Klimaneutrale Konferenz – wie geht das?
Im Gespräch erklärt Professor Christian Wild, wie er und sein Team die erste klimaneutrale Weltkorallenriffkonferenz in Bremen organisiert haben.
Welche Maßnahmen dazu beitragen können, um eine Konferenz klimaneutral zu gestalten und wie die CO2-Emissionen errechnet werden, verrät uns Professor Christian Wild, Leiter der Weltkorallenriffkonferenzen International Coral Reef Symposium (ICRS) 2021 und 2022 sowie Meereswissenschaftler an der Universität Bremen im Gespräch.
„Eine Konferenz klimaneutral zu gestalten, in der es um den Erhalt von Korallenriffen geht, war für mich von Anfang an eine Selbstverständlichkeit“, sagt Professor Christian Wild, Leiter des Bereichs Marine Ökologie an der Universität Bremen. „Korallenriffe sterben vor unseren Augen. Das liegt vor allem am Klimawandel und dem damit verbundenen Anstieg der Temperaturen im Ozean. Deswegen war mir klar, dass eine Veranstaltung, die sich mit dem Thema auseinandersetzt, nicht selbst zu dem Problem beitragen darf“, so Wild.
Die Nachhaltigkeitsziele der Konferenz hatte Christian Wild bereits 2016 in seinem Antrag skizziert, um die Konferenz nach Bremen zu holen. Bei den Zielen fokussierte er sich auf soziale, ökonomische und ökologische Maßnahmen. Um das Ziel zu erreichen, die Konferenz klimaneutral zu gestalten, entwickelten Wild und sein Team eine eigene „Grüne Strategie“. „Diese Strategie basiert auf zwei Schritten“, berichtet Wild. Der erste Schritt hatte als Hauptziel, Kohlenstoffdioxidausstoß vor Ort zu minimieren. Der zweite Schritt, der laut Wild deutlich schwieriger zu erreichen war, beinhaltete die Kalkulation und Kompensation aller nicht vermeidbarer CO2-Emissionen der Konferenz.
Wie konnte der CO2-Ausstoß auf der Konferenz reduziert und die verbleibenden Emissionen berechnet werden?
Um den CO2-Ausstoß auf der Konferenz möglichst gering zu halten, betrachteten Wild und sein Team verschiedene Bereiche der Veranstaltungsorganisation. Sie stellten umfangreiche Recherchen an, um möglichst viel CO2 einzusparen. Dies gelang vor allem durch die Auswahl eines geeigneten Veranstaltungsortes unter Berücksichtigung der städtischen Infrastruktur sowie der Verpflegung und Ausstattung der Gäste vor Ort. „Diese Maßnahmen haben schon eine erhebliche Rolle gespielt, um die Ziele des ersten Schritts zu erreichen“, so Wild. Im zweiten Schritt der Grünen Strategie erstellte er mithilfe der Bachelorstudentinnen Sophie Littke und Jennifer Bogun eine umfangreiche Kalkulation über die durch die Durchführung der Konferenz verursachten unvermeidbaren CO2-Emissionen.
Die Kalkulation wurde für 1052 Teilnehmende vor Ort inklusive des Organisationsteams und der Pressevertrer:innen sowie für 272 Online-Teilnehmer:innen aufgestellt. Als Grundlage für die Berechnung der Emissionen diente ihnen das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol) für Deutschland. Übersichtslisten mit Emissionsfaktoren für Aktivitäten, Speisen und Gebrauchsgegenstände, die unter anderem vom Umweltbundesamt online veröffentlicht sind, lieferten weitere Grundlagen für die Kalkulation. Aus der Kalkulation ergab sich dann eine Berechnung der CO2-Emissionen, die sich in den Kategorien Catering, Müll, Hotel, Nahverkehr, Strom und Abwasser sowie Anreise unterteilen lassen.
Gemeinsam mit der Klimaschutzagentur energiekonsens entstand ein Konzept für ein nachhaltiges Catering. Dieses beinhaltete unter anderem, dass bei der Verpflegung während der Konferenz komplett auf Fleisch und Fisch verzichtet wurde. Stattdessen setzte das Organisationsteam auf rein vegetarisches Essen mit einem Schwerpunkt auf regionale fair-gehandelte und bio-zertifizierte Produkte. Durchschnittlich wurden sechs Mahlzeiten, zwei Ice-Breaker Drinks und zehn Kaffee pro Teilnehmer:in kalkuliert. Hinzu kamen eineinhalb Liter Trinkwasser pro Person und Tag. Anhand dieser durchschnittlichen Werte ermittelte das Team die Emissionsfaktoren pro Lebensmittel und konnte so den Gesamtverbrauch einer Person für die Dauer der Konferenz errechnen.
Müll, der typischerweise in großen Mengen bei Konferenzen anfällt, konnte bestmöglich durch die Nutzung von Porzellangeschirr und Gläsern anstelle von Wegwerfgeschirr vermieden werden. Eine virtuelle Bereitstellung von Programmbüchern und Dokumentationen der Konferenz trug zudem maßgeblich dazu bei, dass Müll eingespart werden konnte. Pro Person und pro Gericht wurden für die Konferenz 0,15 Kilogramm Müll gerechnet, plus einer Papierserviette für jedes Gericht und jede Kaffeepause. Diese Zahlen beruhen auf der CO2-Emission einer durchschnittlichen Haushaltsmüllproduktion.
Die Wahl eines zentral gelegenen Veranstaltungsortes, der von vielen Hotels in der Umgebung fußläufig erreichbar war, minimierte den Anfahrtsweg und die dadurch entstehenden Kohlenstoffdioxidemissionen. Für die Errechnung der CO2-Emissionen durch die Hotelübernachtungen ging das Organisationsteam davon aus, dass Teilnehmende von außerhalb durchschnittlich fünf Nächte in einem Drei-Sterne-Hotel im Zentrum der Stadt übernachteten.
Für alle an der Konferenz beteiligten Personen wurde zudem ein kostenfreies Ticket für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung gestellt. Die Kalkulation der Kohlendioxidemission für den Transport vor Ort ging davon aus, dass 25 % der Teilnehmenden und des Organisationsteams zweimal täglich den öffentlichen Nahverkehr zwischen der Unterkunft und dem Veranstaltungsort nutzten.
Der Veranstaltungsort Messe Bremen und Congress Centrum produziert einen Teil des Stroms in einer eigenen Solaranlage. Der restliche dort verwendete Strom stammt aus einem norwegischen Wasserkraftwerk. Anhand bekannter Daten über die genutzten Energiequellen und die Abwasserentsorgung konnte so der Emissionsfaktor für die Veranstaltungsräume berechnet werden. Für die Nutzung von Strom und Sanitäranlagen wurde hierfür ein Emissionsfaktor von 10 Kilogramm CO2 pro Teilnehmer:in geschätzt.
Anhand der Herkunftsländer der Teilnehmenden ließen sich Anreisewege und genutzte Verkehrsmittel bestimmen. So wurde bei einer Entfernung von über 500 Kilometern davon ausgegangen, dass die Teilnehmenden mit dem Flugzeug anreisen. Bei einer Anreise unter 500 Kilometern wurde damit gerechnet, dass Teilnehmende zum gleichen Teil mit dem Auto oder mit der Bahn anreisen würden.
Die errechnete Gesamtbilanz betrug 1.491 Tonnen CO2, die durch die Konferenz verursacht wurden. Hiervon machte die Anreise der Teilnehmenden, die für die internationale Konferenz aus der ganzen Welt anreisten, mit 83,8 % den größten Anteil der CO2-Emissionen aus. Die Kalkulation wurde abschließend von unabhängigen Expert:innen überprüft und die Berechnung für richtig befunden.
Wie konnten die errechneten CO2-Emissionen kompensiert und eine Klimaneutralität der Konferenz erreicht werden?
Um die Konferenz klimaneutral zu gestalten, sollte die im zweiten Schritt der Grünen Strategie errechnete Gesamtemission durch die Unterstützung von marinen Klimaschutzprojekten kompensiert werden. Um die Kompensation zu finanzieren, mussten Unterstützer:innen gefunden und überzeugt werden. „Die aufwendigste Tätigkeit in der gesamten Konferenzorganisation war es wohl, Geldgeber:innen zu bekommen, denn es bedeutete viel Klinken-Putzen, immer wieder nachhaken, Argumente sammeln“, so Wild. Letztlich wurde das United Nations Environment Program (UNEP), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, die sich für Natur- und Umweltschutz einsetzt, als passender Partner für die Konferenz gewonnen.
Mithilfe der Klimaschutzagentur KlimaInvest wurden Kriterien und Zertifizierungsstandards festgelegt, um geeignete und qualifizierte Projekte zu finden, die durch die Konferenz unterstützt werden sollten. Ein besonderer Wert bei der Zusammenstellung des Projekt-Portfolios lag darauf, dass diese einen positiven Einfluss auf lokale Korallenriffe haben, eine Verknüpfung zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen vorweisen sowie eine große geografische Verbreitung idealerweise in allen Weltozeanen, gewährleisten konnten. Zu den sechs ausgewählten Projekten zählten Programme zur Ökostromerzeugung durch Windenergie in der Dominikanischen Republik und Aruba, durch Solarenergie auf Mauritius, aus Wasserkraft in Indien sowie ein Projekt zum Schutz von Mangroven und küstennahen Sumpfwäldern auf Borneo und in Indonesien.
Durch die erfolgreiche Implementierung ihrer Grünen Strategie konnten Wild und sein Team die ICRS 2022 als erste Großkonferenz in Bremen klimaneutral durchführen. Alle Personen, die sich für eine nachhaltige und klimaneutrale Veranstaltungsorganisation interessieren, möchte Wild sehr dazu ermutigen.
„Nachmachen ist ausdrücklich erwünscht!“.
„Der erste und wichtigste Tipp ist wahrscheinlich, wenn jemand so etwas vorhat, dann sollte derjenige oder diejenige viel Zeit dafür aufbringen können“, rät Wild. Sein zweiter Tipp lautet, dass man „das Rad nicht immer neu erfinden muss“ und sich interessierte Kolleg:innen gern an seinem Modell orientieren dürfen, beratend stehe er gern zur Seite.
Weitere Informationen:
Die Grüne Strategie der ICRS im Detail und als Video
Mehr Informationen zu dem Arbeitsbereich Marine Ökologie von Professor Christian Wild