Erste Hilfe für psychische Gesundheit
Mit dem Angebot „Mental Health First Aid“ bildet die Universität Bremen Ersthelfer:innen für psychische Gesundheit aus
Wie eine Wunde versorgt oder die stabile Seitenlage angewendet wird, lernen viele im Erste-Hilfe-Kurs. Wo diese Ersthilfe geleistet wird, ist in den meisten Fällen die Notsituation sehr deutlich. Doch was tun, wenn der Mitarbeitende Anzeichen einer Suchterkrankung zeigt, eine Studierende über Angststörungen berichtet oder die Kollegin Suizidgedanken äußert? Um auch in solchen Notfällen Erste Hilfe zu leisten, bietet das Betriebliche Gesundheitsmanagement nun für Beschäftigte der Universität Bremen an, sich als Ersthelfer:innen für psychische Gesundheit im Schulungsprogramm „Mental Health First Aid“ ausbilden zu lassen. Simone Oelze und Alexandra Baumkötter aus dem Referat für Personalentwicklung erzählen von der Schulung und warum alle Uni-Angehörigen davon profitieren.
„Ein wichtiger Teil der Schulung ist das Ansprechen einer psychischen Auffälligkeit oder möglichen Erkrankung bei den Betroffenen, um sie so schneller in das Hilfesystem weiterzuleiten“, erklärt Simone Oelze das Schulungskonzept des Mental Health First Aid (MHFA). Dabei zielen die Kurse nicht auf das Diagnostizieren von Erkrankungen, sondern sensibilisieren dafür, Anzeichen schneller zu erkennen, Betroffene darauf ansprechen zu können, ein offenes Ohr zu haben und sie zu ermutigen, sich Hilfe zu holen. „Oftmals ist der erste Instinkt, wenn Betroffene ihre psychische Erkrankung andeuten, sie nicht weiter darauf anzusprechen. Die Hemmschwelle ist da enorm hoch. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass Betroffene sich noch mehr zurückziehen, was bei manchen Erkrankungen wie Depressionen sehr kontraproduktiv sein kann“, so Alexandra Baumkötter. Die Schulung soll den Ersthelfer:innen einen Werkzeugkoffer für verschiedene Situationen an die Hand geben und sie dadurch handlungsfähiger machen.
Dr. Ulrike Wolf-Brozio ist eine der Ersthelfer:innen an der Uni Bremen, die sich im November 2023 hat ausbilden lassen. Sie berät Studierende zu Fragen rund ums Studium im Fachbereich 05: Geowissenschaften. Während ihrer Tätigkeit im Studien- und Praxisbüro begegneten ihr Situationen, in denen sich neben den eigentlichen Anliegen psychische Probleme oder Beeinträchtigungen der Studierenden herausstellten: „Da stellte sich mir oft die Frage, wie ich damit umgehen kann. Darf ich es ansprechen? Wie formuliere ich es dann?“
Ähnlich wie Ulrike Wolf-Brozio ging es vielen Mitarbeitenden von Beratungsstellen an der Uni während der Pandemie, bemerkte Alexandra Baumkötter. Nach einer Workshopreihe zur Mentalen Gesundheit für Wissenschaftler:innen, die das Gesundheitsmanagement gemeinsam mit der Uni-Einrichtung „Bremen Early Research Career Development“ (BYRD) und dem Welcome Center organisierte, wurde Alexandra Baumkötter das erste Mal auf das Konzept „Mental Health First Aid“ aufmerksam.
In der Schulung werden die in der Gesellschaft am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen wie Abhängigkeiten, Depressionen und Angststörungen mithilfe von Fallbeispielen, Filmbeiträgen und Rollenspielen besprochen. Über Kopfhörer, aus denen ein Stimmengewirr ertönt, können Teilnehmende einen Eindruck gewinnen, wie sich Menschen mit einer Psychose fühlen. Mithilfe eines Rollenspiels kann direkt geübt werden, wie Betroffene auf eine Alkoholsucht angesprochen werden können. Dadurch sollen die zukünftigen Ersthelfer:innen nicht nur handlungsfähiger gemacht, sondern auch Stigmata zu psychischen Erkrankungen abgebaut werden. Ulrike Wolf-Brozio fühlt sich nach dem Programm sicherer, merkt jedoch auch: „Es ist ein Prozess und man muss auch nach der Schulung weiter an sich arbeiten, professionell mit solchen Situationen umzugehen und eine sichere Bank für Betroffene sein. Ich denke, es ist in jedem Job sinnvoll, sich mit der Thematik näher zu beschäftigen, da es uns alle betrifft.“
Entwickelt wurde das Schulungsprogramm vor über 20 Jahren in Australien. Es ist bereits weltweit im Einsatz – seit 2019 auch in Deutschland. Pro Land gibt es nur einen Anbieter, der die Rechte am Programm hat. In Deutschland liegt das Programm in der Trägerschaft des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim. Zwar ist die Schulung nicht kostenfrei, das Institut sei jedoch gemeinnützig und lege großen Wert auf die Wirksamkeit, Qualität und Evaluation, um valide Ergebnisse zu erzielen, so Simone Oelze: „Das Programm hat strenge Vorgaben. Nur fundiert ausgebildete Expert:innen, meist Psycholog:innen mit klinischer Erfahrung, können zum Beispiel zertifizierte Schulungsleiter:innen werden und somit die Ersthelfer:innen ausbilden. Zudem werden die Teilnehmenden ein Jahr nach Absolvierung des Kurses nochmal nach ihren Erfahrungen befragt“. Die Ausbildung der Ersthelfer:innen an der Uni Bremen übernimmt eine Instruktorin, die die Uni-Strukturen kennt und gezielte Beispiele einfließen lassen kann. Sowohl Alexandra Baumkötter als auch Simone Oelze haben sich ebenfalls als Ersthelferinnen für psychische Erkrankungen ausbilden lassen, um sich auch selbst vom Schulungskonzept zu überzeugen, wie Alexandra Baumkötter erzählt: „Nach dem Kurs fühlte ich mich tatsächlich kompetenter, psychische Auffälligkeiten bei meinen Mitmenschen anzusprechen und habe Vorurteile und Hemmungen zu dem Thema verloren.“
Bislang konnten 36 Beschäftigte an der Uni Bremen im Programm „Mental Health First Aid“ ausgebildet werden. Für die bereits ausgebildeten Ersthelfer:innen fand vor Kurzem das erste Mal ein kollegialer Austausch in Zusammenarbeit mit der Psychologisch-Therapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Bremen (PBS) statt, in dem über die bisherigen Erfahrungen gesprochen werden konnte, berichtet Simone Oelze: „Schon im Kurs haben wir gemerkt, dass enormer Austauschbedarf bei den Beschäftigten herrscht, weil es bislang keine andere Plattform dafür gab.“ Zurzeit sollen vorrangig Beschäftigte in Beratungssituationen an der Uni Bremen als psychische Ersthelfer:innen ausgebildet werden, zukünftig auch Lehrende, Führungskräfte und potenziell alle interessierten Mitarbeitenden. Wenn die Schulungen weiterhin gut angenommen werden, steht auch schon der nächste Schritt fest, erzählt Simone Oelze: „Wir wollen in Zukunft ein Netzwerk bilden, in dem sich die Ersthelfer:innen austauschen und Ansprechpersonen für Beschäftigte sein können, die Unterstützung im Umgang mit Mitarbeitenden und Studierenden mit psychischen Erkrankungen brauchen“.
Weitere Informationen zur Schulung
Die nächsten Kurse „Mental Health First Aid“ finden am 6. und 20. Juni sowie am 12. und 26. September 2024 statt. Die Schulung ist jeweils auf zwei Tage à 6 Stunden aufgeteilt. Am Ende der Schulung muss ein schriftlicher Test absolviert werden. Es stehen 14 Plätze zur Verfügung. Weitere Kurse können bei hoher Nachfrage angeboten werden. Die Teilnahme muss mit den Vorgesetzten abgestimmt werden und ist aktuell grundlegend auf Beschäftigte mit Beratungsfunktion beschränkt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich die Teilnehmenden psychisch stabil fühlen sollten, da Themen wie Suizid, Depressionen und ähnliches im Kurs besprochen werden.
Weitere Informationen zur Anmeldung gibt es auf der Webseite des Gesundheitsmanagements. Unterstützt wird das Schulungsprogramm „Mental Health First Aid“ an der Universität Bremen von der Techniker Krankenkasse.