Wie Engagierte an der Uni Lebensraum für Pflanzen und Insekten schaffen
„Campus goes biodiverse“ oder: Warum ist die Wiese nicht gemäht?
Was ist denn hier los? Die Wiese hinter der Staats-und Universitätsbibliothek ist nicht gemäht? Warum stehen Gräser und gelbe Blüten kniehoch? Ja, hat das Dezernat 4, der technische Betrieb der Universität, hier nix gemacht, wo doch sonst alles tadellos raspelkurz geschoren ist? Die Fläche vielleicht einfach übersehen? Nein, es ist ein Deal. Wir wären nicht an der Universität, wenn das nicht einen wissenschaftlichen Sinn hätte. „Campus goes biodiverse“ heißt das Projekt, und eine Gruppe von Studierenden und ihre Professoren können das gemeinsam mit der Umweltbeauftragten des Rektorats super erklären.
Für ein „alternatives Grünflächenmanagement“ setzen sich die Mitglieder der Naturschutzgruppe der Universität Bremen, kurz NUB, ein. Die Studierenden Hannah Callenius, Antonia Otte und Moritz Rocho sind zur Stelle und erläutern bei einem Ortstermin, worauf es ihnen ankommt. Natur in die Stadt bringen, so das Pilotprojekt der Universität Bremen. „Die Intensivierung der Landwirtschaft führt durch Düngung, Grundwasserabsenkung und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu einem Rückgang der Vielfalt von Pflanzen und Tieren“, sagt Hannah Callenius, die Biologie im Bachelor studiert. Nun wird auf urbanen Flächen dagegengehalten, um einen Ausgleich zu schaffen. Also auch auf dem Campus. „Weniger Mahd bringt mehr“, sagt sie.
Akribisch Pflanzen bestimmen
Biologieprofessor Martin Diekmann betreut ein wissenschaftliches Projekt zur Biodiversität. „Wir freuen uns, dass wir an der Universität so viele Unterstützerinnen und Unterstützer haben“, sagt er. Sein Student Jannis Gercken – Biologie und Geschichte auf Lehramt – ist bereits dabei, auf der Wiese hinter dem Magazinturm einen Claim abzustecken. Hier wird er nun akribisch jede Pflanze bestimmen. „Ich schau grad nach, was hier so wächst“, sagt der 22-Jährige lässig. Es sieht auf den ersten Blick nicht so spektakulär aus. Aber. Der Blick schärft sich bei genauem Hinsehen: Die sanften Gräser heißen zum Beispiel Rotschwingel. „Festuca rubra“, murmelt der studentische Fachmann. Dann geht es Schlag auf Schlag: Ferkelkraut, Glockenblume, Habichtskraut, Johanniskraut, Malve, Margerite, Natternkopf, Saatwicke, Schafgarbe und Storchschnabel. Viel mehr als gedacht.
Mit dem Kescher längs gehen
Die Wissenschaftler und ihre Studierenden wollen nun sehen, was passiert, wenn die Flächen in Ruhe gelassen, sprich nicht gemäht werden. Oder ob es Sinn macht, weitere Arten in den Magerrasen einzusäen. Das wird ein spannendes Experiment. Spannend auch für Professor Marko Rohlfs. Der Zoologe ist Spezialist für Insekten und erläutert den Kreislauf, und wie eines vom anderen abhängt. „Wir sind in einer Phase des Insektensterbens“, sagt er ernst. Die Biomasse in ihrer Vielfalt sei das Futter der Insekten, die wiederum die Nahrungsquelle der Vögel seien. 60 Prozent von ihnen ernährten sich von den krabbelnden und geflügelten Tieren. „Großinsektenfresser wie die Blauracke sind schon ausgestorben“, sagt er. Auch Professor Rohlfs und seine Studierenden sind gespannt, was mit der ungemähten Wiese so passiert. „Wir werden hier mit dem Kescher mal längs gehen und schauen, was für Spinnen, Schmetterlinge, Wespen und Wildbienen so herumschwirren.“
Zehn Flächen klar gemacht
Thorsten Kluß aus der Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik, der dem Bienensterben auf die Spur kommen will, ist mit von der Partie. Durch die Bebauung großer Flächen hinter dem Cartesium sind seine Bienen vor große Herausforderungen gestellt. „Sie müssen zur Futtersuche woanders hin, das kostet sie sehr viel Kraft“, sagt er. Umso willkommener sind diese Ausweichwiesen. Das Projekt, so sind sich alle Beteiligten sicher, muss populär gemacht werden. Zehn Flächen haben die Engagierten mit Unterstützung von Doris Sövegjarto-Wigbers, der Umweltbeauftragten der Universität, klargemacht. Zehn Flächen, die nur noch ganz selten gemäht werden. Um Passantinnen und Passanten zu erklären, was hier vor sich geht, sollen künftig Tafeln aufgestellt werden. „Wir wollen die Menschen auf dem Campus für Biodiversität sensibilisieren“, sagt Professor Diekmann.