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Gefährdet, geflüchtet – gefördert

Wie die Universität geflüchtete und gefährdete Forschende unterstützt

Forschung / Uni & Gesellschaft

Für viele Forschende aus Kriegs- und Krisengebieten ist eine Stelle an einer Universität im Ausland eine von nur wenigen Möglichkeiten, sich eine sichere Zukunft aufzubauen. Spezifische Stipendien ermöglichen solche Forschungsaufenthalte, doch die Bewerbungsverfahren sind aufwendig und zunehmend kompetitiv. Mit einer eigenen Mitarbeiterin unterstützt die Universität Bremen daher geflüchtete Forschende von der Antragstellung bis zum Ankommen in Deutschland.

„Direkt am ersten Tag des Taliban-Regimes bin ich von meiner Arbeit im Hochschulwesen entlassen worden – einfach nur, weil ich eine Frau bin. Ich hatte keine andere Wahl, als Afghanistan zu verlassen“, berichtet die Chemikerin Marzia Wafaee. Nach vier Monaten unter der Herrschaft der Taliban flüchtete sie nach Deutschland, unsicher, wie sie sich und ihrer Familie eine neue Existenz aufbauen sollte.

Heute forscht Marzia Wafaee an der Universität Bremen, aktuell unterstützt durch ein Brückenstipendium der Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung. Neben ihr sind weitere geflüchtete Forschende über unterschiedliche Programme an der Universität, wie Maryna Stepura und Ala Pihalskaya. Doch wie verlaufen ihre Wege hierhin, mit welchen Herausforderungen sind sie konfrontiert und wie kann die Universität sie dabei unterstützen?

Eines haben fast alle geflüchteten Forschenden gemeinsam, ob sie vor dem Krieg in der Ukraine fliehen oder vor politischen Repressionen in der Türkei: Sie müssen ihr Land schnell und unvorbereitet verlassen. Viel Zeit, sich auf das akademische System eines anderen Landes vorzubereiten, bleibt ihnen nicht. Unter anderem deswegen gibt es für Geflüchtete spezielle Stipendien, die ihnen einen Forschungsaufenthalt in Deutschland ermöglichen sollen.

Marzia Wafaee

Eine Frau mit Kopftuch lächelt in die Kamera.
Die afghanische Chemikerin Marzia Wafaee studierte und promovierte in Teheran, Iran. Anschließend forschte sie an der Universität Kabul sowie dem afghanischen Ministerium für Hochschulbildung. Im Anschluss an die Machtergreifung der Taliban im Jahr 2021 floh sie nach Deutschland, seit 2022 forscht sie an der Universität Bremen. Zunächst über ein VW-Stipendium und aktuell im Rahmen eines Brückenstipendiums der Philipp Schwartz-Initiative arbeitet sie gemeinsam mit Professor Tim Neudecker an der Entwicklung neuartiger Polymere, die bei Dehnung gleichzeitig leitfähige Eigenschaften und mechanochrome Aktivitäten aufweisen. Unter mechanochromen Aktivitäten versteht man die Fähigkeit einer Verbindung, unter mechanischer Belastung die Farbe zu wechseln. Diese Eigenschaft ist vor allem in der Bau- und Transportindustrie wichtig, wo Farbveränderungen als Warnsignal dienen können, wenn Materialien zu stark beansprucht werden.
© privat

Stipendien für Geflüchtete: Große Nachfrage, begrenzte Plätze

Unter anderem bietet das Land Bremen mit seinem „Länderprogramm für gefährdete und geflüchtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ ein eigenes Stipendium an. Zusätzlich werden auch EU-finanzierte Programme wie MSCA4Ukraine und SAFE – Supporting at-risk researchers with fellowships in Europe ausgeschrieben. Hinzu kommen Angebote von Stiftungen wie etwa die Philipp Schwartz-Initiative für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die meisten Stipendien ermöglichen Forschungsaufenthalte mit einer Länge von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Während ihre Zahl in den letzten Jahren relativ konstant geblieben ist, steigt die Anzahl der Bewerber:innen kontinuierlich. Das bedeutet sowohl für die Geflüchteten als auch für ihre aufnehmenden Hochschulen einen höheren Bewerbungsaufwand, um weiterhin erfolgreich zu sein.

Seit 2016 engagiert sich die Universität Bremen in diesem Bereich und hat unter anderem im Rahmen der Förderung der Philipp Schwartz-Initiative bereits elf Forschende aufgenommen. Für die Koordination und Vorbereitung der Bewerbungen ist seit März 2024 Kirsten Beta im International Office der Universität Bremen zentrale Ansprechpartnerin für gefährdete und geflüchtete Forschende.

Zwischen Bewerber:innen und Mentor:innen – die Universität als Vermittlerin

Die meisten Forschenden melden sich bei Kirsten Beta in einem frühen Stadium ihrer Bewerbung. Oft bringen die Forschenden bereits eine konkrete Idee mit und suchen dann gezielt nach einer passenden akademischen Mentorin oder einem Mentor an der Universität Bremen. Denn alle Stipendien sehen die Betreuung durch Mentor:innen vor, mit denen die Geflüchteten wissenschaftlich kooperieren. „Ob eine Stipendienbewerbung aussichtsreich ist, hängt also nicht nur von der fachlichen Qualifikation der Bewerber:innen ab, sondern auch davon, ob sich passende wissenschaftliche Anknüpfungspunkte an der Universität Bremen finden lassen“, sagt Kirsten Beta.

Doch nicht nur das akademische Matching ist wichtig. Viele Bewerbungsverfahren sehen auch vor, dass die aufnehmenden Hochschulen einen sogenannten Hosting Plan erstellen. Der Gedanke dahinter: Nicht nur vom wissenschaftlichen, auch vom sozialen und kulturellen Umfeld an den Hochschulen hängt es ab, ob Geflüchtete hier Fuß fassen können. „Glücklicherweise kann ich hier eng mit dem Welcome Center zusammenarbeiten, das internationale Forschende bei der Planung und Durchführung ihrer Aufenthalte unterstützt“, sagt Kirsten Beta. Die Mitarbeitenden des Welcome Center im International Office der Universität beraten Forschende beispielsweise bei der Beantragung von Visa, beim Abschluss von Reise- und Krankenversicherungen oder bei der Wohnungssuche. Und wenn Forschende mit ihrer Familie nach Bremen kommen, unterstützt das Welcome Center auch ihre Partner:innen bei der Jobsuche und hilft bei der Suche nach Betreuungsplätzen für Kinder. Auch in punkto Sprache helfen sie Forschenden beim Ankommen: So bietet das Welcome Center in Kooperation mit dem Goethe-Institut und dem Sprachenzentrum der Hochschulen im Land Bremen spezielle Deutschkurse für Forschende an.

Damit ein Aufenthalt in Bremen gelingt, braucht es sowohl ein fachlich passendes Umfeld und unterstützende Angebote im sozialen und kulturellen Bereich. Wie beides zusammenkommen kann, zeigt das Beispiel von Marzia Wafaee: „An der Universität Bremen konnte ich bisher nicht nur in gut ausgestatteten Labors forschen, sondern gleichzeitig meine Deutschkenntnisse verbessern. All das will ich nun fortsetzen, um mich für den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt in Deutschland weiter zu qualifizieren.“

Maryna Stepura

Eine Frau lächelt in die Kamera.
Auch die ukrainische Wirtschaftswissenschaftlerin Maryna Stepura hat ein Brückenstipendium der Philipp Schwartz-Initiative erhalten. Sie studierte und promovierte in Kyjiw, wo sie zuletzt Associate Professor an der Nationalen Wadym-Hetman-Wirtschaftsuniversität war. Seit 2022 arbeitet sie an der Universität Bremen. Mit Professor André W. Heinemann erforscht sie, wie Steuereinnahmen in mehrstufigen Haushaltssystemen prognostiziert werden können.
© privat

Ala Pihalskaya

Ein Porträt einer Frau mit Brille, die in die Kamera blickt.
Ala Pihalskaya kommt aus Belarus und forscht an der Universität Bremen im Rahmen des Länderprogramms für gefährdete und geflüchtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie studierte Kunstgeschichte an der Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität in Minsk, die (die aus politischen Gründen im Jahr 2004 vom Regime geschlossen und im Jahr 2006 in Vilnius, Litauen wiedereröffnet worden ist. Anschließend forschte sie von 2006 bis 2019 an der Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität (Vilnius, Litauen) zu visueller Kommunikation, visueller Anthropologie und Geschichte des Grafikdesigns. 2013 promovierte sie an der Kunstakademie Vilnius. 2022 verließ sie Belarus aus politischen Gründen. An der Universität Bremen untersucht sie mit Professor Simon Lewis, wie Bücher im spätsowjetischen Belarus produziert und veröffentlicht worden sind – sowohl im staatlich kontrollierten als auch im Untergrundverlagswesen. Dabei vergleicht sie die Verlagsszene in Belarus mit der in der Ukraine, Polen und Russland.
© privat

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