
© Arcelor Mittal – Kerstin Rolfes
Energie neu denken
Mit dem Projekt „hyBit“ soll die Wasserstoffwirtschaft transformiert werden – zum Beispiel im Industriehafen Bremen
Bei der Energiewende geht es nicht nur um technische Lösungen, sondern auch um deren breitenwirksame Anerkennung in der Gesellschaft. Beides will das Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme (BEST) vorantreiben – etwa durch das Projekt „hyBit“. Es beschäftigt sich mit der Transformation der Wasserstoffwirtschaft in Norddeutschland und hat vor allem den Bremer Industriehafen im Blick. Dort steht der größte CO2-Emittent der Stadt, das Stahlwerk von ArcelorMittal.
Die rechteckigen Kästen, die an der Stirnseite des Labors von Prof. Dr. Johanna Myrzik angebracht sind, geben einen Hinweis auf die Herausforderungen. Es sind Wechselrichter, die den Strom von Solaranlagen oder auch Balkonkraftwerken in den netzüblichen Wechselstrom umwandeln. Bislang garantieren wenige zentrale Kraftwerke die Stromversorgung, künftig wird sie dezentral und fluktuierend sein, beruhend auf einer Vielzahl erneuerbarer Energiequellen. Was bedeutet es für die Stromnetze, wenn auf jedem Dach eine Solaranlage prangt? Wie kann man die Netzstabilität sichern? „Das“, sagt Johanna Myrzik, „können wir in unserem Smart-Grid-Labor simulieren.“

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Von einem Paradigmenwechsel, von einer völlig neuen Erfahrung im Umgang mit Energie, die ein neues, ganzheitliches Denken erfordert, spricht die Leiterin des Instituts für Automatisierungstechnik an der Universität Bremen. Ein Ausdruck dieses neuen Denkens ist BEST, das 2022 gegründete, interdisziplinär zusammengesetzte Bremer Forschungszentrum für Energiesysteme an der Universität, dessen Sprecherin die Wissenschaftlerin Myrzik ist.
„Die starke Flexibilisierung von Energiesystemen bedeutet nicht nur einen technischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Wandel. Sie ist mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden, mit denen es umzugehen gilt.“ Prof. Dr. Johanna Myrzik
Finanziert vom Land Bremen sind in diesem Verbund Ingenieur-, Mathematiker- und Physiker:innen, auch Rechts-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaftler:innen der Universität zusammengeschlossen, sowie über Kooperationsprofessuren weitere Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance, wie das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM und das Leibniz- Institut für Werkstofforientierte Technologien - IWT. Das Ziel des Verbundes: Wissen zusammenführen, Lösungen anbieten, die Sichtbarkeit der Energieforschung erhöhen, Forschungsgelder einwerben, die Ausbildung des Nachwuchses verbessern. Sein Motto: Energie für Wirtschaft und Gesellschaft.
„Die starke Flexibilisierung von Energiesystemen bedeutet nicht nur einen technischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Wandel. Sie ist mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden, mit denen es umzugehen gilt“, betont Myrzik. „Die technisch beste Lösung hat zwar ein großes Potenzial, umgesetzt zu werden. Aber wenn sie nicht angenommen wird, wenn sie nicht in den Köpfen ankommt, dann haben wir schon verloren“, ergänzt Dr. Torben Stührmann – und erinnert an die Diskussionen über die Förderung von Wärmepumpen.
Stührmann, Leiter der „Arbeitsgruppe Resiliente Energiesysteme“ an der Universität Bremen, verantwortet maßgeblich den bislang großen Erfolg von BEST: das Projekt „hyBit“. Mit 32 Millionen Euro finanziert das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Vorhaben, in dessen Zentrum einer der größten Arbeitgeber des Bundeslandes mit mehr als 3.000 Beschäftigten steht: das Stahlwerk von ArcelorMittal im Industriehafen. Jährlich stößt es sechs Millionen Tonnen und damit rund die Hälfte der CO2-Emmissionen in Bremen aus.
Auf dem Weg in die Klimaneutralität hat es einen enormen Wasserstoffbedarf. Welche technischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und auch ökologischenBedingungen braucht es für diesen Prozess, für den Aufbau eines Wasserstoff-Hubs im Industriehafen mit seinen 50 weiteren Unternehmen unterschiedlichster Branchen? So dass die Bremer Klimaziele erreicht werden? Darum vor allem geht es in „Hydrogen for Bremen’s industrial transformation“, kurz: hyBit.

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Wasserstoff ist der Motor der Transformation und die Stahlbranche eine der ersten, die die Umstellung von Kohle und Erdgas auf grünen Wasserstoff, erzeugt aus Wind- oder Wasserkraft, angeht. HyBit soll aber aucheinen Impuls für die Entwicklung einer norddeutschen Wasserstoffökonomie setzen, mit Wasserstoff-Hubs als Ausgangspunkt für den Aufbau einer norddeutschen Wasserstoffwirtschaft. Der Industriehafen mit dem Stahlwerk ist die Bremer Keimzelle eines solchen Hubs, an dem die Erzeugung, Verteilung und Nutzung von Wasserstoff gebündelt wird.
Fünf Forschungsbereiche hat das Projektkonsortium definiert, zu dem bundesweit 19 Partner aus Industrie und Wissenschaft gehören. Zu ihnen zählen mit der Universität Bremen, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und dem Fraunhofer IFAM insgesamt drei Einrichtungen der U Bremen Research Alliance. Geleitet wird das Konsortium von Stührmann; alleine zehn Arbeitsgruppen unterschiedlichster Disziplinen der Universität sind an hyBit beteiligt.
Erforscht werden sollen etwa der Aufbau einer CO2-neutralen Logistik, die Errichtung von Infrastrukturen für den Transport von Strom, Wärme und Wasserstoff oder auch Strategien für die Nutzung von Elektrolyseuren, die Wasser in Wasserstoff umwandeln. Auf die Erzeugung, Speicherung und den Transport von Wasserstoff ist das Fraunhofer IFAM spezialisiert. Das DFKI hingegen befasst sich im Rahmen vonhyBit mit der Modellierung und Sozialsimulation der Transformationsprozesse, das beinhaltet etwa Fragen zum Energiebedarf und dessen Nutzung sowie zur Mobilität

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
All diese Prozesse, alle Daten, Messungen und Forschungsergebnisse sollen in einer Transformationsplattform gebündelt, ausgewertet und sichtbar gemacht werden. Der Raum, in dem dies geschieht, heißt „Virtual Transformation Lab“. In ihm wurde ein interaktiver Planungstisch und eine riesige Video-Wand installiert. „Hier wollen wir gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Akteuren auf Basis der erhobenen Daten direkt diskutieren und neue Lösungsansätze gestalten“, sagt Stührmann.
15 bis 20 Jahre werde der Wandel der industriellen Infrastrukturen im Bremer Industriehafen und in Norddeutschland in Anspruch nehmen, schätzt Stührmann. So untersucht das Projekt im Industriehafen auch neue Verfahren zur Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität nicht zuletzt, um die Sicherheit und Stabilität des Energiesystems zu gewährleisten. „Wenn wir die Energiewende erfolgreich gestalten wollen, müssen diese Sektoren gekoppelt werden“, betont der Wissenschaftler.
„Auf Basis von Daten und Modellen wollen wir mit allen Beteiligten den Transformationsprozess diskutieren. Nur gemeinsam können wir gewinnen.“Dr. Torben Stührmann
Technische Herausforderungen zu meistern und Lösungen zu finden ist das Eine, ihre Akzeptanz und auch ihr Transfer in die Stadt hinein das Andere. Sowohl bei der Produktion von Wasserstoff als auch bei der Herstellung von grünem Stahl entsteht Wärme. „Durch die neu entstehenden Infrastrukturen im Industriehafen gibt es jetzt ein einzigartiges Zeitfenster, um die Abwärmepotenziale bestmöglich zu nutzen“, meint Stührmann – etwa um einzelne Quartiere in der Stadt durch Wärmenetze zu versorgen. „Das geht nur mit der Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen sie einbeziehen“, betont Stührmann. Im Dialog, in den etwa auch Behörden, Wärmegenossenschaften oder der Versorgungsdienstleister swb eingebunden sind, will er Vertrauen und Verständnis schaffen. „Nur gemeinsam können wir den Transformationsprozess erfolgreich gestalten.“

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„Mit BEST und einem Projekt wie hyBit wird unsere Energieexpertise noch sichtbarer.“ Prof. Dr. Johanna Myrzik
„Bremen hat die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer erfolgreichen Wasserstoffwirtschaft“, ergänzt Johanna Myrzik. Das Land profitiert von den Offshore-Windparks vor der Tür, den Onshore-Kapazitäten im Umland, dem Hafen und der Logistikindustrie sowie dem Zugang zur europäischen Strominfrastruktur – und einem exzellenten Forschungsumfeld. „Mit BEST und einem Projekt wie hyBit wird unsere Energieexpertise noch sichtbarer“, sagt die Professorin für Automatisierungstechnik, die 2018 von der Technischen Universität Dortmund nach Bremen wechselte. Wie Stührmann schätzt sie an der Universität insbesondere ihr Bekenntnis zur Nachhaltigkeit und die Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit, etwa auch im Rahmen der U Bremen Research Alliance.

© BEST
Gestärkt werden soll durch BEST auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dazu zählen eine interdisziplinäre Ringvorlesung und der Ausbau der Doktorandenausbildung. Geplant ist zudem der Aufbau eines Bremer Campus-Energielabors, der bestehende Einrichtungen auf dem Campus vernetzt und ausbaut. Dazu wird auch das Smart-Grid-Labor von Johanna Myrzik erweitert, um einen Elektrolyseur und Batteriespeicher. Den Bewilligungsbescheid hat die Wissenschaftlerin gerade bekommen.
Über das hyBit Projekt
Lernort BESTVILLE
Es wird ein lebendiges Experimentierfeld für nachhaltige urbane Energiesysteme sein, offen für alle Interessierten, ein Lernort und zugleich auch ein Ort der Forschung. Im Frühjahr 2025 eröffnet das Tiny-House Village BESTVILLE, bestehend aus energietechnisch interagierenden Tiny-Häusern, die auch als Gemeinschaftswerkstatt und temporäre Wohnstätte dienen. Das Ziel ist, ein Verständnis für die komplexen Energiesysteme und deren resiliente Gestaltung zu fördern, innovative Lösungen zu entwickeln und direkt erfahrbar zu machen für die unterschiedlichsten Zielgruppen. Jedes Haus steht für ein anderes Thema. Der Hauptstandort von BESTVILLE liegt in der Nähe des Technologieparks. Doch alle Tiny Houses sind mobil und können in die Stadtteile verlagert werden.
Weiter Informationen zum Lernort Bestville
Der Artikel stammt aus Impact - Dem Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Institute der bundländerfinanzierten außeruniversitären Forschung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der Tiefsee bis ins Weltall“. Das Wissenschafts-Magazin Impact gibt zweimal im Jahr spannende Einblicke in das Wirken der kooperativen Forschung in Bremen.