Solidarität: seit 50 Jahren Forschungsobjekt
Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ist seit jeher ein Kernelement von Forschung
Vor 50 Jahren am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile. Der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende wurde gestürzt und eine Diktatur unter der Führung von Augusto Pinochet errichtet. In Bremen war der Protest groß und die Solidarität für ein freies Chile enorm. Die erst zwei Jahre alte Universität richtete Studien- und Arbeitsplätze für Geflüchtete ein. Solidarität wird an der Uni aber nicht nur gelebt. Auch das Erforschen von Solidarität hat eine lange Tradition.
Die Universität Bremen hat eine lange Geschichte der Unterstützung und Solidarität mit sozialen Bewegungen und politischen Veränderungen auf der ganzen Welt. Chilenischen Geflüchteten bot sie 1973 Studien- und Arbeitsplätze an. Während die Bundesrepublik bei der Aufnahme der chilenischen Flüchtlinge noch zögerte und zwischen Kommunist:innen und Nichtkommunist:innen – Stichwort: Kalter Krieg – unterschied, kamen in Bremen bereits im Dezember die ersten Geflüchteten an. Symbol für die Solidarität mit Chile auf dem Campus wurde das 21 Meter lange Bild der Kunstgruppe „Brigada Luis Corvalán“, „Terror und Widerstand in Chile“, in der Tradition mexikanischer Wandmalerei.
Seit ihrer Gründung übernimmt die Universität Bremen Verantwortung für die Gesellschaft und arbeitet an drängenden Fragen der Zeit. Solidarisches Handeln ist nicht nur ein gelebter Wert, sondern auch Forschungsobjekt: „An der Uni wird seit 50 Jahren an Formen institutionalisierter Solidarität durch Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik geforscht“, erläutert der Sozialwissenschaftler Professor Patrick Sachweh. Dies habe die Uni immer auch strukturell geprägt, etwa mit der Gründung des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS) im Jahr 1989 und seiner Überführung ins SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik im Jahr 2015. Zuletzt sei das Deutsche Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (DIFIS) etabliert worden.
Unter welchen Bedingungen ist globale Solidarität in einer fragmentierten Welt möglich?
Mit dem Sonderforschungsbereich 1342 „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“ wurde die analytische Perspektive vom Nationalstaat auf Verflechtungen zwischen Gesellschaften erweitert sowie vom globalen Norden in den globalen Süden. Inwiefern soziale, kulturelle und politische Ungleichheiten und Konflikte den Zusammenhalt zwischen unterschiedlichen Sozialgruppen untergraben – und wodurch er sich wieder stärken ließe – wird im bundesweiten Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt – kurz FGZ – untersucht, von dem Bremen einer der koordinierenden Standorte ist.
„Diese beiden Forschungsstränge erstens zu institutionalisierter wohlfahrtsstaatlicher Solidarität und zweitens zum gesellschaftlichen Zusammenhalt möchten wir in einer geplanten neuen Forschungsinitiative zu globaler Solidarität mit dem Titel GlobaLab in einem neuen Format in transnationaler Zusammenarbeit zusammenführen“, so der Soziologe, der einer der drei Sprecher von GlobaLab ist. „Unsere Leitfrage ist, ob und unter welchen Bedingungen globale Solidarität in einer zunehmend fragmentierten Welt möglich ist. Dazu wollen wir mit dem ,Bremen Collaboratory on Global Solidarity‘ eine neue Forschungsinfrastruktur schaffen, die verschiedene inhaltliche, analytische und methodische Perspektiven und Ansätze aus der ganzen Welt verbindet und Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt gleichberechtigter Kooperation auf Augenhöhe zusammenbringt.“
Klimakrise, Gewalt, Ungleichheit: ohne Solidarität nicht zu lösen
GlobaLab fokussiert zu Beginn auf drei weltweite Herausforderungen, die ohne globale Solidarität nicht lösbar sind: die Klimakrise, Gewaltkonflikte und Kriege sowie globale ökonomische Ungleichheiten. „Zur Bewältigung dieser Probleme müssen sehr unterschiedliche Länder und deren Bewohner:innen zusammenstehen. Solidarität bedeutet hier also, dass wechselseitige Unterstützung und Hilfe zwischen sehr ungleichen und heterogenen Ländern stattfindet - zwischen starken und schwachen, reichen und armen, von der Klimakrise unmittelbar bedrohten und weniger stark betroffenen.“
Die Forschungsinitiative GlobaLab stellt sich dem Wettbewerb in der Neuauflage der Exzellenzstrategie des Bundes. Die neu eingereichten Projekte der Universität Bremen kommen aus den Material- und Ingenieurwissenschaften, den Sozialwissenschaften und der Informatik.