Sea4Value: Wertvolle Rohstoffe aus dem Meer
Lithium, Magnesium, Scandium, Vanadium, Gallium, Bor, Indium, Molybdän, Rubidium: Wertvolle Rohstoffe, die meistens in Minen außerhalb Europas abgebaut werden.
Ein großes europäisches Projekt geht jetzt einen neuen Weg – es will die Gewinnung dieser Rohstoffe aus Meerwasser ermöglichen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei das Fachgebiet Technische Thermodynamik im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen.
Lithium wird oft als “weißes Gold“ bezeichnet. Ohne dieses Material geht beispielsweise in der Tech-Welt nichts. Lithium ist unter anderem für Batterien wichtig – schon lange in Smartphones oder Laptops. Aber auch in der Elektromobilität, deren beschleunigte weltweite Einführung geradezu nach leistungsfähigen Batterien „schreit“. „Auch andere wertvolle Metalle und Minerale sind sehr rar, aber für aktuelle Anwendungen und Produkte sowie deren Weiterentwicklung ungemein wichtig“, sagt Dr.-Ing. Heike Glade. Sie leitet die Arbeitsgruppe „Verdampfertechnik und Meerwasserentsalzung“ im Fachgebiet Technische Thermodynamik des Fachbereichs Produktionstechnik. „Das Problem für europäische Firmen: Diese Rohstoffe kommen meistens nicht aus Europa. Der Kontinent hat also ein Versorgungsrisiko und ist abhängig von ausländischen Märkten.“
Das soll nun anders werden – dank eines großen europäischen Projektes, das mit Mitteln aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union gefördert wird. Sea4Value lautet der Titel des vierjährigen Vorhabens, in das auch Produktionstechnikerinnen und -techniker der Universität Bremen eingebunden sind. Der Titel verrät es bereits: „Auch Meerwasser steckt voller Minerale und Metalle, von denen viele wertvoll, selten oder sogar kritisch hinsichtlich der Versorgung sind“, erläutert M. Sc. Jan Imholze, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe. „Wir wollen Technologien entwickeln, mit der wir diese Bestandteile dem Meerwasser entziehen können.“
Anlagen dafür gibt es bislang nicht – sie aufzubauen, ist das Ziel. „Die Minerale und Metalle sind im Meerwasser nur in sehr geringen Konzentrationen gelöst. Sie müssen also zuerst im Meerwasser stark aufkonzentriert werden, bevor sie durch selektive Trennprozesse wirtschaftlich gewonnen werden können“, sagt Heike Glade. In Meerwasserentsalzungsanlagen, die weltweit seit vielen Jahren erfolgreich Frischwasser produzieren, wird das Meerwasser während der Entsalzung schon aufkonzentriert. Solche Anlagen stehen beispielsweise auch in Spanien, wo es an Frischwasser mangelt.
Rohstoffe aus der Wassersole
Der Ansatz ist nun, die Meerwassersole aus Entsalzungsanlagen als neue Quelle für die nachhaltige Gewinnung von Rohstoffen zu nutzen. Erreicht werden soll dies durch die Entwicklung und das Upscaling neuartiger Technologien. Die meisten Entsalzungsanlagen verwenden die sogenannte Umkehrosmose-Technologie. Dabei wird Meerwasser unter Druck an einer dichten Membran entlanggeführt. Die Membran lässt nur Wasser durch, das am Ende in Trinkwasser-Qualität zur Verfügung steht. „Dabei entsteht auch eine konzentrierte Salzlösung. Die wird momentan noch als Abfall betrachtet und zurück ins Meer geleitet, enthält aber hohe Konzentrationen an Mineralen und Metallen“, erläutert Jan Imholze. Sea4Value zielt auf die Rückgewinnung dieser Metalle und Minerale aus der Sole ab.
Das europäische Projekt entwickelt dazu einen modularen Prozess zur Multi-Element-Rückgewinnung. Es soll das erste industriell nutzbare Verfahren dieser Art sein, das auf eine neue nachhaltige Weise sowohl neun Rohstoffe extrahiert als auch Frischwasser für den Verbrauch zur Verfügung stellt. „Ziel ist es zudem, neue Geschäftsmöglichkeiten für Betreiber von Meerwasserentsalzungsanlagen zu schaffen und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck zu minimieren“, so Heike Glade.
16 Forschungsinstitute und Industriepartner beteiligt
Im Projekt, das mit insgesamt rund 7 Millionen Euro bis 2024 gefördert wird, kooperieren 16 Forschungsinstitute und Industriepartner. Sie kommen aus Spanien, Deutschland, Italien, Belgien, der Ukraine, den Niederlanden, Finnland und der Schweiz. Aufgabe der Ingenieurwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Universität Bremen ist es, einen neuartigen Verdampfer mit wärmeleitenden Rohren auf Polymerbasis für die weitere Konzentration des Meerwassers zu entwickeln.
Kunststoffe sind allerdings sehr schlechte Wärmeleiter. Die große Herausforderung besteht darin, wärmeleitende und funktionstüchtige Rohre auf Kunststoffbasis für den Verdampfer zu erschaffen. „Komposite – also Verbundmaterialien – aus Kunststoff und einem wärmeleitenden Füllstoff werden für Verdampfer erforscht: korrosionsbeständig und wirtschaftlich günstig einsetzbar“, sagt Jan Imholze. Genau darauf kommt es bei Sea4Value an, denn Salzwasser ist extrem korrosiv und greift teure metallische Werkstoffe in einem Verdampfer an.
Schon vor rund 15 Jahren hat Dr. Heike Glade in einem Projekt mit dem Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) erstmals zu Alternativmaterialien für die Meerwasserentsalzung geforscht. Die Expertise der Bremer Ingenieurin sprach sich in Fachkreisen herum. „Wir wurden gefragt, ob wir nicht auch für die Rohstoffgewinnung aus der Meerwassersole einen innovativen Verdampfer mit angepassten Materialen auf Polymerbasis entwickeln können“, sagt Heike Glade.
Verdampfer mit Polymer-Kompositen für die Aufkonzentrierung der Sole
Das können die Expertinnen und Experten der Universität Bremen. Sie forschen nun an einer Mischung aus Polypropylen mit Graphit – leicht, kostengünstig, korrosionsbeständig und wärmeleitfähig. „Unser Verdampfer soll dazu genutzt werden, die Sole weiter aufzukonzentrieren. In nachgeschalteten Prozessen, die von unseren Projektpartnern entwickelt werden, können dann die wertvollen Rohstoffe extrahiert werden,“ sagt Jan Imholze.
In den ersten 30 Monaten von Sea4Value werden nun Konzentrierungs-, Kristallisations- und Trenntechnologien für neun Minerale und Metalle in den Labors entwickelt. In den abschließenden 18 Monaten der Projektlaufzeit wird dann ein bewegliches Labor konzipiert und in zwei in Betrieb befindlichen Meerwasserentsalzungsanlagen installiert. Heike Glade: „Dabei soll die technische Durchführbarkeit an zwei verschiedenen Standorten validiert werden: am Mittelmeer im spanischen Denia und am Atlantik in Fonsalía auf der spanischen Kanareninsel Teneriffa.“
Hier geht es zur Website des Fachgebiets Technische Thermodynamik.