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Im Einsatz für eine Nischensprache

Wie drei Studentinnen dazu beitragen, das Chamorro zu erhalten

Lehre & Studium

Das Chamorro ist vom Aussterben bedroht: Die Sprache wird nur noch von etwa 50.000 Menschen muttersprachlich beherrscht, vor allem auf der Insel Guam. Mit digitaler Feldforschung wollen die Linguistik-Studentinnen Salka Zufall, Lisa Schremmer und Iuliia Loktionova dazu beitragen, dass das Chamorro erhalten bleibt. Der bisherige Höhepunkt ihrer Arbeiten: Sie stellten ihre Ergebnisse auf einer digitalen Konferenz vor.

Etwa sechstausend Sprachen gibt es weltweit, doch die Zahl ihrer Sprecher:innen ist sehr ungleich verteilt. Während etwa die Hälfte der Weltbevölkerung eine von 19 großen Sprachen wie Englisch, Spanisch oder Russisch spricht, sind nach Angaben der UNESCO etwa 3.000 Sprachen vom Aussterben bedroht. Das bedeutet, dass sie häufig nur noch von älteren Menschen oder nur noch im privaten Rahmen gesprochen werden.

Zu diesen Sprachen gehört auch das Chamorro, die Muttersprache von etwa 50.000 Menschen auf der Inselgruppe der Marianen im pazifischen Ozean. Mit ihr beschäftigten sich die Linguistik-Studentinnen Salka Zufall, Lisa Schremmer und Iuliia Loktionova ein Dreivierteljahr. Im Dezember 2022 stellten sie ihre Ergebnisse sogar bei einer internationalen Konferenz vor. Doch wie kamen sie zu diesem ungewöhnlichen Forschungsthema?

Wie das Spanische das Chamorro prägte

Ausgangspunkt für ihre Arbeiten war das Seminar „Chamorro: Feldforschung per Internet“, das Thomas Stolz im Sommersemester 2022 leitete. Der Professor für Linguistik an der Universität Bremen beschäftigt sich bereits seit 1996 mit dem Chamorro. „Ursprünglich faszinierte mich besonders, wie stark die Sprache vom Spanischen geprägt worden ist“, sagt er.

Diese Prägung zeugt von der wechselvollen Vergangenheit der Marianen. Im 17. Jahrhundert begannen die Spanier, sie zu erobern. Ein Krieg endete 1690 mit der vollkommenen Unterwerfung der indigenen Bevölkerung. Von da an waren die Marianen lange Zeit Teil des Vizekönigreichs Neuspanien – ein Umstand, der sich bis heute im Chamorro widerspiegelt.

1898 dann fiel das Gebiet an die USA. Diese setzten das Englische als Alltagssprache durch und verboten bis in die 1970er Jahre das Chamorro in der Schule oder am Arbeitsplatz. Infolge dessen nahm die Zahl der Sprecher:innen rapide ab: Während auf Guam, der größten Insel der Marianen, am Ende des 19. Jahrhunderts schätzungsweise 75 Prozent der Bevölkerung das Chamorro beherrschten, waren es hundert Jahre später nur noch etwa 20 Prozent.

Linguistische Forschung – nötig, aber rar gesät

Zwar hat inzwischen ein Umdenken stattgefunden, sodass beispielsweise Kinder Chamorro in der Schule lernen. Doch linguistische Forschung zur Sprache gibt es derzeit nur an zwei Standorten weltweit: der Universität Bremen und der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. „Um ihre Sprache und damit ihre kulturelle Eigenständigkeit zu erhalten, ist die Chamorro-Sprachgemeinschaft auf Forschende von außen angewiesen“, resümiert Thomas Stolz. Denn wenn eine Sprache verlorengehe, würden mit ihr auch bestimmte Denkweisen und Gebräuche verschwinden.

Das Chamorro für künftige Generationen zu dokumentieren und zu erhalten, sehen die drei Studentinnen daher als Hauptziel ihrer Arbeit. Dass die Chamorro-Muttersprachler:innen sich mit ihnen austauschten, ist für sie dennoch nicht selbstverständlich. „Wir erklären ihnen nicht ihre Sprache, sondern sie lassen uns an ihrem Wissen teilhaben“, betont Iuliia Loktionova. „Wir sind sehr dankbar für die Zeit, die sich unsere Gesprächspartner:innen für uns genommen haben.“

Online-Feldforschung mit Lückentexten

Für ihre Arbeiten suchten sich die Studentinnen jeweils eine spezielle Forschungsfrage aus. Grundlage waren dabei einige Arbeiten von Thomas Stolz zum schriftlichen Chamorro. „Wir wollten herausfinden, inwiefern sich seine Erkenntnisse auf mündliche Äußerungen übertragen lassen“, sagt Salka Zufall. Dafür stellten die Studentinnen ihren Kontaktpersonen digital Lückentexte zur Verfügung. Diese suchten dann aus, welche Wörter aus ihrer Sicht am besten in die Lücken passten.

Lisa Schremmer etwa beschäftigte sich mit dem grammatischen Geschlecht von Wörtern – einem Konzept, das es im Chamorro eigentlich nicht gibt. „Die Wörter mit separaten maskulinen oder femininen Formen sind alle aus dem Spanischen entlehnt“, erklärt sie. 300 dieser Wortpaare hat Thomas Stolz bereits identifiziert. In ihrer Forschung untersuchte die Studentin unter anderem, inwiefern die unterschiedlichen Formen noch verwendet werden und ob die männliche oder die weibliche Form vorherrschend ist.

Zwölf Chamorro-Sprecher:innen beteiligten sich an dem Projekt, unter ihnen Chamorro-Lehrer:innen, ein Pfarrer, der Gottesdienste auf Chamorro hält, und ein Dozent an der Universität von Hawaii in Manoa. Alle von ihnen waren zweisprachig, sodass die Studentinnen ihnen in Onlinemeetings auf Englisch ihr Forschungsvorhaben vorstellen und die Lückentexte erklären konnten. Wegen der Zeitverschiebung kam es teilweise zu ungewöhnlichen Arbeitszeiten. „Manchmal sind wir um fünf Uhr morgens aufgestanden, um unsere Gespräche zu führen“, sagt Iuliia Loktionova.

Mit der Konferenz ist die Forschung nicht vorbei

Einige ihrer Kontaktpersonen nahmen auch an der digitalen internationalen Konferenz im Dezember 2022 teil, bei der die Studentinnen ihre Forschungsergebnisse vorstellten. Organisiert wurde sie von Dr. Carlos Madrid, dem Direktor des „Micronesian Area Research Center“ (MARC), einem An-Institut der Universität von Guam. Dieser sprach Thomas Stolz auf die Arbeit seiner Studentinnen an. In der Vergangenheit hatten Studierende von Thomas Stolz immer wieder an Konferenzen des MARC teilgenommen. „Ich ermutige regelmäßig Studierende mit herausragenden Leistungen, dieses Wagnis einzugehen“, sagt er.

Die Konferenz war für die Studentinnen nicht nur eine Gelegenheit, zu ihren bisherigen Arbeiten Bilanz zu ziehen. Sie mussten auch einem breiten Publikum von etwa 40 Personen ihre Forschung allgemeinverständlich erklären – vom Forschungsansatz bis zu ersten Ergebnissen. Diese haben allerdings eher vorläufigen Charakter, denn der Kreis der Befragten war zu klein, um repräsentative Aussagen zu gewinnen. Mit einem Aufenthalt auf Guam wollen die Studentinnen daher ihre Forschung vertiefen. „Wir hoffen, dieses Jahr dort ein Praxissemester verbringen zu können, um Materialien für unsere Abschlussarbeiten dort zu sammeln“, sagt Lisa Schremmer.

Und auch Thomas Stolz gehen die Forschungsthemen nicht aus. So arbeitet er an einem elektronischen Korpus, in dem das geschriebene und gesprochene Chamorro dokumentiert werden soll. Auch die Ausbildung von weiteren Nachwuchsforschenden ist ihm ein Anliegen – damit das Chamorro weiterhin seinen Platz in der akademischen Forschung behält.

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