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Dem Hodenkrebs 
auf der Spur

Wie zwei Absolventinnen der Universität Bremen mit ihrem Start-Up wertvolle Forschungsergebnisse in ein marktfähiges Produkt umsetzen

Uni & Gesellschaft

Studiert, promoviert, erfolgreich geforscht – und dann? Vor dieser Frage standen eines Tages auch Dr. Meike Spiekermann und Dr. Nina Winter. Erstere hatte an bahnbrechenden Entwicklungen zur Diagnostik von Hodenkrebs mitgewirkt, die andere ebenfalls in der Humangenetik geforscht und promoviert. Als aussichtsreiche wissenschaftliche Ergebnisse nach einer Vermarktung riefen, hatten beide Mut und gründeten ein eigenes Unternehmen: miRdetect.

In ihrem Biologiestudium an der Bremer Universität hatte sich Meike Spiekermann für Humangenetik als Schwerpunkt entschieden. Ihre Diplom- und Doktorarbeit schrieb sie bei PD Dr. Gazanfer Belge, einem der führenden Forscher auf dem Gebiet des Hodenkrebses – und wirkte daran mit, dass es zu ersten bemerkenswerten Erfolgen auf diesem Gebiet kam (siehe Text auf Seite 53 unten). „Die Rückmeldungen sowohl von klinischer Seite als auch aus der wissenschaftlichen Community waren großartig“, sagt sie heute. Sie blieb dran: „MicroRNAs als Biomarker bei Patienten mit testikulären Keimzelltumoren“ war Thema ihrer Promotion, der weitere wissenschaftliche Weg schien vorgezeichnet. Krönung war eine Veröffentlichung in „European Urology“, einer der wichtigsten urologischen Zeitschriften.

Doch es gibt keinen Automatismus, dass erfolgreiche Forschung auch in eine aussichtsreiche wissenschaftliche Karriere führt. Nina Winter hatte an der Hochschule Bremen „Technische und angewandte Biologie“ studiert und dann im damaligen Zentrum für Humangenetik der Universität promoviert, allerdings in einem ganz anderen Themenbereich: Tumor- und Pränataldiagnostik. Und weil sich für sie wie für Meike Spiekermann die Frage stellte, wie es nach der Promotion weitergehen sollte, fiel schließlich die Entscheidung: „Wir starten ein eigenes Unternehmen. Denn die Ergebnisse der Biomarker-Forschung auf dem Gebiet des Hodenkrebses waren so vielversprechend, dass wir eine Marktchance gesehen haben“, so Nina Winter.

Bösartiger Tumor bei jungen Männern

Weltweit warten die urologischen Kliniken auf ein Werkzeug, mit dem sowohl der Nachweis als auch die Nachbehandlung von Hodenkrebs einfacher und sicherer durchgeführt werden können. Hodenkrebs ist der häufigste bösartige Tumor bei jungen Männern zwischen 20 und 45 Jahren. Ein wichtiges Hilfsmittel zur Beurteilung des Krankheitsverlaufes ist die Bestimmung der Konzentration sogenannter Biomarker im Blut der Patienten. Aber zuverlässige Marker fehlten den Ärzten lange Zeit – jetzt sind sie dank der Forschungen der Universität Bremen verfügbar. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich ihre Arbeit patentieren lassen. „Das war eine wichtige Voraussetzung für unsere Unternehmensgründung. Wir haben uns durch UniTransfer, die Transferstelle der Universität, beraten lassen. Eine große Hilfe war auch die Begleitung durch die bremische Patentverwertungsagentur InnoWi. Ein EXIST-Forschungstransferprojekt, finanziert vom Bundesministerium für Wirtschaft, hat uns dann die ersten Schritte – im Kern die konkrete Entwicklung der Geschäftsidee – ermöglicht“, sagt Meike Spiekermann.

„Für ein Start-Up ist Medizintechnik eine besonders große Herausforderung.“ Dr. Nina Winter, miRdetect-Geschäftsführerin

Im Mai 2016 wurde schließlich die miRdetect GmbH gegründet, nicht nur von den beiden als Geschäftsführerinnen fungierenden Biologinnen, sondern auch unter Beteiligung sowohl der Forschungs- als auch Anwenderseite. Der Unternehmensname bezieht sich auf die microRNA 371, den Marker, der Hodenkrebs detektiert. „Es war nicht leicht, das Eigenkapital für eine Existenzgründung zusammenzubekommen. Aber die Idee und das Produkt überzeugten weitere Investorinnen und Investoren – zeitweise auch aus unserer Verwandtschaft“, schmunzelt Nina Winter.

Test-Kit wird bald zugelassen

Das Ergebnis der miRdetect-Arbeit ist nun ein Test-Kit, das alle notwendigen Reagenzien enthält und bald „gebrauchsfertig“ an die Labore verkauft werden soll. „Es zeichnen sich zunächst einige Großkunden in Deutschland ab. Noch ist der Test im Zulassungsverfahren, wir werden ihn sehr wahrscheinlich ab 2020 am Markt haben“, so Meike Spiekermann. „Für ein Start-Up ist Medizintechnik eine besonders große Herausforderung. Die Zulassung von Arzneien oder Produkten ist ein steiniger Weg.“ Aber dass man 2017 zum Beispiel beim Science4Life Venture Cup – einem bundesweiten Wettbewerb für die besten Businesspläne der Branchen Life Science, Chemie und Energie – unter die besten zehn von 72 eingereichten Geschäftsmodellen kam, zeigt schon, dass ­miRdetect in Expertenkreisen große Chancen als Unternehmen eingeräumt werden.

Während die miRdetect-Chefinnen zu Beginn noch in Büros der Universität und im Bremer Innovations- und Technologiezentrum (BITZ) am Aufbau ihrer Firma feilten, sind sie mittlerweile weiter nördlich gelandet. „Trotz langer Suche gab es in Bremen keine geeigneten Räumlichkeiten für unsere Bedürfnisse“, sagt Nina Winter. Die fanden sie schließlich in Bremerhaven: Im dortigen Bio Nord Biotechnologiezentrum hat miRdetect seit Juli 2017 rund 125 Quadratmeter Büro- und Laborräume zur Verfügung, dazu ein Umfeld, das auch thematisch zu der eigenen Arbeit passt. Und es werden hochwertige Arbeitsplätze geschaffen: So wurde beispielsweise Dr. Arlo Radtke, der im Fachbereich Biologie/Chemie gemeinsam mit PD Dr. Gazanfer Belge die jüngste große Forschungsstudie mit 37 europäischen Kliniken durchgeführt hatte, nach Abschluss der Arbeit sofort von miRdetect eingestellt. „Arlo Radtke bringt das aktuellste wissenschaftliche Know-how mit – und natürlich die Kontakte zu den Kliniken und Laboren, die künftig möglichst zu unserem Kundenstamm gehören sollen“, sagt Meike Spiekermann.

Andere Krebsarten als Fernziel

Auf lange Sicht ist von den beiden Geschäftsführerinnen geplant, das zunächst auf Hodenkrebs begrenzte Tumornachweisverfahren auf andere Krebsarten auszuweiten. „Das ist noch einmal sehr viel Arbeit – aber wir wissen, dass unsere Methode auch für andere Biomarker anwendbar ist“, so Nina Winter. „Aber das ist noch Zukunftsmusik. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen!“

Marktchance dank erfolgreicher Biomarker-Forschung: Die Ausgründung miRdetect will das Tumornachweisverfahren mittelfristig auch auf andere Krebsarten ausweiten.

Foto: miRdetect GmbH

Tumorforschung auf höchstem Niveau:

Bei der Erforschung von Biomarkern für Hodenkrebs spielt die Arbeitsgruppe des Humangenetikers PD Dr. Gazanfer Belge (Fachbereich Biologie/Chemie) international eine wichtige Rolle. 2012 wurde von ihr ein Biomarker gefunden, der für die Erkennung und Nachbehandlung von Hodenkrebs einen bedeutenden Schritt nach vorne bedeutete. In einer mehrjährigen Anschlussstudie – finanziert von der Wilhelm Sander-Stiftung für Krebsforschung mit 170.000 Euro – wurde dieser Biomarker in Kooperation mit 37 europäischen Kliniken zuletzt stark weiterentwickelt.

Die Genauigkeit des Markers ist nachweislich so hoch, dass ein klinischer Einsatz deutlich näher rückt. Die Ergebnisse dieser Studie wurden in einer der hochrangigsten Wissenschaftszeitschriften der Welt publiziert: dem Journal of Clinical Oncology. Aufgrund der aufsehenerregenden Erfolge der Forschungen an der Bremer Universität hat sich die Deutsche Krebshilfe entschlossen, mit 183.000 Euro eine weitere Nachfolgestudie zu finanzieren. Und die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) hat die Bremer Studie im September 2019 auf dem Deutschen Urologenkongress mit dem „Maximilian Nitze-Preis“ ausgezeichnet, der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung dieser Zunft.

Pressetext zu den Tumorforschungen von PD Dr. Gazanfer Belge.

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