Neue Perspektiven für internationale Studierende in Bremen
Wie in Bremen aus dem damals europaweit einmaligen Pilotprojekt „IN Touch“ die Academy HERE AHEAD wurde.
Die Academy for Higher Education Access Development – HERE AHEAD bereitet internationale Studieninteressierte mit und ohne Fluchthintergrund auf ein Studium in Bremen vor. Für Menschen aus Krisengebieten ist sie ein wichtiger Hoffnungsträger für die Zukunft. Die Vorarbeit für das heutige Programm haben Mitarbeitende der Universität Bremen mit dem Pilotprojekt „IN Touch“ für Geflüchtete geleistet.
„Menschen, die geflüchtet sind, brauchen nicht nur eine Unterkunft und Essen, sondern auch Anerkennung und geistige Nahrung.“ Das sagte 2015 die damalige Konrektorin für Internationales, Professorin Yasemin Karakaşoğlu der Universität Bremen, als tausende Geflüchtete aus Syrien nach Bremen kamen. Die Hilfsbereitschaft unter Studierenden und Uni-Mitarbeitenden war groß. Zelte wurden für Geflüchtete auf dem Campus am Gebäude NW1 aufgestellt. Neben vielen Aktivitäten an der Universität Bremen bot das International Office das Pilotprojekt „IN Touch“ für Geflüchtete an – die Hochschule Bremen folgte dem Beispiel schnell. Es sorgte europaweit für Aufmerksamkeit. Denn es war zu diesem Zeitpunkt bundesweit das erste Programm dieser Art.
„Die Universität Bremen hat mit diesem Projekt Bildungsgeschichte geschrieben.“ Jens Kemper, Universität Bremen
Jens Kemper erinnert sich noch gut an die Anfangszeit. Der Mitarbeiter des International Office (IO) war damals Mitinitiator des Pilotprojekts „IN Touch“. „Die Ursprungsidee kam von zwei Übergangswohnheimleiter:innen. Sie fragten im Dezember 2013 beim Rektorat an, ob die Universität nicht etwas für hochqualifizierte Geflüchtete anbieten könne“, erzählt Jens Kemper. Denn diese säßen über viele Monate und teilweise Jahre in den Heimen und hätten keinen Zugang zu angemessenen und für sie sinnvolle Einrichtungen. „Uns wurde klar: Wir müssen etwas tun – und zwar sofort.“ Und so entwickelten Jens Kemper und sein Team mit der damaligen Leiterin des International Office, Dr. Annette Lang, und dem Rektorat das Angebot „IN-Touch“. Im Sommersemester 2014 konnten die ersten rund 20 Geflüchteten an der Universität Bremen am akademischen Leben teilnehmen, den Campus und seine Infrastruktur nutzen.
Schon bald war klar, dass das Programm breiter aufgestellt werden musste
Das Angebot sprach sich herum, die Nachfrage stieg. Zudem nahm die Fluchtbewegung aus Syrien ab 2015 zu und die Studieninteressierten brauchten Perspektiven für die Fortsetzung ihres Studiums. „Die Flure im International Office waren voll mit Menschen“, erinnert sich Jens Kemper. Schon bald war klar, dass das Programm breiter aufgestellt werden musste. Und so nahmen er und das Team von „IN Touch“ Kontakt mit der damaligen Wissenschaftssenatorin Professorin Eva Quante-Brandt sowie den anderen staatlichen Hochschulen in Bremen auf. Es entstand die Idee für ein gemeinsames „Hochschulbüro für den Hochschulzugang“. Die ersten Räumlichkeiten bezogen Jens Kemper und Andrea Thode von der Hochschule Bremen im Mai 2016 im Haus der Wissenschaft. „Zu Beginn hieß es noch HERE-Büro“, erinnert er sich. Für ihn ist klar: „Die Universität Bremen hat mit diesem Projekt Bildungsgeschichte geschrieben.“
HERE AHEAD heute auf dem Uni-Campus
Seitdem sind mehrere Jahre vergangen und aus dem HERE-Büro für Geflüchtete in der Innenstadt ist die Academy for Higher Education Access Development – HERE AHEAD für internationale Studienbewerber:innen geworden. Man findet sie in großzügigen Räumen am Hochschulring 40 neben dem TAB-Gebäude auf dem Uni-Campus. Die fünf Mitarbeitenden bieten im Auftrag der staatlichen Hochschulen und der Senatorin für Wissenschaft in Bremen seit 2016 ein strukturiertes Vorbereitungsstudium für internationale Studieninteressierte mit und ohne Fluchthintergrund an. Es umfasst die Deutsch-Sprachausbildung bis zur Studienerfordernis C1 (GER), eine überfachliche Studienqualifizierung und ein mehrmonatiges, abgestimmtes Curriculum zur fachlichen Studienvorbereitung für die Bremer Studiengänge.
Mehr als 500 haben die Programme bereits durchlaufen
„Rund 50 Teilnehmende sind zurzeit in unseren Programmen, um sich für ein Studium in Bremen vorzubereiten“, sagt die Geschäftsführerin Dr. Christina von Behr. Mehr als 500 haben die Programme bereits durchlaufen. Meist benötigen sie ein bis eineinhalb Jahre. „Das hängt von den Deutschkenntnissen ab, die sie mitbringen“, erklärt die Geschäftsführerin. Die Teilnehmenden kommen aus Ländern wie dem Irak, Iran, Pakistan, Afghanistan, Syrien, der Türkei und auch aus China, Vietnam, Indien, Marokko und Ländern Lateinamerikas. „In der Hochphase 2018 hatten wir über 200 Teilnehmende in den Programmen,“ berichtet die Leiterin. „Zu dieser Zeit kamen auch viele Geflüchtete aus der Türkei.“ Häufig waren es Lehrer:innen, die ihre Tätigkeit im Heimatland nicht mehr ausüben durften. In den Kursen lernen die Internationalen mit Fluchterfahrungen und die internationalen Studienanwärter:innen zusammen. „Dieses gemeinsame Lernen ist ein großer Gewinn für alle Seiten“, so Christina von Behr. „Die jungen internationalen Abiturient:innen kommen mit klaren Zielen. Dies hilft auch den geflüchteten Studieninteressierten, die gezwungen sind, ihren Weg neu zu finden. Dabei bringen die Geflüchteten häufig schon mehr Studien- und Lebenserfahrungen mit und können den jungen Schulabsolvent:innen bei der Fachorientierung helfen. Beide Gruppen verbindet, dass sie sich in Bremen in einem fremden Land zurechtfinden müssen.
Stipendien für gefährdete Studierende aus Afghanistan
In der Belaruskrise fragten ebenfalls viele Menschen aus dem Land an, um für sich neue Studienperspektiven zu finden. Doch da sie keinen offiziellen Status als Geflüchtete hatten, waren Aufenthalt und Finanzierung oft schwierig. Denn die Einreise aus Nicht-EU-Ländern ist ihnen nur dann möglich, wenn sie mit einem Finanzierungnachweis ihre finanzielle Absicherung belegen können. Die Academy kann mit ihren beiden bestehenden Vorbereitungsprogrammen – „:here studies“ für Geflüchtete und „:prime“ für internationale Studierende ohne Fluchthintergrund – auf alle Bedarfe schnell und unkompliziert reagieren, so dass sich zumeist passende Lösungen für die Studieninteressierten finden lassen. Auch für Verfolgte aus Belarus.
Gleiches gilt für Menschen aus Afghanistan, die ebenfalls nicht als Geflüchtete nach Deutschland kommen können. Mit der Unterstützung der Kanzlerin der Universität Bremen, Frauke Meyer, hat die Academy jetzt das „Omid Farda“-Stipendium (persisch: Hoffnung für morgen) für 10 Studierende aus Afghanistan ausgeschrieben. Anders ist es für ukrainische Staatsbürger:innen: Sie haben offiziell einen Status als Geflüchtete und können damit ohne Probleme an :here studies in der Förderung des DAAD teilnehmen.
„Diese Krise zeigt erneut, wie wichtig unsere Arbeit ist“ Dr. Christina von Behr, Geschäftsführerin HERE AHEAD
Für Christina von Behr und ihr Team sind diese Unterschiede für ihre tägliche Arbeit oft nicht leicht. „In unseren Kursen sitzen alle zusammen: internationale Studieninteressierte, die sich bewusst für Bremen und eine akademische Laufbahn in Deutschland entschieden haben, und Menschen mit Geflüchteten-Status sowie diejenigen, die aus ihrem Land fliehen müssen ohne diesen Status zu bekommen.“ Das sei es manchmal schwierig zu erklären, dass in der Politik mit zweierlei Maß gemessen werde. Insgesamt sei jedoch die Solidarität und das Miteinander der Vorbereitungsstudierenden in den Kursen groß.
Geschäftsführerin plädiert für Entfristung des Projekts
Anfragen aus der Ukraine bekommt die Academy HERE AHEAD seit Wochen – vorerst vereinzelt, werden es stetig mehr. Von ukrainischen Staatsbürger:innen ebenso wie von internationalen Studierende aus der Ukraine. „Diese Krise zeigt erneut, wie wichtig unsere Arbeit ist“, sagt Christina von Behr. Sie ist sehr dankbar, dass die Politik und alle Hochschulen in dem Programm sehr produktiv zusammenarbeiten und das Projekt von der Wissenschaftssenatorin Dr. Claudia Schilling und dem DAAD finanziell gefördert wird. Allerdings ist es bislang befristet – aktuell bis 2026.
„Fluchtbewegungen werden wir immer haben, ebenso wie internationales Interesse am Studium in Deutschland“, so von Behr. Dementsprechend wäre es wichtig, die Academy als dauerhaftes Projekt für den Hochschulzugang von Internationalen in Bremen zu etablieren. Zudem ist die Academy die einzige Einrichtung, die jungen internationalen Studieninteressierten mit einer indirekten Zugangsberechtigung den Weg in die Hochschulen des Landes Bremen ermöglicht. „Jahrzehntelang hat Bremen diese Studierenden an die Studienkollegs in Hamburg und Niedersachsen verloren. Jetzt schafft die Academy neue Perspektiven für engagierte, junge Menschen, die Deutschland und Bremen dringend brauchen“, so Christina von Behr.
Mehr Informationen
Weitere Informationen zum Programm gibt es auf der Website und auf Instagram unter @hereahead.