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Hürdenlauf ins digitale Semester

Vier Lehrende erzählen von ihren Erfahrungen mit der Onlinelehre zum Start des digitalen Semesters

Lehre & Studium

Von Präsenzveranstaltungen zur Onlinelehre: Das digitale Sommersemester stellt für die ganze Uni eine Herausforderung dar. Wie haben die Lehrenden den kurzfristigen Umstieg auf die virtuelle Lehre zum Semesterstart bewältigt? Wir haben Dr. Svantje Guinebert aus der Philosophie, Professor Dr. Thomas Hoffmeister und Professorin Dr. Juliane Filser aus der Ökologie sowie Professor Dr. Ulrich Tadday aus der Musikwissenschaft gefragt. Eine Momentaufnahme.

Svantje Guinebert und ihr Hund Flocke.
©privat

Dr. Svantje Guinebert

Lehrende für Praktische Philosophie und Analytische Existenzphilosophie

Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen in eine reine Onlinelehre umgestaltet, insbesondere die Kurse, die beispielsweise aus einem hohen praktischen Anteil bestanden?

Beim philosophischen Denken und Arbeiten spielt die gemeinsame Diskussion von Argumenten, Ideen und Texten eine zentrale Rolle; das lässt sich von Angesicht zu Angesicht schlichtweg am besten üben. In einem Seminar beispielsweise spiele ich nun mit zeitverschobenen Frage-Antwort-Wechseln: wöchentliche Materialordner mit Vortragspräsentationen, Texten und Aufgaben bieten Inhalte und meine Perspektive darauf; die Fragen an die Studierenden sind möglichst so gewählt, dass sie eigene Schwerpunkte setzen und formulieren; diese werden wiederum in der nächsten Präsentation von mir aufgegriffen. Eine andere Veranstaltung ist mit weniger Aufwand für mich verbunden: Die Studierenden des „philosophischen Ateliers“ haben die Herausforderung angenommen, einen eigenen Blog für die Erstellung und Veröffentlichung philosophisch-essayistischer Artikel zu erstellen, wodurch sie auch nicht-fachliche Fähigkeiten erwerben.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt bei der Auswahl der Onlinetools/Formate?

Eine Herausforderung in der Lehre im Fach Philosophie liegt darin, die Studierenden zum Überdenken eigener und fremder Positionen zu motivieren, das heißt die ihnen verständlich und interessant darzulegen, ohne zugleich den Eindruck zu vermitteln, sie seien in Stein gemeißelt. Außerdem sind für das kritische Durchdenken eines Sachverhalts oder einer Aussage natürlich Konzentration und ruhiges Arbeiten notwendig – aber während ich im Seminarraum einen gewissen Einfluss auf die Arbeits- und Diskussionsatmosphäre habe, habe ich bei der Onlinelehre nicht dieselben Möglichkeiten. Ich versuche darauf zu achten, den Studierenden Material und Hinweise zur Bearbeitung so anzubieten, dass es zu konzentriertem Arbeiten einlädt und ihnen gleichzeitig möglichst viel Freiheit lässt, dies auf ihre jeweils eigene Art zu tun.

Was war bislang die größte Herausforderung bei der Vorbereitung (vielleicht auch schon bei der Durchführung)? Wo sehen Sie jetzt schon große Nachteile der Onlinelehre?

Da sind zum einen die technischen Tücken, die viel Zeit und Nerven in Beschlag nehmen können; zum anderen ist der wichtigste Punkt, scheint mir, das Fehlen der unmittelbaren Interaktion von Angesicht zu Angesicht. Im Seminargespräch kann ich auf hochgezogene Augenbrauen, große Augen und „vorsichtig-kritisches“ Kopfschütteln reagieren. Es ist schon toll, was heute technisch möglich ist – aber es ersetzt nicht den gemeinsamen Denk-Raum, in dem man einander persönlich gegenübersteht. Immer muss erst die Technik gebändigt werden, bevor die Inhalte in ihren wohlverdienten Mittelpunkt treten können.

Worin sehen Sie die Vorteile und Chancen, insbesondere in Hinblick auf die Zukunft, wenn die Pandemie überwunden ist?

Ein Vorteil liegt darin, dass wir herausgefordert sind zu reflektieren, was wir als Lehrpersonen lehrend eigentlich zu bewerkstelligen und sicherzustellen haben. Das eigene Selbstverständnis in den Blick zu nehmen und sich auch mal zu fragen, was dabei eigentlich wichtig oder was vielleicht doch zweitrangig ist, kann eine Chance sein. Darüber hinaus kann es durchaus auch unerwartet interessant sein, alles mal ganz anders machen zu müssen. Es gibt zum Beispiel einen Vorteil, auf den ich im Vorhinein nicht gekommen bin: Studierende, die im Seminar sehr still sind, können sich in wöchentlichen schriftlichen Stellungnahmen viel ausgiebiger und substanzieller äußern, als sie es in einer regulären Seminarsitzung täten. Ihnen kann die technische Hürde dabei helfen, eigene Hürden zu überwinden.


Thomas Hoffmeister ist fürs digitale Semester im Homeoffice gut ausgestattet.
©privat

Dr. Thomas Hoffmeister

Professor für Populations- und Evolutionsökologie und Konrektor für Lehre und Studium

Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen in eine reine Onlinelehre umgestaltet, insbesondere die Kurse, die beispielsweise aus einem hohen praktischen Anteil bestanden?

Ich habe auch zuvor mit Onlinetools gearbeitet, zum Beispiel mit dem Einsatz eines Audience Response Systems, bei dem die Studierenden direkt in der Vorlesung Antworten per Smartphone geben können. Bei Stud.IP wurden ebenfalls auch in den vorherigen Semestern alle Vorlesungsmaterialien hochgeladen. In der jetzigen Situation bereite ich die Vorlesungen mittels Screencasts vor. Für Rückfragen biete ich beispielsweise zur Statistikvorlesung einmal pro Woche einen Chat an, wo ich Fragen beantworte. Und für die Tutorien haben wir uns überlegt, Webmeetings mit virtuellen Gruppenarbeitsräumen zu veranstalten.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt bei der Auswahl der Onlinetools/Formate?

Mir war es wichtig, auf die Wünsche der Studierenden einzugehen. Deswegen bin ich mit ihnen in den Austausch getreten, mit welchen Onlineformaten sie am besten zurechtkommen. Außerdem war mir wichtig, dass eine Art von synchroner Kommunikation weiterhin besteht, weswegen die Webmeetings und der Chat eingerichtet wurden.

Was war bislang die größte Herausforderung bei der Vorbereitung (vielleicht auch schon bei der Durchführung)? Wo sehen Sie jetzt schon große Nachteile der Onlinelehre?

Auch wenn ich vorher bereits Onlinetools für die Lehre genutzt habe, ist es für mich eine persönliche Herausforderung, mich mit neuen Formaten auseinanderzusetzen. Ein Nachteil ist aber, dass die persönliche Interaktion mit den Studierenden bei dem Vorlesungsformat als Screencast fehlt. Bei Fragen in der Vorlesung kann ich mit dem Erklären an der Tafel schneller auf Fragen eingehen und an Gesichtern ablesen, ob der Lehrstoff verstanden wird. Ebenfalls ist es für Lehrende ein erheblicher Mehraufwand, das Semester auf diese Weise vorzubereiten. Und es herrschen weiterhin Unsicherheiten, zum Beispiel bezüglich Prüfungen, die erst mit der Zeit geklärt werden können.

Worin sehen Sie die Vorteile und Chancen, insbesondere in Hinblick auf die Zukunft, wenn die Pandemie überwunden ist?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diese ungewöhnliche Situation in den Griff bekommen und sich neue Möglichkeiten für die Lehre und das Studieren ergeben. Ich würde mir wünschen, dass bei der Rückkehr zur Präsenzlehre, die Verbindung zwischen online und offline in der Lehre vermehrt genutzt wird. Ich sehe darin viele Chancen für die Zukunft, zum Beispiel auch auf internationaler Ebene. Kooperationen mit Universitäten im Ausland könnten vertieft werden – beispielsweise durch Onlinekurse, die unsere Studierenden an anderen Universitäten und umgekehrt nutzen könnten.


Juliane Filser in ihrem Büro zuhause.
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Dr. Juliane Filser

Professorin für allgemeine und theoretische Ökologie

Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen in eine reine Onlinelehre umgestaltet, insbesondere die Kurse, die aus einem hohen praktischen Anteil bestanden?

Beim Tierbestimmungskurs bleiben wir bei der bewährten Bestimmungsliteratur und Zeichnungen, steigen aber um auf Fotos statt realer Tieren. Der Kurs ist sehr groß; die studentischen Hilfskräfte betreuen ihre Gruppen dann über Zoom. Ganz wesentlich hierbei ist die tolle Kooperation mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, die in der Foto-Datenplattform digitib mündet, die wir in kürzester Zeit gerade aufbauen. Bei den Halbtagsexkursionen steht bisher nur das Konzept. Ich werde ein paar einleitende Videos mit ein paar Erklärungen drehen und dann die Studierenden auf eigene Faust losschicken. Auf von mir definierten Routen sollen sie dann mit Ortsbezug Tiere auf Fotos und kleinen Videos festhalten, bestimmen und auf Seafile hochladen. Das werde ich dann entsprechend kommentieren.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt bei der Auswahl der Onlinetools/Formate?

Dass das stabil läuft und wir möglichst wenig online interagieren, um Studierende nicht zu sehr zu benachteiligen, die schlechte Internetverbindung haben. Dagegen wird vieles zum Nachlesen und zur zeitunabhängigen Recherche hochgeladen. Und wir nutzen die Chatfunktion in Stud.IP für datenarme und zeitnahe Kommunikation.

Was war bislang die größte Herausforderung? Wo sehen Sie jetzt schon große Nachteile der Onlinelehre?

Grauenhaft aufwändig ist die Vorbereitung der Prüfungen mit dem Lernmodul ILIAS, weil man jede Frage einzeln eingeben muss und ich bisher noch keine Erfahrung damit habe. Das bereitet mit am meisten Kopfzerbrechen, denn da darf nichts schiefgehen - vor allem bei großen Kohorten! Und manche Studierende sind bei derartigen Gelegenheiten etwas zu kooperationsfreudig…

Worin sehen Sie die Vorteile und Chancen, insbesondere in Hinblick auf die Zukunft, wenn die Pandemie überwunden ist?

Ich muss zugeben, dass mir bis auf die Prüfungen vieles eine Menge Spaß macht. Es schafft Flexibilität, zum Beispiel auf Dienstreisen oder im Fall einer ansteckenden Erkrankung. Vorletzten Winter hatte ich damit schon erste Erfahrungen gesammelt, weil meine große Vorlesung sonst zweimal hätte ausfallen müssen. Außerdem finde ich eine Sammlung digitaler Exkursionen, wie wir sie gerade im Rahmen von „digitib“ diskutieren, sehr attraktiv, sowohl für die Studierenden als auch für mich selbst. Wir können alle noch so viel voneinander lernen!


Dr. Ulrich Tadday

Professor für Historische Musikwissenschaften

Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen in eine reine Onlinelehre umgestaltet, insbesondere die Kurse, die beispielsweise aus einem hohen praktischen Anteil bestanden?

Ich habe meine - nicht nur - „analoge“ Lehre für die „reine Onlinelehre” nicht „umgestaltet“, sondern Gegenstände und Themen neu suchen und auch erfinden müssen, die sich mit (musik-) wissenschaftlichem Interesse auch online erfolgreich verfolgen lassen. Musikwissenschaftliche Vorlesungen und Seminare lassen sich nicht einfach „übersetzen“, als geisteswissenschaftliche Lehrformen haben und behaupten sie ihr Recht sui generis.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt bei der Auswahl der Onlinetools/Formate?

Dass Studierende mittels meiner Onlineangebote zu der allgemeinen Erkenntnis gelangen, wie viel ein Wissenschaftler durch selbständiges Denken, Nachdenken und Tun erreichen kann. Die musikwissenschaftliche Welt bildet sich zuerst im eigenen Kopf mittels Musik, die man spielen und hören, anhand von Noten, die man studieren und anhand von Büchern und Aufsätzen, die man lesen muss. Die gegenwärtige Krise schenkt uns die Erfahrung, den Wert neu zu schätzen, in Freiheit und Einsamkeit forschen zu können, dass Studierende trotz der ungewöhnlichen Lehr- und Lernsituation ihren fachlichen Wissensbestand erweitern, sich mittels meiner Hilfe fachwissenschaftlich weiter bilden können.

Was war bislang die größte Herausforderung bei der Vorbereitung (vielleicht auch schon bei der Durchführung)? Wo sehen Sie jetzt schon große Nachteile der Onlinelehre?

Die “größte Herausforderung” bestand für mich in der Kürze der Zeit, in der ich meine Lehre neu denken und planen musste. Nachteile sind, dass Onlinelehre immer zweidimensional, das menschliche Leben ist aber dreidimensional. Der Nachteil birgt aber insgeheim den Vorteil, dass wir das musikwissenschaftliche Seminar, in dem Professorinnen und Professoren sowie Studierende mit und voneinander lernen, zukünftig noch mehr zu schätzen wissen werden. Oft ist es im Leben so, dass man erst im Falle des unfreiwilligen Verzichtes versteht, was gut ist, was man benötigt, aber vermisst, was einem folglich unverzichtbar erscheint.

Worin sehen Sie die Vorteile und Chancen, insbesondere in Hinblick auf die Zukunft, wenn die Pandemie überwunden ist?

Onlinelehre kann auch zukünftig bei der Wissensvermittlung helfen, ihre Möglichkeiten und Grenzen sind aber stark limitiert. Überspitzt könnte ich sagen, spätestens dort, wo Onlinelehre an ihre Grenzen stößt, fängt Universität an wirklich zu werden.

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