Orientierung im Datenmeer
Beim „Tag der Forschungsdaten“ sensibilisierte die U Bremen Research Alliance für den richtigen Umgang mit Daten – zum Nutzen von Forschung und Gesellschaft.
Ohne Daten kein Fortschritt in der Wissenschaft. Wie aber sie speichern, teilen, auffindbar oder wiederverwertbar machen, sodass neue Erkenntnisse auch entstehen können?
Vier Tische, an jedem sitzen vier bis fünf Studierende und Nachwuchsforschende. Auf jedem Tisch liegt eine Packung mit Lego, aus dem die jeweilige Gruppe ein Fahrzeug bauen soll – und jeden einzelnen Baufortschritt dokumentieren muss. Ist dies geschafft, werden die Fahrzeuge wieder in ihre Einzelteile zerlegt, und die Gruppen wechseln. Ihre Aufgabe nun: Nur mithilfe der Dokumentation das für sie fremde Fahrzeug nachbauen.
„Bremen ist ganz vorne mit dabei.“
„How to document your research data – Keep calm and play with Lego®”, lautet der Titel dieses Workshops im Fraunhofer MEVIS, einer der Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance. „Wir wollen mit diesem spielerischen Ansatz das Interesse für die Dokumentation von Daten wecken“, sagt Heike Thoricht vom Data Science Center der Universität Bremen, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Zänkert die Veranstaltung betreut.
Workshops, Walk-ins, Vorlesungen, Podiumsdiskussionen: Knapp zwei Dutzend Events, verteilt auf zehn Orte, informieren am Tag der Forschungsdaten rund um den Campus der Universität Bremen über die verschiedensten Aspekte bei der Behandlung von Daten. Unterschiedlichste Disziplinen und Institute sind mit einem gemeinsamen Motto am Start: „Open doors for open data.” Alle Veranstaltungen sind öffentlich und kostenfrei.
Den Auftakt hatte am Abend zuvor im Haus der Wissenschaft in der Bremer Innenstadt eine hochkarätig besetzte Veranstaltung mit mehreren renommierten Sprecher:innen gemacht. Vor rund 100 Gästen setzte Professorin Dr. Jutta Günther, Rektorin der Universität Bremen und Vorsitzende der U Bremen Research Alliance, den Ton. Forschungsdaten seien einer der wichtigsten immateriellen Rohstoffe unserer Zeit, betonte Günther, sie seien das „Gold der Gegenwart“. Um ihr enormes Potenzial für neue Erkenntnisse bergen zu können, müssten sie jedoch so verfügbar gemacht werden, dass sie auch für Dritte leicht auffindbar seien. „Dazu bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur“, meinte Günther und verwies auf die von der Bundesregierung geförderte Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). „Mit Stolz kann ich sagen, dass die Einrichtungen der U Bremen Research Alliance an neun der 27 Konsortien beteiligt sind. Bremen ist ganz vorne mit dabei.“
Dem würde Dr. Frank Oliver Glöckner nicht widersprechen. Der Professor für Erdsystem Datenwissenschaften trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem das Logo des Urkontinents PANGAEA aufgedruckt ist. Der Name steht zugleich für eines der weltweit erfolgreichsten digitalen Bibliothekssysteme für Daten aus der Erdsystemforschung und den Umweltwissenschaften, das Glöckner leitet. Getragen von zwei Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance, dem Alfred-Wegner Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Universität Bremen mit dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM), fungiert PANGAEA als Dienstleister für Wissenschaft sowie Politik – und das seit fast 30 Jahren.
„Das Sammeln und Zur-Verfügung-Stellen von Daten ist kein Selbstzweck“, betont Glöckner. „Es soll zu einer besseren Wissenschaft führen, die dann bessere Entscheidungen in der Politik ermöglicht oder auch zu besseren Produkten beiträgt.“ An den Wert von Forschungsdaten im Zusammenhang mit der Coronapandemie hatte am Vorabend in seinem Vortrag Professor Dr. Hajo Zeeb erinnert. „Ohne evidenzbasierte Daten wären wir aufgeschmissen gewesen“, meinte der Abteilungsleiter Prävention und Evaluation am BIPS, dem Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. In der Anfangszeit der Pandemie sei noch vielfach auf Daten aus anderen Ländern zurückgegriffen worden. Inzwischen aber habe Bremen ein großes Studienportal aufgebaut. Auch wenn es noch viel Luft nach oben beim Erheben, Verknüpfen und der Nutzung von Forschungsdaten gebe: „Auf künftige Krisen können wir jetzt besser reagieren.“
„Umso wichtiger ist der Tag der Forschungsdaten. Er hilft, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Daten nicht aus dem Nichts kommen und nicht ins Nichts verschwinden.“
Ein wichtiger Baustein im Umgang mit Daten ist die Förderung der FAIR-Prinzipien, wie sie auch von PANGAEA propagiert werden: Findable (auffindbar), Accessible (zugänglich), Interoperable (interoperabel) und Re-usable (wiederverwendbar) sollen die Daten sein. Glöckner räumt aber auch ein, dass das Management von Forschungsdaten nicht das Thema mit dem größten Sex-Appeal sei. „Umso wichtiger ist der Tag der Forschungsdaten. Er hilft, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Daten nicht aus dem Nichts kommen und nicht ins Nichts verschwinden.“
Was aus Daten werden kann, ist ein paar Türen weiter von Glöckners Büro im Gebäude Unicom 2 an der Mary-Somerville-Straße 2–4 zu sehen. Dort werden lebens- und überlebensgroße 3D-Modelle von Insekten gezeigt. In naturkundlichen Museen lagern wertvolle Sammlungen mit Millionen von präparierten und genadelten Insekten. „Wir digitalisieren Insekten und fertigen virtuelle 3D-Modelle mit Echtfarben-Oberflächentexturen“, erläutert Lukas Münter von der Gesellschaft für biologische Daten e. V. „Forschende oder auch interessierte Privatleute können auf die Daten zugreifen, die Sammlungen werden zugänglicher.“
Der gesamte dritte Stock des Unicom 2 wird am Tag der Forschungsdaten zur Darstellung von Projekten genutzt, Aufkleber auf dem Boden leiten die Besucher:innen. Um Zugänglichkeit geht es auch Gauvain Wiemer, Leiter des Kernbereichs Datenmanagement und Digitalisierung bei der Deutschen Allianz für Meeresforschung (DAM). Die Einrichtung baut eine integrierte Dateninfrastruktur für die Meeresforschungslandschaft auf. Das können Informationen etwa von Forschungsschiffen zu Temperatur, Salzgehalt oder Strömungsgeschwindigkeiten in bestimmten Meeresregionen sein oder auch Angaben zur Topografie des Bodens. „Solche Daten sind extrem wertvoll. Wir versuchen, sie nutzerfreundlich zur Verfügung zu stellen“, erläutert Wiemer. Auch Angaben von Funden von Munitionsresten in Nord- und Ostsee stellt die DAM bereit.
Mit derartigen Altlasten aus den beiden Weltkriegen kennt sich Dr. Sebastian Vehlken aus. Der Professor für Wissensprozesse und digitale Medien am Deutschen Schifffahrtsmuseum hat im Foyer des Mehrzweckhochhauses der Universität Bremen eine Station mit Handscanner und Bildschirm aufgebaut. Besucher:innen können hier ihr dreidimensionales Profil von sich selbst erstellen lassen. Vehlken ist vom Mehrwert der digitalen Technik für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit überzeugt. Schließlich ermöglicht sie es, wertvolle museale Artefakte, die bislang hinter Archivtüren verborgen gewesen sind, breitenwirksam zu zeigen.
„Von dem Austausch mit anderen Disziplinen innerhalb der U Bremen Research Alliance profitieren wir enorm.“
Vehlken geht es allerdings weniger um einzelne Objekte. „Eine möglichst fotorealistische Erfassung eines Objektes ist für mich weniger interessant“, sagt er. Er will vielmehr anhand einzelner Gegenstände eine Geschichte erzählen, sie vernetzen und verknüpfen. Das kann zum Beispiel das Porzellanservice an Bord eines Ozeandampfers auf dem Weg von Bremerhaven nach Amerika sein. Wer hat davon gegessen, wer es serviert oder gespült? „In Verbindung mit Tagebucheinträgen, Fotografien oder auch Karten kann man ein lebendiges Gesamtbild erzeugen, eine ganze Welt aufzeigen.“
Derartige digitale Projekte können Türöffner sein, gerade für ein jüngeres Publikum, umso mehr, wenn sie noch um partizipative Elemente ergänzt werden. Ihre Erstellung erfordert ein hohes Maß an Know-how. „Von dem Austausch mit anderen Disziplinen innerhalb der U Bremen Research Alliance profitieren wir enorm“, freut sich Vehlken. Für das Deutsche Schifffahrtsmuseum sei es bereichernd, bei der Allianz dabei zu sein – nicht nur am Tag der Forschungsdaten.
Datenhochburg Bremen
Die Datenbestände von Wissenschaft und Forschung systematisch zu erschließen, sie nachhaltig zu sichern, zugänglich zu machen sowie zu vernetzen – das ist das Ziel der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). So soll ein digitaler Wissensspeicher entstehen, der neue Erkenntnisse und Innovationen ermöglicht. Bund und Länder fördern dieses Vorhaben bis 2028 mit insgesamt 90 Millionen Euro. Gleich an einem Drittel der Konsortien, an neun von 27, sind Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance führend beteiligt. Dazu zählen die Konsortien in den Bereichen Biodiversität, Gesundheit, Sozial- und Wirtschaftsdaten, Ingenieurwesen, Data Science, Erdsystemwissenschaften, Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, Mikrobiologie sowie die Geschichtswissenschaften.
Der Artikel stammt aus Impact - Dem Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Institute der bundländerfinanzierten außeruniversitären Forschung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der Tiefsee bis ins Weltall“. Das Wissenschafts-Magazin Impact gibt zweimal im Jahr spannende Einblicke in das Wirken der kooperativen Forschung in Bremen.