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Ist die Redefreiheit an deutschen Hochschulen gefährdet?

Ein Gespräch mit Uwe Schimank, Mitautor einer Studie zur akademischen Redefreiheit der ZEIT Stiftung Bucerius

Forschung / Uni & Gesellschaft

In Debatten um abgesagte Vorträge oder politische Demonstrationen an Universitäten taucht immer wieder der Begriff „Cancel Culture“ auf. Die damit verbundene Annahme: Nicht alles darf gesagt, oder erforscht werden, stattdessen werden Forschung und Lehre durch Denk- und Sprechverbote eingeschränkt. Ob das wirklich so ist, hat die ZEIT Stiftung Bucerius in einer Studie untersucht und dazu über 9.000 Professor:innen, Promovierende und Postdocs zu ihren Einschätzungen und Erfahrungen befragt. Zu den sieben Forschenden, die die Studie konzipiert und umgesetzt haben, gehört auch Uwe Schimank, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Bremen. up2date. hat ihn zum Gespräch getroffen.

Herr Schimank, wie kam es dazu, dass Sie an der Studie mitgearbeitet haben?

Die ZEIT Stiftung hat für die Studie nach Forschenden mit Expertise auf dem Gebiet der Wissenschaftsfreiheit gesucht. In der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften bin ich drei Jahre Leiter einer Arbeitsgruppe zu diesem Thema gewesen und aus diesem Grund angefragt worden. Konkret war ich vor allem an der Konzeption der Studie beteiligt. Schnell haben wir uns dabei auf einen quantitativen Fragebogen geeinigt. Aus terminlichen Gründen habe ich den Fragebogen nicht konkret mitgestaltet, stand aber weiterhin mit den anderen Forschenden im Austausch.

In der Studie ging es um „akademische Redefreiheit“. Wieso genau dieser Begriff und nicht zum Beispiel „Wissenschaftsfreiheit“?

Wissenschaftsfreiheit hat viele Facetten, von denen ich in meiner bisherigen Forschung schon einige unter die Lupe genommen habe. Wenn zum Beispiel Forschende bei ihrer Arbeit auf Drittmittel angewiesen sind und deshalb ständig neue Anträge stellen müssen, inwiefern können sie die Inhalte und Methoden ihrer Forschung noch frei wählen? Oder die Einschränkung von Tierversuchen – für die Auseinandersetzungen darüber haben wir in Bremen ja einen prominenten Fall. In beiden Beispielen geht es zwar um Wissenschafts-, aber nicht um Redefreiheit. Das zeigt, wie vielschichtig der Begriff der Wissenschaftsfreiheit ist. Wir wollten aber vor allem Einschränkungen der Redefreiheit untersuchen – also das, was viele mit dem Begriff „Cancel Culture“ verbinden. Die Debatten darüber werden mitunter so hitzig geführt, dass „Cancel Culture“ häufig als Kampfbegriff verwendet wird. Daher haben wir uns für die neutralere Formulierung „akademische Redefreiheit“ entschieden.

Welche Facetten von akademischer Redefreiheit hat die Studie erfasst?

Der Fragebogen war in drei Bereiche unterteilt. Zuerst haben wir die Forschenden um eine allgemeine Einschätzung gebeten, inwiefern die akademische Redefreiheit in Deutschland aus ihrer Sicht bedroht ist. Im zweiten Teil haben wir sie gefragt, inwiefern sie selbst schon einmal in ihrer eigenen Forschung und Lehre Einschränkungen erlebt oder in ihrem persönlichen Umfeld Einschränkungen beobachtet haben. Und im dritten Teil ging es dann um konkrete Szenarien: Wenn zum Beispiel eine Wissenschaftlerin einen Vortrag halten möchte, in dem sie die Intensivierung und Förderung der Nuklearforschung fordert, sollte die Veranstaltung stattfinden können? Zu all diesen Fragen konnten wir im Oktober 2024 erste Auswertungen präsentieren. In diesem Jahr möchten wir noch detailliertere Analysen veröffentlichen.

Wie bewerten denn die meisten Forschenden ihre persönliche Situation?

Bemerkenswert ist, dass viele Forschende zwar die akademische Redefreiheit allgemein als bedroht wahrnehmen, aus ihrer eigenen Erfahrung aber von keinen Einschränkungen berichten können. Ich denke, es gibt zwei Ansätze, diesen interessanten Gegensatz zu erklären. Auf der einen Seite wäre es möglich, dass Forschende persönliche Einschränkungen ausblenden oder verdrängen – oder von vorneherein ihre Forschung so gestalten, dass sie keinen Anlass für Kritik bietet. Auf der anderen Seite könnte man auch annehmen, dass die Berichterstattung über „Cancel Culture“ bestehende Herausforderungen größer macht, als sie eigentlich sind. Vermutlich sind beide Erklärungsansätze berechtigt.

Welche Ergebnisse der Studie haben Sie besonders überrascht?

Die Forschenden, die die Forschungsfreiheit als besonders gefährdet ansehen, kommen vor allem aus der Medizin, den Agrar- und Forstwissenschaften und der Veterinärmedizin. Das hat mich auf den ersten Blick erstaunt, ist aber bei genauerem Nachdenken nachvollziehbar. Schließlich spielen in diesen Fächern viele umstrittene Themen wie Tierversuche oder die Forschung mit Stammzellen eine Rolle. Dennoch sind Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen in der öffentlichen Diskussion über die Redefreiheit an Hochschulen präsenter. Das mag zum einen daran liegen, dass auch in ihren Fächern kontroverse Themen behandelt werden, etwa aus dem Postkolonialismus. Dazu kommt aber aus meiner Sicht, dass diese Forschenden sich in der Öffentlichkeit häufiger und lauter äußern.

Wo sehen Sie Grenzen der Studie?

Es handelt sich um eine rein quantitative Studie mit standardisierten Fragen und Antwortmöglichkeiten, sodass wir einige Aspekte nicht so gut herausarbeiten konnten. So haben wir die Forschenden unter anderem gefragt, inwiefern sie schon einmal für ihre Arbeiten kritisiert worden sind. Kritik gehört ja zum Wesen wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Aber wann sie über das Maß dessen, was als fachliche Kritik zulässig ist, hinausgeht, wird wohl jede und jeder unterschiedlich beurteilen. Das konnten wir nicht genauer ergründen, obwohl es sehr aufschlussreich gewesen wäre. Dieser Schwachstelle sind wir uns bewusst, sie lässt sich aber mit den Methoden der Studie nur schwer ausgleichen.

Weitere Informationen

Kurzbericht zur empirischen Studie “Akademische Redefreiheit”

ZEIT Stiftung Bucerius

Zur Person: Professor Uwe Schimank

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