„Digitale Spiele sind ein kulturelles Leitmedium unserer Zeit“

Professor Christian Schwarzenegger, Leiter des ZeMKI-Labs „Medienwandel und langfristige Transformationsprozesse“, im Interview mit up2date.

Forschung / Uni & Gesellschaft

Gaming, also die Nutzung von digitalen Spielen auf PCs, Konsolen, Smartphones oder Tablets, ist längst keine Freizeitbeschäftigung von Jugendlichen mehr. Gaming hat in unseren Alltag Einzug gehalten und hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Im Interview spricht Professor Christian Schwarzenegger über dieses Phänomen.

Herr Professor Schwarzenegger, Sie sprechen von digitalem Gaming als Treiber gesellschaftlicher Transformation. Wird seine Bedeutung in Deutschland unterschätzt?

Christian Schwarzenegger: Ja, definitiv. Obwohl Gaming längst ein zentraler wirtschaftlicher Faktor in den Medienindustrien ist, wird seine gesellschaftliche und alltagskulturelle Bedeutung im deutschsprachigen Raum oft noch nicht angemessen wahrgenommen. Dabei prägt die Gamingkultur unsere Kommunikationskultur in technischer, ästhetischer, emotionaler und sozialer Hinsicht maßgeblich mit.

Was macht digitale Spiele heute zu einem so einflussreichen Medium?

Digitale Spiele sind für viele jüngere Menschen das Leitmedium – und zunehmend auch für ältere Generationen. Sie sind mehr als bloße Unterhaltung: Sie strukturieren Lebenswelten, ermöglichen neue Formen der Kommunikation und schaffen Gemeinschaft. Formate wie Let’s Plays, Streams oder Community-Plattformen sind aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Prominente Streamer:innen erreichen ein Millionenpublikum und haben eine Präsenz, die früher Nachrichtensprecher:innen oder Showmaster innehatten – allerdings auf eine viel persönlichere, subjektivere Art. Sie bieten ihren Followern oft parasoziale Beziehungen, Orientierung und manchmal sogar Sinnstiftung.

Portraitfoto von Professor Christian Schwarzenegger
Professor Christian Schwarzenegger, Leiter des ZeMKI-Labs „Medienwandel und langfristige Transformationsprozesse“.
© Beate C. Köhler

Wie beeinflusst die Gamingkultur gesellschaftliche Bereiche?

Sie ist ein ästhetisches Labor, eine soziale Plattform und ein Resonanzraum für ganze Generationen. Spielerische Logiken finden sich heute in Fitness-Apps, Lernplattformen oder Ernährungsprogrammen. Begriffe wie „Level“, „NPC“ oder „Endgegner“ sind längst Teil des Alltagsvokabulars von vielen Menschen geworden. Die Spielekultur ist also tief in unsere Gesellschaft eingedrungen – und das weit über die Spiele selbst hinaus.

Wie hat sich die Rolle von Gaming im digitalen Raum verändert?

Früher ging es um Besitz von Spielen, heute um digitale Lizenzen. Früher war das Spielerlebnis individuell, heute ist es oft kollektiv: über Streams, Communitys oder Multiplayer-Erlebnisse. Plattformen wie Discord oder Twitch sind längst keine bloßen Begleiterscheinungen mehr, sondern tragende Säulen digitaler Öffentlichkeit.

Welche Auswirkungen hat die Entwicklung des Gamings auf politische Kommunikation?

Ganz erhebliche. Während früher Popstars Wahlkämpfe beeinflussten, sind es heute Streamer:innen und Gaming-Creator, die mediale Reichweite und Vertrauen bündeln. Im Bundestagswahlkampf 2025 gab es erste Kooperationen mit Streamern. Zukünftig werden Politiker:innen dorthin gehen müssen, wo ihre Zielgruppen sind – also auf Plattformen wie Twitch oder Discord. Das stellt klassische politische Kommunikation vor neue Herausforderungen.

Sie sprechen auch von einer veränderten Logik medialer Vermittlung. Was meinen Sie damit genau?

Die Inhalte, die über Gaming-Formate vermittelt werden, sind oft emotional aufgeladen, exemplarisch erzählt und stark in Alltagswelten eingebettet. Sie folgen nicht den Regeln klassisch-journalistischer Vermittlung. Das ist weder trivial noch per se problematisch – aber es ist eben anders. Und das müssen wir als Gesellschaft verstehen lernen.

Welche Rolle spielt die Gamescom, die vom 20. bis zum 24. August stattfindet, in diesem Kontext?

Die Gamescom ist weit mehr als nur eine Messe. Sie ist ein rituell wiederkehrendes Ereignis mit eigenem gesellschaftlichen Stellenwert – ein Kommunikationsraum, in dem Gaming nicht nur gezeigt, sondern auch verhandelt wird. Sie ist ein Medienereignis in sich selbst. Das erklärt auch, warum dort nicht nur Gamer:innen, sondern auch politische Prominenz auftaucht. Wenn die Zukunft Hof hält, dann will man das nicht verpassen und sei es nur, um sich trefflich darüber aufzuregen. Wer heute relevant sein will, muss dort präsent sein.

Was folgt daraus für Medienpolitik, Wissenschaft und politische Bildung?

Sie müssen Gaming endlich als das anerkennen, was es ist: ein integraler Bestandteil unserer digitalen Öffentlichkeit. Es reicht nicht, Games als bloßes Freizeitvergnügen oder Wirtschaftsfaktor zu betrachten. Vielmehr müssen wir sie als eigenständige kulturelle Gegenwart ernst nehmen – wenn wir verstehen wollen, wie Kommunikation, Teilhabe und soziale Dynamiken heute funktionieren.

Weitere Informationen

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