Sind wir auf die nächste Pandemie vorbereitet?
Interview mit Epidemiologe Professor Hajo Zeeb
Die COVID-19-Pandemie ist Teil eines globalen Trends: Seit den 1980er Jahren hat sich die Zahl der ausgebrochenen Infektionskrankheiten erhöht. Beispiele aus den 2000er sind: 2003 SARS, 2009 H1N1, mehrere EBOLA-Ausbrüche – etwa 2014 –, MERS und Zika 2015 und schließlich COVID-19 seit 2019 mit der jüngsten Mutante Omikron. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein neues mutmaßlich noch gefährlicheres Virus auftaucht. Die Frage ist also: Haben wir aus der aktuellen Pandemie gelernt und die richtigen Schlüsse gezogen?
up2date. spricht mit Epidemiologe Professor Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie, dem BIPS.
Bis zu 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten sind heute Zoonosen, das bedeutet, sie sind wie das Coronavirus vom Wildtier auf den Menschen gesprungen. Wilde Tiere tragen Schätzungen zufolge 1,7 Millionen unbekannte Virenarten in sich, von denen um die 800.000 für den Menschen gefährlich sind. Die Zerstörung des Lebensraumes wilder Tiere, der Handel mit ihnen, aber auch die industrielle Landwirtschaft und die Massentierhaltung von Nutztieren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung. Ist die nächste Pandemie also unvermeidlich oder haben wir dazugelernt?
Das Problem ist eigentlich schon seit längerem bekannt, mindestens seit der ersten SARS-Pandemie 2003, aber gerade der Handel mit Pelzen von Nerzen wird ja selbst von der EU gefördert, und genauso von China und anderen. Dies ist nur eines der offenkundigsten Probleme, die es in dem Bereich gibt. Wirtschaftliche Interessen stehen hier grundlegenden Geboten des aktuellen und langfristigen Gesundheits- und Naturschutzes entgegen. Insbesondere der enge Kontakt mit Wildtieren ist ein Risiko für die Ausbreitung von Zoonosen, so wie die intensive Nutztierhaltung das Risiko der Resistenz gegen Antibiotika befeuert. Im Moment sehe ich da noch keinen grundlegenden Wandel, auch wenn es Bemühungen zum Beispiel seitens der Vereinten Nationen gibt, Wildtierzucht und -handel strikt zu regulieren. Wir leben in einem pandemischen Zeitalter, das sollten wir ernst nehmen und deutlich mehr tun, um nicht von einer globalen Krise – gesundheitlich, sozial, wirtschaftlich – in die nächste zu schlittern. Nicht vergessen sollten wir dabei aber auch, dass es nicht-zoonotische Vireninfektionen, allen voran die klassische Influenza, gibt, die auch erhebliches pandemisches Potenzial aufweisen.
In der aktuellen Pandemie scheint es, als ob Gesellschaft und Politik nur kurzfristig auf Symptome auf nationaler Ebene reagieren. Welche vorausschauenden Maßnahmen sollte die neue Bundesregierung jetzt unternehmen, um auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein?
Da geht es um Planung und Vorbereitung auf verschiedenen Ebenen. Lokal stehen die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf allen Ebenen, die Verbesserung der Bereitstellung wichtiger epidemiologischer Daten für Forschung und Monitoring und die Logistik im Mittelpunkt. International muss natürlich die Zusammenarbeit in Informationsaustausch, Forschung und gemeinsamem Lernen beim Suchen nach Lösungen unbedingt weiter gestärkt werden. Es war aus meiner Sicht geradezu absurd, dass zu Beginn der Pandemie die Weltgesundheitsorganisation absichtlich geschwächt wurde, anstatt ihr zu mehr Macht, Schnelligkeit und Unabhängigkeit zu verhelfen. Und sicher sollte der Blick deutlich geweitet werden, denn Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz können und sollten sehr wohl gemeinsam gedacht und angegangen werden, national wie international. Dafür müssen wir aus der Wissenschaft allerdings auch vermehrt Expertise liefern.
Warum ist es wichtig, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, zusammenarbeiten?
Pandemien sind ihrer Definition nach international, global. Es ergibt fraglos Sinn, internationale Kooperation und Forschung im Sinne von Global Health eng mit weiteren Anliegen und Aufgaben der weltweiten wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu verzahnen. Beispielsweise können medizinische oder Public Health Kooperationsprojekte auch mit Maßnahmen zur Veränderungen von Produktionsbedingungen oder der Erschließung anderer Erwerbsquellen für gesundheitlich bedenkliche Beschäftigungen einhergehen. Und grundsätzlich gilt es, bei allen Projekten der internationalen Zusammenarbeit explizit die erwartbaren gesundheitlichen Wirkungen mit einzubeziehen, im Sinne von Gesundheit in allen Politikbereichen – Health in all policies. Die gegenseitige Abstimmung und enge Zusammenarbeit gerade dieser Ministerien erscheint so logisch wie nötig.
Was kann jede einzelne und jeder einzelne von uns tun, um auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein?
Momentan sind wir erstmal noch gefordert, gemeinsam aus der aktuellen Pandemie herauszukommen. Und zukünftig wird es unter anderem darum gehen, den bestmöglichen Impfschutz aufrecht zu erhalten, zu einem schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen beizutragen, und sich gut und aktuell zu informieren. Die genauen Umstände zukünftiger Pandemien sind naturgemäß noch nicht bekannt, daher macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, sich auf jede Eventualität in Bezug auf mögliche Infektionen jetzt detailliert vorzubereiten. Die jetzige Pandemie als Syndemie – nämlich besonders Menschen mit vorbestehenden Risikofaktoren oder Erkrankungen betreffend – zeigt nochmal auf, wie wichtig es ist, grundsätzlich viel für Stärkung und Erhalt der eigenen Gesundheit zu tun. Und wenn Gesellschaft und Politik dafür gute Rahmenbedingungen schaffen, ist einiges getan, um mit zukünftigen Pandemien umzugehen.