll und überforderten ihn manchmal.
Zwischen Wissenschaft und Praxis
Interessant ist für Jan Dittrich außerdem, in welchen Fällen Anleitungen bewusst abgeändert werden. Hier beobachtet er eine erstaunliche Mischung aus starrem Festhalten an Gewohntem und kreativer Flexibilität, der er wissenschaftlich auf den Grund gehen will. Noch voraussichtlich bis 2025 wird Jan Dittrich an seiner Promotion arbeiten. Bei seiner wissenschaftlichen Arbeit ist ihm der Praxisbezug wichtig – umgekehrt interessierte er sich während seiner Tätigkeit als UX Researcher oft nach wissenschaftlichen Hintergründen seiner Arbeit. „Mich fasziniert besonders die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis“, sagt er.