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„Klimapolitik braucht mehr Gesellschaftswissenschaft“

Warum der „Augsburger Aufruf“ eine stärkere Rolle für Humangeographie, Soziologie & Co. fordert – ein Interview mit Dr. Stefanie Baasch

Forschung / Nachhaltigkeit

Technische Lösungen allein werden den Klimawandel nicht stoppen – das betont der Augsburger Aufruf, ein Zusammenschluss namhafter Wissenschaftler:innen aus den Gesellschaftswissenschaften. Humangeographin Dr. Stefanie Baasch vom artec-Forschungszentrum Nachhaltigkeit erklärt im Interview, warum Klimaforschung nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich gedacht werden muss – und wie dringend mehr Förderung in diesem Bereich ist.

Frau Dr. Baasch, im Augsburger Aufruf fordern Sie, dass gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisse stärker in die Klimapolitik einbezogen werden. Was können Disziplinen wie Humangeographie, Soziologie, Politikwissenschaft oder Psychologie leisten, was naturwissenschaftlich-technische Fächer nicht abdecken?

Der anthropogene Klimawandel ist eben kein natürlicher Prozess, sondern ist das Resultat sehr komplexer miteinander verwobener menschlicher Handlungen mit biophysikalischen und ökologischen Reaktionen. Der Mensch wird bislang in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen und in der Klimapolitik viel zu funktional gedacht und ‚die Menschheit‘ als Gesamtheit adressiert. Das ist hochproblematisch, denn so werden die gravierenden Unterschiede individueller, struktureller und institutioneller Aspekte der Verursachung von Klimawandel und dessen sozial wie räumlich ungleiche Auswirkungen ignoriert.

Um wirksame und sozial gerechte Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel entwickeln zu können, braucht es differenzierte Analysen der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Dynamiken sowie die Einbeziehung und Berücksichtigung unterschiedlicher Wissensbestände – nicht nur aus dem wissenschaftlichen Kontext, sondern auch aus der Alltagspraxis. Die Gesellschaftswissenschaften können hier differenzierte Antworten auf die Fragen nach den Ursachen, nach der Komplexität und der Reduktion von, dem Schutz vor und der Anpassung an Klimawandel liefern und so zu wirksameren Klimawandelpolitiken beitragen.

Im Aufruf ist auch von einer „Umsetzungskrise“ in der Klimapolitik die Rede. Warum scheitern Ihrer Meinung nach so viele Maßnahmen – obwohl wir doch die Fakten kennen?

Die Gründe hierfür sind vielfältig: Erstens sind die politischen Maßnahmen oft nicht konsequent und weitreichend genug. Zweitens, müssen klimapolitische Maßnahmen stärker sozial gerecht gestaltet sein. Drittens, ist immer noch die - meiner Ansicht nach verfehlte – Hoffnung vorherrschend, mit technischen Innovationen ließe sich die Problematik der Klimawandelfolgen und eines effektiven Klimaschutzes schon irgendwie in den Griff bekommen. Dafür gibt es aber keinerlei Belege – im Gegenteil: bislang sind technologische Innovationen oft mit einer gleichzeitigen Steigerung von Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden, beispielsweise durch Rebound-Effekte. Eine erfolgreiche nachhaltige Klimaschutzpolitik braucht tiefgreifende gesellschaftliche Transformationsprozesse, die eine grundlegende Veränderung bestehender Produktions- und Konsummuster umfasst.

Im „Augsburger Aufruf“ werden außerdem mehr Fördergelder für die gesellschaftswissenschaftliche Klimaforschung gefördert. Wie könnte diese konkret aussehen – und warum ist das gerade für kommende Generationen wichtig?

Es braucht dringend eine umfassende Förderung der gesellschaftswissenschaftlichen Klimaforschung durch nationale Forschungsprogramme. Bisher fließt nur ein kleiner Bruchteil der Finanzierung von Klimaforschung in gesellschaftswissenschaftliche Projekte. Darüber hinaus bedarf es einer eigenständigen Förderung inter- und transdisziplinärer Klimaforschung mit einer führenden Rolle für die Gesellschaftswissenschaften, um so eine Integration verschiedener Wissensformen zu ermöglichen. Dies erfordert auch ausreichend lange Laufzeiten dieser Förderungen, da solche Forschungsansätze unter anderem auch den Aufbau von Kooperationsbeziehungen mit Praxisakteuren umfassen.

Weitere wichtige Aspekte sind die Institutionalisierung der gesellschaftswissenschaftlichen Klimaforschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie die Stärkung von Klimaforschungsnetzwerken und -verbänden für die Ko-Produktion von Wissen, Wissenschaftskommunikation und Transfer. Und selbstverständlich braucht es auch eine systematische Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Mittelbaus im Bereich gesellschaftswissenschaftlicher Klimaforschung. Hierzu gehören meiner Ansicht nach auch attraktive und planbare Karrierewege, die besonders in den Gesellschaftswissenschaften sehr selten sind – anders als in der naturwissenschaftlichen Klimaforschung.

Gerade für die kommenden Generationen werden die Herausforderungen durch den Klimawandel stark zunehmen. Die bisherigen Ansätze zur Bekämpfung und Vermeidung klimawandelbedingter Krisen sind leider völlig unzureichend. Kurz gesagt: ein ‚weiter so‘ darf es nicht geben. Um die notwendigen und weitreichenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse anzugehen, brauchen wir dringend differenziertes und vertieftes Wissen über gesellschaftliche Dynamiken, Konflikte, Handlungsoptionen usw., um zu nachhaltigeren Verhältnissen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu gelangen.

Weitere Informationen

Der Augsburger Aufruf wurde von führenden Wissenschaftler:innen aus Gesellschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften initiiert. Er richtet sich an Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit und fordert, die gesellschaftliche Dimension des Klimawandels endlich ernst zu nehmen. Ziel ist eine fundierte, gerechte und umsetzbare Klimapolitik, die den Menschen in seiner Vielschichtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Der Aufruf wurde Ende März 2025 auf der Jahrestagung des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) vorgestellt. Die Uni Bremen ist Mitglied.

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