
© Matej Meza / Universität Bremen
„Das Meer bringt Wunder hervor“
Eines dieser Wunder ist für die Biologin Dr. Marlis Reich der Gegenstand ihrer Forschung: Meerespilze
Nein, natürlich sehen sie nicht aus wie Champignons oder Fliegenpilze. Aber wer weiß das schon so genau? Dass die Meere überhaupt Lebensraum von Pilzen sind, beschäftigt die Wissenschaft noch nicht sehr lange. Diese sehr diversen Organismen sind weitgehend unerforscht. Was ihre Faszination ausmacht, ihre Rolle im marinen Ökosystem und welche Bedeutung ihre Forschung auch für ihre Lehre hat, erläutert Dr. Marlis Reich, Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Ökologie, zum Welttag der Ozeane am 8. Juni.
Wann ihr Interesse an Pilzen begann, kann Marlis Reich noch ziemlich genau benennen. Das war während des Biologie-Studiums in Tübingen Anfang der 2000er Jahre. Damals beschäftigte sich die heute 44-Jährige erstmals mit Pilzen, vor allem mit terrestrischen, weniger mit marinen. „Niemand wusste Genaues über Pilze im Meer“, erinnert sie sich. Als die Wissenschaftlerin 2011 von Göttingen nach Bremen wechselte, nahm sie diesen Faden wieder auf. „Hier arbeiten so viele Menschen am Thema Meer. Meerespilze zu entdecken war meine persönliche Mondlandung, bis heute haben sie mich gepackt. Da gibt es ganz viele grundlegende Dinge zu erforschen.“
Pilze sind überall
Zum Beispiel ihre Morphologie, ihre Gestalt und Form. „Wir wollen erfassen, was da draußen rumschwimmt“, sagt Reich. In Salz- und Süßwasser, von der Küste bis zur Tiefsee, in der Wassersäule und im Sediment – Pilze sind überall. Ähnlich wie Spermien schwimmen manche tatsächlich herum, andere lassen sich treiben. Wie viele unterschiedliche Arten es gibt? Niemand weiß es genau.
„Ihre morphologische Diversität ist faszinierend“, findet Reich. Etwa die der Hefepilze, über die sie forscht. Einige der Einzeller wachsen, indem sie Knospen bilden, aus denen neue Knospen entstehen. Sind es dann noch Ein- oder schon Mehrzeller? Nur wenn die Strukturen der Pilze und ihre Form auch beschrieben werden, wenn Daten miteinander verglichen werden, können ökologische Fragestellungen geklärt und Änderungen festgestellt werden. Eben das ist das Ziel eines Forschungsprojekts der Wissenschaftlerin, das darauf abzielt, mithilfe Künstlicher Intelligenz die unterschiedlichen Formen automatisch zu erkennen und zu kategorisieren.

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Akteure des Klimawandels
Die Struktur wiederum ist bestimmend für ihre Funktion. Und eine ganz wesentliche ist der Abbau von Kohlenstoff im Meer und dessen Speicherung in der Tiefsee. Lange Zeit war die Wissenschaft der Ansicht, dass Bakterien den Kohlenstoff binden. Inzwischen ist bekannt, dass auch die Pilze in dem Prozess der Kohlenstoffsenke eine wichtige Rolle spielen. „Pilze besitzen einzigartige Eigenschaften, die es ihnen erlauben, diverse und teils sehr komplexe Substrate zu zersetzen und vielfältige Interaktionen mit anderen Organismen einzugehen.“ Auch für medizinische Anwendungen wird den marinen Pilzen übrigens ein hohes Potenzial zugeschrieben.
Welche Rolle genau die Pilze beim Abbau organischer Substanzen spielen, wie die Interaktion zwischen Pilzen und Bakterien sowie zwischen den Pilzen untereinander ist, ist Gegenstand ihrer Forschung. Diese führte sie bis an die Arktis, auf einer Fahrt mit dem Forschungsschiff Polarstern im Jahr 2024. Auch vor der Haustür in der Nordsee und der Elbe hat sie gearbeitet.
„Ich kann nur gute Lehre machen, weil ich diesen kontinuierlichen Input durch die Forschung habe.“
Nicht minder wichtig als ihre Forschung ist der gebürtigen Hannoveranerin ihre Lehre. Sie unterrichtet etwa im englischsprachigen Bachelor-Studiengang „Natural Sciences for Sustainability” oder im Master „Ecology“. „Ich kann nur gute Lehre machen, weil ich diesen kontinuierlichen Input durch die Forschung habe.“ So kann sie ihre Studierenden mit den neuesten Techniken der Gen-Sequenzierung vertraut machen. Oder sie bezieht Menschen in ihre Lehre ein, die sie in der Forschung kennenlernte.

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Impulse für die Lehre
Zum Beispiel den Juristen, auf den sie auf der Polarstern traf und der für Deutschland in den Vereinten Nationen über Schutzzonen im offenen Meer verhandelt. Marlis Reich konnte ihn für ein Rollenspiel gewinnen, in dem es zum Beispiel um die Veranschaulichung der unterschiedlichen Interessen von Staaten am Meer ging; etwa um Fischerei versus Erhalt der Biodiversität.
Ein ungewöhnlicher Zugang für eine Biologin. „Das macht mir eben auch viel Spaß an diesem Job, dass ich die Möglichkeit habe, mich mit anderen Disziplinen zu vernetzen.“ Im kommenden Semester wird sie dies mit einer Materialwissenschaftlerin vom Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien (IWT) tun. Dabei geht es um den Bewuchs an Pfeilern von Windkraftanlagen im Meer, der potenziell zu Korrosion führen kann. „Ökologisches Wissen kann da sehr hilfreich sein. Und das mit einer Materialwissenschaftlerin zu diskutieren belebt dann auch den Kursalltag.“
Gleichzeitig mit jungen Menschen arbeiten und Forschung machen zu können, empfindet Marlis Reich als Privileg. Und das zu einem Thema, das sie immer wieder überrascht. „Das Meer“, sagt sie, „bringt Wunder hervor.“ Auch das Bewusstsein für dieses Wunder möchte sie bei ihren Studierenden schärfen. Nicht nur durch die Vermittlung wissenschaftlicher Methoden, sondern auch durch die Schulung der Sinne und der Wahrnehmung. „Ich möchte auch vermitteln, dass man das Meer und die Natur schützen muss.“
Weitere Informationen
Zur Webseite der Arbeitsgruppe Molekulare Ökologie