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„Wer wollte, konnte“

Der bekannte Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel gehörte als Professor zur Gründungsgeneration der Universität Bremen.

Uni & Gesellschaft

Begeistert, aber auch kritisch erinnert sich der ehemalige Professor an die Anfänge der Reformuniversität und wie sie heute im Vergleich zu damals dasteht. Hickel ist einer von vier Gästen, die sich über die Gründungszeit im Online-Talk der Universität Bremen und des Alumni-Vereins bei Radio Bremen am 20. Januar abends austauschen werden. Es ist die letzte Veranstaltung in der Reihe „Einfach mal die Welt verändern“ anlässlich 50 Jahre Universität Bremen.

Herr Hickel, mit welchen Erwartungen haben Sie 1971 an die Universität Bremen als Professor angefangen?

Ich bin mit der Begeisterung nach Bremen gekommen, einen Beitrag zu einer modernen Reformuniversität zu leisten, ohne Muff und Talare.

Von welcher Universität kamen Sie damals?

Großgeworden bin ich an der hochwertigen, aber sehr traditionellen Universität Tübingen als Studierender und dann als wissenschaftlicher Assistent. Diese Universität wurde durch die Ordinarienherrschaft geprägt. Danach war ich in Konstanz als Assistent tätig. Die Uni Konstanz war auch eine Neugründung, aber dort ist man einen ganz anderen Weg gegangen als in Bremen. Ich wollte an eine Universität, die wirklich grundlegend reformiert wird.

„Wenn wir uns damals hätten akkreditieren müssen, dann wäre diese Universität so nie zustande gekommen.“

Wie waren die Anfänge in Bremen?

Wir haben hier völlig neue Studienordnungen und Diplomprüfungsordnungen geschrieben, die schon von dem neuen Geist getragen waren: interdisziplinär studieren, also in Kombination von mehreren Fächern. Dafür stand damals das IES, das Integrierte Sozialwissenschaftliche Eingangsstudium. Das zweite war – ganz wichtig – praxisorientiert. Für mich hat es vor allem bedeutet, dass man die Berufsorientierung im gesellschaftlichen Kontext stärkt. Den Bruch zwischen Studium und Praxisrelevanz wollten wir in Bremen überwinden, und das ist uns gelungen.

In der heutigen Welt der Studiengangs-Akkreditierungen wäre es gar nicht mehr vorstellbar, dass man mit Lehre und Studium schon mal loslegt, bevor man überhaupt Studien- und Prüfungsordnungen hat.

Wenn wir uns damals hätten akkreditieren müssen, dann wäre diese Universität so nie zustande gekommen. Das ist logisch, denn wir wollten ein Reformmodell. Das war auch die große Chance. Damals gab es noch wirklich eine Innovationsmöglichkeit von unten, also mit Studierenden und Professor:innen, die Interesse hatten, etwas Neues aufzubauen. Für diesen radikalen Reformansatz haben wir aber auch viel Ablehnung und sogar Hass erfahren. Gerade in meiner Fachwelt, der Wirtschaftswissenschaft, war die Ablehnung riesengroß. Ich habe immer darüber nachgedacht, warum selbst Professor:innen, mit denen ich früher befreundet war, bei Konferenzen nicht mehr mit mir gesehen werden wollten. Offensichtlich bestanden die Angst und die Sorge, dass diese junge Universität im Grunde das Modell der alten Universität demontiert. Bremen wurde als Revoluzzer-Universität ohne Hinweis auf die positiven Ansätze diffamiert.

„Wir waren nie eine rote Kaderschmiede.“

Aber diese kritische, teilweise feindliche Außenwelt hat ja nicht unbedingt zu einem stärkeren Wir-Gefühl in Bremen geführt. Untereinander war man sich an der Uni ja auch nicht immer einig.

In meinem Fachbereich und auch in vielen anderen gab es nie dieses Unitäre, also eine linke Einheitlichkeit, sondern da gab es von Anfang an härteste Auseinandersetzungen, beispielweise über die Frage: welche Rolle spielt die Ökonomie im Staat? Wir waren eine diffuse bunte Welt mit vielen roten Tupfern. Aber wir waren nie eine rote Kaderschmiede. Das war ein Unfug, unter dem wir sehr gelitten haben. Wenn man sich mal überlegt, was Kaderschmiede bedeutet, etwa in der Sowjetunion und in autoritären Staaten, da kann man sagen: ein völliger Quatsch. Das war einfach eine Diffamierung.

„Für mich war immer der wichtigste Prüfstein meiner Arbeit: Wie geht es den Absolvent:innen?“

Aber es gab auch eine andere Seite und da schwingt auch ein bisschen Stolz bei mir mit: Die Universität Bremen war damals offen-plural, aber auch streitsüchtig. Es war zwar vieles schwierig. Ich selber bin ja auch innerhalb von linken Kaderparteien schwer in die Kritik geraten. Aber dass zum Beispiel Conrad Naber, mit 50 Jahren einer der erfolgreichen Unternehmer der Region, an die Uni Bremen kommt, Ökonomie studiert, und sein Studium auch mit einer Diplomarbeit abschließt– das war auch ein Stück Realität. Wer wollte, konnte. Es wird ja gerne gesagt, da seien aus der ganzen Republik die linken Studierenden angereist. Was stimmt – da waren etliche dabei, die an anderen Universitäten frustriert waren. Aber die große Mehrheit waren Bremer Landeskinder. Die haben das auch alles irgendwie mitgemacht. Aber das waren nie linke Revoluzzer.

Für mich war immer der wichtigste Prüfstein meiner Arbeit: Wie geht es den Absolvent:innen? Da haben wir hervorragende Stories – Studierende, die die Uni mit großem Erfolg verlassen haben. Es gibt ein bedeutsames Merkmal unseres Studiums, nämlich „gezwungen“ zu sein, in freier Rede und im Diskurs Argumente zu entwickeln. Das ist eine Eigenart, die man in Bremen gelernt hat. Die konnte man nur lernen, weil alles sehr hautnah und direkt war zwischen den Studierenden und den Professor:innen. Das ist etwas, was die Praxis später fordert, und das haben wir sehr gut vermittelt.

Streitbare Vollversammlungen gehörten in den ersten Jahrzehnten zum Alltag der Universität Bremen.
© Eva-Maria Kuhlke/Universität Bremen

Was ist heute noch von der Reformuniversität geblieben, was hat heute noch Bedeutung?

Wir reden ja immer fast litaneihaft über die drei Kriterien: Interdisziplinarität, Praxisorientierung und Drittelparitität. Wenn ich mir vorstelle, dass ich als Ökonom mit einem Ulrich K. Preuß, einem großen Verfassungsrechtler, und mit Sozialwissenschaftler:innen gemeinsam die ersten vier Semester gestaltet habe, das war großartig. Diese Interdisziplinarität ist so heute nicht mehr zu erhalten.

In der Frage der Praxisorientierung steht die Universität heute ganz gut da. Was aber im Unterschied zur Gründungsphase verloren gegangen ist: Praxis heißt nicht nur berufliche Praxis. Praxis heißt nicht nur, dass ich weiß, wie ich später im Unternehmen eine Rechnungslegung optimiere. Praxis heißt auch, sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Unternehmen als soziale Gebilde zu betrachten, das war ein Ziel.

„Wenn man die Universität von 1971 mit heute vergleicht, hat sie mit den Institutsgründungen und den Sonderforschungsbereichen ein wirkliches Pfund dazu gewonnen.“

Die Drittelparität ist völlig weggerutscht. Wir haben heute eine Universitätsverfassung, die vergleichbar ist mit allen anderen Universitäten. Wir haben Drittelparität eingeführt, um die autoritäre Herrschaft der Ordinarien zu brechen, wie wir es damals formuliert haben. Ich glaube, dass heute die Qualität des Umgangs mit Studierenden und mit Mitarbeiter:innen sehr stark bestimmt wird durch die Persönlichkeit eines Professors beziehungsweise einer Professorin. Institutionelle Voraussetzungen gibt es dafür wenige, und das ist bedauerlich.

Wenn man die Universität von 1971 mit heute vergleicht, dann hat sie mit den Institutsgründungen und den Sonderforschungsbereichen ein wirkliches Pfund dazu gewonnen. In der Gründungsphase hatten wir Angst, dass man mit den Instituten wieder die alte Ordinarienherrschaft bekommt. Das war ein Fehler, auch von mir, der korrigiert worden ist. Heute sind diese Institute große Klasse.

„Es gibt einen hohen Anpassungsdruck durch internationale Kriterien, Standards und Rankings“

Und eine letzte Bemerkung, die ist unangenehm, aber die muss sein: Wir haben bis heute eine gegenüber den Professor:innen lang geprägte Dominanz der Verwaltung. Die Verwaltung spielt in Bremen eine erheblich größere Rolle als in anderen Universitäten. Das war ein Gründungsfehler, den wir nicht gesehen haben. Die Professor:innenschaft war diffus. Sie war selbst in ihren Lebensverhältnissen anders als „normale“ Professor:innen, vor allem nicht machtbesessen. Und damit gab es ein Machtvakuum, das dann die Verwaltung besetzt hat. Heute stellt sich die Frage: was haben die Fachbereiche, was haben die Institute gegenüber der Verwaltung an Entscheidungsautonomie?

Rückblickend ist es so: Es gibt einen hohen Anpassungsdruck durch internationale Kriterien, Standards und Rankings, einen Anpassungszwang, den ich auch sehe. Die Universität hätte jedoch stärker eigene Gestaltungsspielräume nutzen sollen. Unabhängig davon ist die Universität Bremen für mich auf jeden Fall eine in Forschung und Lehre sehr erfolgreiche Uni -und Vorbild auch im internationalen Vergleich.

Informationen zum Online-Talk am 20. Januar:

Der Online-Talk findet am Donnerstag, 20. Januar 2022, von 18 bis 19:30 Uhr im 3nach9-Fernsehstudium statt und wird bei Youtube live auf Deutsch und Englisch übertragen. Unter dem Titel „Wie alles anfing…“ diskutieren vier Gäste über die Gründungszeit der Universität Bremen. Wer das neben Rudolf Hickel ist und wie man sich anmelden kann, erfahrt ihr hier.

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