Buchtipp: „KI 2041 – Zehn Zukunftsvisionen“ von Kai-Fu Lee und Qiufan Chen
Rolf Drechsler hat einen spannenden Buchtipp
Künstliche Intelligenz ist in vielen Lebensbereichen schon in wenigen Jahren bestimmend. Schon jetzt spielen selbstlernende Software-Programme eine große Rolle. Als Chatbots, digitale Assistenten und Navigationssysteme steuern sie unseren Alltag. Der Informatiker Rolf Drechsler beschäftigt sich intensiv mit KI, Maschine Learning und Data Science – und ist auch privat ein leidenschaftlicher Science-Fiction-Fan. Das Buch, das er uns empfiehlt, ist eine Mischung aus Fiktion und wissenschaftlichem Sachbuch.
Als Lektüre empfiehlt der Informatik-Professor Rolf Drechsler das Buch „KI 2041 – Zehn Zukunftsvisionen“ der beiden chinesischen Autoren Qiufan Chen und Kai-Fu Lee. Chen, ein chinesischer Science-Fiction-Autor und Lee - der frühere Chef von Google in China gilt heute als führender Spezialist für KI – haben zusammen das Buch mit den zehn Zukunftsvisionen verfasst. Darin geht es um Träume und Masken, um günstige Preise für alles und eine Fülle neuer Jobs, um die Liebe und das autonome Fahren. Das Jahr 2041 dient ihnen als Referenzpunkt.
„Mit Empfehlungen tue ich mich eigentlich schwer“, sagt Professor Drechsler. „Aber dieses Buch mit seinen Kurzgeschichten ist solide recherchiert und bietet in den Analyseteilen sehr realistische Einschätzungen. Es wird immer wissenschaftlich bewertet, wie wahrscheinlich der jeweilige Blick in die Zukunft ist. Das Buch ist spannend, weil in den Geschichten beschrieben wird, was wir aktuell gerade diskutieren.“
Poetische Geschichten und nüchterne Analyse
Das Besondere an dem Buch ist seine Doppelstruktur: Es besteht aus literarischen und wissenschaftlichen Texten, poetischen Erzählungen und nüchterner Analyse. Meist beziehen sich die unterschiedlichen Genres direkt aufeinander - dann liefert der Wissenschaftler analytische Ergänzungen zur fiktionalen Erzählung. Durch diese Besonderheit ist das Werk weder ein Fachbuch noch ein Roman. Das macht den Reiz des Buches aus und weitet den Horizont über das Fachliche hinaus. Auch deshalb wurde es mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022 ausgezeichnet.
„Ich lese privat sehr gerne Romane und fiktive Geschichten“, erzählt Rolf Drechsler, „denn in meinem Job muss ich ohnehin viele Fachbücher studieren. Das Lesen von Geschichten ist für mich immer sehr inspirierend. Dieses Buch nun zeigt Optionen für die Zukunft auf, mit denen immer die Frage verbunden ist, welche Szenarien wir wollen. Wir müssen uns klarmachen:
“Das Neue ist weder böse noch gut. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Dafür brauchen wir ein Verständnis der Technologie. Wir sind schließlich mündige Bürger.“
Der chinesische Blick in die Zukunft wirkt fast durchgängig optimistisch. Auch wenn Probleme nicht geleugnet werden – so wird zum Beispiel die durch die globale Vernetzung mögliche „berührungslose Liebe“ keineswegs als Ideal vorgestellt, sondern als Problem, dem es vorsichtig gilt, zu Leibe zu rücken. Und nach der Erzählung „Quantengenozid“ erörtert Kai-Fu Lee sowohl die Bitcoin-Sicherheit wie die schon heute als konkrete Gefahr erkannte Bedrohung durch autonome Waffen. Letztlich aber – so tröstet er, oder ist gerade das kein Trost? – brauche es keine KI, um die Menschheit zu zerstören. Die eigentliche Gefahr gehe nicht von der Technologie aus, sondern vom Menschen.
„Eines meiner Lieblingsthemen ist die soziale Interaktion mit Maschinen“, sagt Rolf Drechsler. „Werden wir Maschinen als Freunde haben und werden wir ihnen Namen geben? Seit Alexa und Siri können die Geräte uns ja antworten. Und auch die Debatte um ChatGPT zeigt gerade, wie schnell sich diese Technologie weiterentwickelt.
“Die Akzeptanz hängt dabei stark mit dem Kulturkreis zusammen. In Japan beispielsweise ist die Bereitschaft, Roboter in den Alltag zu integrieren, viel größer als bei uns.“
Nicht alles, was technisch möglich sei, setze sich gesellschaftlich auch durch. Dennoch müsse sich die Gesellschaft die Frage stellen, wie weit sie gehen würde. „Würden wir zum Beispiel einen digitalen Zwilling auch nach dem Tod einer Person weiterleben lassen?“, gibt der Informatiker ein Beispiel. Darüber müssten wir nachdenken, auch wenn wir heute noch von vielen Möglichkeiten weit entfernt seien. Dazu gehöre auch das vollständig autonome Fahren.
Bis zum autonomen Fahren sind noch viele Fragen zu klären
„Der heilige Fahrer“, ist im Buch nicht zufällig die Erzählung über das autonome Fahren überschrieben. Seit Jahren ist dieses Thema eine Art heiliger Gral aller KI-Debatten. Und seit Jahren verspricht Tesla-Chef Elon Musk, dass es im nächsten Jahr garantiert soweit sei. Hier nun wird ein talentierter junger Gamer für ein geheimnisvolles Projekt rekrutiert. Analysiert werden soll weniger die Technik als die Typologie menschlicher Fehler. Die Geschichte spielt – auch das zeigt den globalen Ansatz der Autoren – in Sri Lanka.
Zugleich beides zu können: loslassen und die Kontrolle behalten, das sei die eigentliche Anforderung, vor die uns das autonome Fahren stelle. Das meint jedenfalls der Science-Fiction-Autor und zitiert damit das Gitarrengenie Jimi Hendrix. Im anschließenden wissenschaftlichen Text differenziert Kai-Fu Lee exakt die unterschiedlichen Stufen der Entwicklung des autonomen Fahrens und wirft viele Fragen auf, die bis zur flächendeckenden Einführung noch zu klären sind. Dass das autonome Fahren kommen wird und damit zum Beispiel die 3,8 Millionen Arbeitsplätze von LKW- und Taxi-Fahrern, die es allein in den USA gibt, auf Dauer von KI ersetzt werden, ist für ihn absolut sicher. Auf eine Jahreszahl mag er sich jedoch nicht festlegen.
Ohne staatliche Regulierung wird es nicht gehen
Auch die Medizin ist für die KI ein wichtiges Thema. Es eröffnen sich faszinierende Möglichkeiten, davon ist Rolf Drechsler überzeugt. Wir müssen beispielsweise die Frage beantworten, wie durchgescannt und durchgecheckt wir sein wollen. „Maschinen lernen durch Daten“, weiß der Informatiker. Diese Daten können aber auch zur Überwachung genutzt werden. Schon während der Pandemie wurden Kompromisse eingegangen, wurden Gesundheitsschutz und Freiheit gegeneinander abgewogen. Professor Drechsler ist deshalb überzeugt: „Ohne Verständigung, Regeln und auch staatliche Regulierung wird es auf Dauer nicht gehen.“
In dem Buch „KI 2041 – Zehn Zukunftsvisionen“ steht die Exaktheit und Selbstsicherheit des Wissenschaftlers Kai-Fu Lee in einem spannungsreichen Kontrast zur Dramaturgie der stets anschaulichen und dadurch auch sehr menschlichen fiktionalen Verspieltheit des Science-Fiction-Autors Qiufan Chen. Überlegenswerte Anregungen und wichtige Fragen vermittelt das Buch aus Poesie und Wissenschaft auf jeden Fall. Kai-Fu Lee / Qiufan Chen, KI 2041 – Zehn Zukunftsvisionen, Campus-Verlag 2022, 534 Seiten, 26 €
Wer hat eine Buchempfehlung für andere Leseinteressierte?
Es kann Belletristik sein, aber auch Sachbücher sind interessant. Eine Nachricht an die up2date-Redaktion up2date@uni-bremen.de reicht, und wir kommen zum Interview vorbei.