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Wie Studierende sich gegen Antisemitismus positionieren

Uni & Gesellschaft

Jeder vierte Deutsche denkt antisemitisch. Das ist Ergebnis einer aktuellen Studie des Jüdischen Weltkongresses, der Dachorganisation jüdischer Gemeinden und Organisationen. 1.300 Menschen aus Deutschland haben daran teilgenommen, darunter auch so genannte Eliten, Hochschulabsolventen mit 100.000 Euro Jahreseinkommen.

Breitet sich Antisemitismus zunehmend in Deutschland und damit auch in Bremen aus? Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, kommentierte die Studie: Es sei an der Zeit, dass die gesamte deutsche Gesellschaft Position beziehe und Antisemitismus frontal bekämpfe.

„Wollten bewusst in die Öffentlichkeit gehen“: (von links) Franziska Nobis, Professorin Magdalena Waligorska-Huhle, Julia Chapiro. Nicht im Bild: Clara Hafner.
© Harald Rehling/Universität Bremen

Erfolgreiche Stadtführung

Flagge zeigen, etwas tun, das dachten sich die drei Geschichtsstudentinnen Franziska Nobis, Julia Chapiro und Clara Hafner. Sie besuchen das Seminar zu Neuerer Jüdischer Geschichte bei Professorin Magdalena Waligorska-Huhle. Statt einer Hausarbeit konzipierten sie unter Nutzung von Archiven, letzten Zeitzeugen und Bremer Quellen eine dreistündige Stadtführung. Anlässlich der Deportation von 440 Bremer Juden ins Ghetto Minsk vor 78 Jahren setzten sie die Stadtführung Mitte November 2019 auch um. „Wir wollten bewusst in die Öffentlichkeit gehen. Es kamen so viele Anmeldungen, dass wir einigen Interessenten absagen mussten“, erzählt Franziska Nobis, die im dritten Semester ihres Bachelors ist.

Die drei engagierten Frauen führten zum Mahnmal, zur ehemaligen Synagoge im Schnoor, zum Alten Polizeihaus, wo sie die Unterstützung der Bremer Polizei bei der Judenverfolgung ansprachen, und zu Stolpersteinen. „Wegen der guten Resonanz überlegen wir, ob wir die Aktion wiederholen“, sagt ihre Kommilitonin Julia Chapiro.

Bild 1/20 Studierende der Geschichtswissenschaft haben eine Stadtführung zum jüdischen Leben in Bremen aufbereitet. Ihr könnt sie hier in Form von Bildern und erläuternden Texten erleben. Die Texte basieren auf der Arbeit von Franziska Nobis, Julia Chapiro und Clara Hafner.

Die erste Station der Tour führt zum St. Petri Dom, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der alten Hansestadt. Doch was hat dieser vermeintlich christliche Ort mit der jüdischen Geschichte der Stadt zu tun?
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 2/20 Es geht um die Doppelportale: Im Zuge von Renovierungsarbeiten Ende des 19. Jahrhunderts gestaltete der Kölner Künstler Peter Fuchs den Eingangsbereich des Doms neu. Die Portale zeigen Szenen aus dem alten und neuen Testament. Auch jüdische Menschen sind darauf abgebildet - in einer extrem negativen Art.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 3/20 Zu sehen ist die sogenannte „Judenfratze“, diese Formulierung wurde auch im künstlerischen Gebrauch verwendet und zeigt eine extrem abwertende Gestaltung der Gesichtszüge jüdischer Personen.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 4/20 Allein der Begriff „Judenfratze“ verdeutlicht den extremen Antisemitismus, der in der Gesellschaft vorherrschte.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 5/20 Die St. Petri Gemeinde reagierte auf diese antisemitischen Darstellungen mit einer Gedenktafel, die Ihr neben dem Eingang an der rechten Seite findet. Die Gemeinde versteht die Domportale heute als Mahnmal.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 6/20 In der Kolpingstraße im Schnoor befindet sich das Rosenak-Haus. Von 1876 bis 1938 stand in direkter Nachbarschaft eine Synagoge.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 7/20 Sie wurde in der Reichspogromnacht 1938 von Nationalsozialisten in Brand gesteckt.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 8/20 Eine Gedenktafel erinnert daran.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 9/20 An der Tiefer steht dieses Mahnmal, das an die Morde und die systematische Zerstörung jüdischen Eigentums in der Pogromnacht 1938 erinnert.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 10/20 Der Stein listet die Namen der Getöteten auf.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 11/20 Menschen kommen her und legen unter anderem Steine nieder. In der jüdischen Tradition stehen Steine für die Ewigkeit. Das Schicksal der Opfer soll nie in Vergessenheit geraten.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 12/20 Das ehemalige Polizeihaus am Wall, in dem sich heute unter anderem die Zentrale der Stadtbibliothek befindet, ist ebenfalls ein Ort, der mit dem jüdischen Leben in Bremen verbunden ist.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 13/20 Die Polizei nahm eine Hilfsrolle bei den Deportationen der Juden aus Bremen ein. Es bildeten sich 1940 auch Sonderpolizeibataillone. So richtete das „Polizeibataillon 105“ beispielsweise die Deportation holländischer Juden nach Auschwitz mit aus. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kehrten viele dieser Polizisten als reguläre Beamten in ihren Dienst zurück.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 14/20 Ab dem 15. November 1938 war es jüdischen Kindern laut der Anordnung des Reichserziehungsministers Rust nicht mehr gestattet, öffentliche Schulen zu besuchen. Die Bremer jüdische Gemeinde fand eine Lösung: Ein Raum des Gemeindehauses in der Kohlhökerstraße 6 wurde zum Unterrichtsraum umfunktioniert.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 15/20 Die jüdische Schule sollte die Kinder auch auf eine Flucht in eine sichere Zukunft vorbereiten. Mit Englisch-, Geografie-, Religions- und Hebräischunterricht hat man danach gestrebt, den Schülerinnen und Schülern eine Ausreise aus Deutschland zu ermöglichen. Die späteren Mieterinnen und Mieter des Hauses haben eine Tafel zum Gedenken an die jüdische Schule und die Verstorbenen angebracht. Für jedes Kind wurde in der Nähe des Eingangs ein Stein niedergelegt.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 16/20 Auf dem Hof der heutigen Oberschule am Barkhof wurde am 18. November 1941 die erste Deportation der Bremer Juden vollzogen. Die Menschen wurden in das Ghetto nach Minsk und damit in den sicheren Tod geschickt.
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Bild 17/20 Am Eingang der Oberschule ist ein kleines metallisches Schild zu sehen mit dem Schriftzug: „Keiner blieb verschont“.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 18/20 2014 wurde dieses Schild beschädigt. Mittlerweile ist die Tafel wieder angebracht worden. 2016 wurde von der Oberschule selbst eine Erinnerungs- und Gedenkveranstaltung organisiert, um den 18. November 1941 in das öffentliche Gedächtnis der Bremer Bevölkerung zu bringen und der Opfer zu gedenken.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 19/20 Vor der letzten eigenen Wohnung von Moritz Gompertz, in der Parkallee 31 befindet sich heute ein Stolpersein zu seinem Gedenken. In ganz Deutschland und darüber hinaus gibt es viele dieser Stolpersteine, die an jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnern.
© Matej Meza/Universität Bremen
Bild 20/20 Die Biografie der NS-Opfer könnt Ihr Euch auf der Seite http://www.stolpersteine-bremen.de/ anschauen. Zudem gibt es spezielle Touren zur Stolperstein-Thematik vom „Initiativkreis Stolpersteine Bremen“.
© Matej Meza/Universität Bremen

Wachsender Antisemitismus ist für die Geschichtsstudentinnen ein aktuelles Thema. „Die Gesellschaft ist in einem großen Umschwung, da entsteht Unsicherheit“, erläutert sie. So entwickele sich ein „Sündenbockdenken“ als psychologische Antwort auf Verunsicherung. Franziska Nobis weist ausdrücklich auf die Rolle sozialer Medien hin. „Fake News, rassistische Anmerkungen, Hetze tauchen bei dieser schnelllebigen Kultur auf und rutschen so durch. Mehr als 30 Sekunden zu lesen ist ein zu hoher Aufwand“, sagt sie. Da bliebe irgendwas ungenau hängen. Professorin Waligorska-Huhle, die Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas lehrt, gibt zu bedenken: „Für die vierte Generation nach Kriegsende ist der Holocaust ganz weit entfernt, und die Zeitzeugen sterben aus.“

Große Unterstützung für Lichterkette

Der Anschlag von Halle hat auch an der Bremer Universität für Erschütterung gesorgt. Neben ihrer Stadtführung haben die Studentinnen Bürgerinnen und Bürger zu einer Lichterkette aufgerufen. Unterstützung bekamen sie von der Jüdischen Gemeinde an der Schwachhauser Heerstraße und der Regionalgruppe Bremen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. „Es war für uns ein voller Erfolg, 80 Menschen sind gekommen“, berichtet Julia Chapiro stolz.

Positive Neugierde auf Israel wecken

Till Schmidt hat an der Universität Bremen Politik- und Kulturwissenschaften studiert. Seit zweieinhalb Jahren engagiert sich der 30-Jährige in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und hat an der Weser das Junge Forum mitgegründet, die Jugendorganisation der Gesellschaft. Er will „positive Neugierde“ auf das Land wecken. „Antisemitismus ist nicht nur ein Problem der Ränder, er ist auch stark in der Mitte der Gesellschaft vorhanden“, kritisiert er. Die Betroffenen hätten Angst. „Ein Freund von mir trägt Kippa, zieht aber zur Tarnung eine Mütze darüber, wenn er in der Öffentlichkeit unterwegs ist.“

Schmidt stellt mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern pro Semester bis zu sieben Veranstaltungen auf die Beine. Häufig Diskussionen zu politischen Themen, aber auch regelmäßig israelische Kochkurse sind dabei. Bis zu 120 Leute besuchen die Diskussionen. Ein Beispiel vom 6. April 2020: „Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten, der Türkei und dem Iran“; Vortrag und Diskussion mit dem Publizisten Stephan Grigat. „Wir müssen die Betroffenenperspektive ernst nehmen“, ist die feste Überzeugung des engagierten jungen Bremers. Das Junge Forum ist bei Facebook zu finden.

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