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Entkoppelte Lebenswelten in Deutschland: Einblicke aus dem ersten FGZ-Zusammenhaltsbericht

Soziale Blasen und ihre Auswirkungen auf unsere Weltanschauung

Forschung / Uni & Gesellschaft / Zusammenhalt

Der erste Zusammenhaltsbericht des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) offenbart überraschende Muster in den sozialen Netzwerken Deutschlands. Er zeigt, wie homogene Bekanntenkreise unsere Weltsichten und Erfahrungen prägen.

In einer umfassenden Studie, die von über 12.000 Befragten getragen wird, stellt das FGZ fest, dass große Teile der deutschen Bevölkerung in gleichartigen sozialen Bekanntenkreisen leben. Diese Homogenität hat direkte Auswirkungen auf ihre Weltanschauungen und Erfahrungen. Die stärkste Tendenz zur Netzwerksegregation zeigt sich unter AfD- und Grünen-Wähler:innen sowie unter hochgebildeten, muslimischen und ländlichen Bevölkerungsgruppen.

Repräsentativer Datensatz für Deutschland

Diese Erkenntnisse sind das Ergebnis einer repräsentativen Längsschnittstudie, die das FGZ in Kooperation mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) durchführt. Neben neu entwickelten Messinstrumenten zur Zusammensetzung sozialer Netzwerke umfasst das Frageprogramm verschiedenste Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts und sozio-ökonomischer Ungleichheiten.

Der Bericht widmet sich der Untersuchung der weitverbreiteten Annahme, dass Menschen in Deutschland kaum Berührungspunkte mit anderen sozialen Gruppen haben und sich in alltagsweltlichen „Blasen“ bewegen. Die umfangreiche Datenbasis der Studie ermöglichte es, ein breites Spektrum an Einstellungen, Emotionen und Praktiken in Bezug auf ihre soziostrukturellen Hintergründe zu analysieren.

Professor Olaf Groh-Samberg
Professor Olaf Groh-Samberg
© Lukas Klose / Universität Bremen

Professor Olaf Groh-Samberg, Soziologe der Universität Bremen, geschäftsführender Sprecher des FGZ und einer der Hauptautoren, unterstreicht die Bedeutung der Studienergebnisse: „Unser Bericht zeigt, dass es die sprichwörtlichen ,Filterblasen‘ auch in der ,analogen Welt‘ gibt. Menschen in homogenen sozialen Netzwerken neigen dazu, unterschiedlich zu denken, zu fühlen und zu handeln im Vergleich zu denen in gemischten Netzwerken.“

Homogene soziale Netzwerke: vor allem bei Grünen- und AfD-Anhänger:innen

Weitere zentrale Befunde: Eine starke Tendenz, „unter sich“ zu bleiben, ist vor allem bei Grünen- und AfD-Sympathisant:innen zu beobachten. 50 Prozent der potentiellen AfD-Wähler:innen berichten, dass sich ihre Bekanntenkreise überwiegend aus AfD-Sympathisant:innen zusammensetzen; unter potentiellen Grünen-Wähler:innen haben sogar 62 Prozent politisch homogene Netzwerke. Ebenfalls stark ausgeprägt ist diese Tendenz zur Netzwerksegregation bei Personen muslimischen Glaubens, geringer Bildung und ländlicher Wohnumgebung; weiterhin bei Ostdeutschen, Reichen und Hochgebildeten.

Es gibt zudem deutliche Unterschiede in den Einstellungen zur Demokratie, die vom Bildungsstand und Einkommen abhängen. Menschen mit sozio-ökonomisch privilegierten Netzwerken weisen tendenziell hohes politisches Vertrauen, eine relativ große Demokratiezufriedenheit und im geringen Maße populistische Einstellungen auf. Dagegen zeigen Menschen mit eher gering gebildeten oder ökonomisch schlechtgestellten Bekanntenkreisen ein geringeres Vertrauen in die politischen Institutionen, eine geringe Zufriedenheit mit der Demokratie und in erhöhtem Ausmaß populistische Einstellungen.

Negative Emotionen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen

Eine „affektive Polarisierung“ – die übersteigerte emotionale Identifikation mit der Eigengruppe bei gleichzeitiger Abwertung der Fremdgruppe – findet sich in Deutschland vor allem zwischen konkurrierenden politischen Lagern (links vs. rechts und Grüne vs. AfD). Während Menschen mit der Absicht die Grünen zu wählen andere Menschen, die mit den Grünen sympathisieren, sehr positiv gegenüberstehen, lehnen sie Menschen, die mit der AfD sympathisieren, sehr stark ab. Potentielle Wähler:innen der AfD bewerten dagegen andere AfD-Anhänger:innen als sehr sympathisch und verspüren eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Anhänger:innen der Grünen. Für die meisten sozialen Gruppen mit homogenen Netzwerken ist auch die Tendenz zur affektiven Polarisierung größer. Hier bestätigt sich die Annahme, dass Kontakte und Berührungspunkte zwischen sozialen Gruppen Feindseligkeiten zwischen diesen Gruppen abmildern können.

Zusammenfassend zeigt der Bericht, dass die sozialen Netzwerke in Deutschland zwar nicht vollständig entkoppelt sind, aber doch in hohem Maße homogen und segregiert. Diese Ergebnisse sind für das Verständnis der Dynamik des gesellschaftlichen Zusammenhalts von großer Bedeutung.

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

Das FGZ ist ein dezentrales und interdisziplinäres Forschungsinstitut, das 2020 gegründet wurde und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Es erforscht in über 80 Forschungs- und Transferprojekten Begriff und Konzeptionen, Quellen und Gefährdungen, Folgen und Wirkungen sowie historische, globale und regionale Kontexte und Konstellationen gesellschaftlichen Zusammenhalts aus einer Vielzahl disziplinärer Perspektiven und methodischer Zugänge. Das FGZ setzt sich aus elf Standorten in ganz Deutschland zusammen und nimmt dadurch auch die regionale Vielfalt gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland in den Blick.

Exzellenzcluster GlobaLab – Bremer Forschungsverbund zu Globaler Solidarität

Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg ist Professor für Soziologie am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) der Universität Bremen, geschäftsführender Sprecher des FGZ, Leiter des Forschungsdatenzentrum des FGZ und Projektleiter des German Social Cohesion Panel. Seine Forschung beschäftigt sich mit den Strukturen, Bedingungen und Folgen sozialer Ungleichheiten in Wohlfahrtsgesellschaften. Er ist Wissenschaftler im GlobaLab-Team. Das GlobaLab – Bremer Forschungsverbund zu Globaler Solidarität“ ist eines der Cluster, mit denen sich die Universität Bremen auf die Exzellenzstrategie der Bundesregierung und der Länder bewirbt.

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