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Wie entwickelt sich der Mensch im Laufe seines Lebens?

Zwillingsforschung des Instituts für Psychologie ist der Sache auf der Spur

Forschung

Wie stark hängt die Entwicklung der Persönlichkeit von den Genen ab? Mehr als bisher angenommen? Diesen Fragen geht der Bremer Psychologe Professor Christian Kandler gemeinsam mit seinem Team nach. Die Besonderheit: Er beobachtet die Entwicklung von Zwillingen.

600 Zwillingsfamilien will der Wissenschaftler in der zweiten Erhebungswelle der Studie SPeADy, Kurzform für „Study of Personality Architecture and Dynamics”, zu Deutsch „Studie der Persönlichkeitsarchitektur und -dynamiken“ befragen. Das geschieht bestenfalls online.

Selbsteinschätzungen werden erfragt, etwa: Wo sehen Sie Ihren sozialen Status auf einer zehnstufigen Leiter? Psychologische Messmöglichkeiten in den Fragebögen seien Ängstlichkeit oder Draufgängertum, Extravertiertheit oder Introvertiertheit, Fragen nach Gewohnheiten und der eigenen subjektiven Attraktivität im Vergleich zu anderen. Mehr Details verrät Professor Kandler allerdings nicht. „Wir dürfen das Ergebnis nicht verfälschen“, sagt er.

“Den Genen kommt eine größere Rolle zu als bisher angenommen“

Sind hunderte von Fragebögen online beantwortet, wertet sie der Leiter der Arbeitsgruppe Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik gemeinsam mit seinem SPeADy-Team – bestehend aus zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und studentischen Hilfskräften – statistisch aus. Bislang sind sie zu folgendem Ergebnis gekommen: „Die individuelle Persönlichkeit entwickelt sich ein Leben lang auf der Basis von Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt. Den Genen kommt dabei eine größere Rolle zu als bisher angenommen , so Professor Kandler.

Rolle von Freiheit und Zufall

Diese Wechselwirkungen veranschaulicht der Psychologe anhand zweier Beispiele: „Angenommen, ein Mensch hat die genetische Anlage zu Fettleibigkeit. In Ländern wie in Deutschland, wo Lebensmittel in Hülle und Fülle vorhanden sind, kann die auch leicht zur Ausprägung kommen. In Ländern mit Hungersnöten aber nicht.“ Oder: „Genetisch angelegtes kognitives Leistungspotential kommt nur zur Entfaltung, wenn die Gegebenheiten günstig sind. Wer keinen Zugang zu Büchern und Bibliotheken hat, wird seine Anlage auch nicht ausprägen können“, sagt der 38-Jährige. Schließlich habe der Mensch die Freiheit, sich zu entfalten und wähle mit seinem eigenen Willen die Bedingungen aus, die zu ihm passen. „Das gilt zum Beispiel für Freunde, die man sich sucht.“

Professor Christian Kandler beobachtet die Entwicklung von eineiigen und zweieiigen Zwillingen.
©Harald Rehling

Ein weiterer Faktor, warum heranwachsende Menschen sich zu dem entwickeln, was sie später sind, ist laut Kandler der Zufall. „Zwei genetisch identische eineiige Zwillinge teilen sich sehr früh in ihrer Entwicklung die gleiche Umwelt, sie entwickeln sich gemeinsam im Mutterleib. Jedoch können sie nicht zur selben Zeit am selben Ort sein. Dies führt zu einer unterschiedlichen Stoffwechselversorgung im Mutterleib, die sich auch auf die Einzigartigkeit der Entwicklung von Furchen in der Haut auswirken kann. Deshalb haben auch eineiige Zwillinge, seien sie auf dem ersten Blick auch noch so ähnlich, einen einzigartigen Fingerabdruck. Ähnliche andere umweltbedingte Zufälle können im Laufe des Lebens auftreten. Sie erklären, warum sich Zwillinge sowohl physisch als auch psychisch zunehmend unterscheiden.“

Temperament, Motive und Werthaltungen

Temperament, Motive und Werthaltungen stehen im Zentrum der Online-Tests. „Die Zwillingsforschung hilft uns herauszufinden, wie Anlage und Umwelt wechselwirken“, sagt der Experte. Eineiige Zwillinge seien als Folge einer Teilung der befruchteten Eizelle komplett genetisch identisch, wobei bis heute ungeklärt sei, warum, wann und bei wem es zu einer Teilung kommen kann: „Vermutlich Zufall!“ Interessant sei, dass eineiige Zwillinge trotzdem über zufällig häufig spiegelverkehrte Körpermerkmale ausprägen. „Einer hat Wirbel und Scheitel rechts, der andere links, einer ist Rechtshänder, einer Linkshänder“, berichtet der Experte von seinen Erfahrungen.

Anders als die eineiigen seien die zweieiigen Zwillinge. Ihre Erbanlagen sind im Durchschnitt genauso ähnlich wie die von gewöhnlichen Geschwistern, nur sind sie eben gleichalt und durchlaufen zur selben Zeit wichtige Entwicklungsübergänge. Damit bildeten sie eine wichtige Referenzgruppe zu den eineiigen Zwillingen und seien genauso wichtig für die Erforschung des Wechselspiels aus Anlage und Umwelt wie die eineiigen Zwillinge.

Seltsame Teilnahmen von Bots

Das Online-Verfahren in der Forschung der Arbeitsgruppe birgt auch Schwierigkeiten. „Wir haben manchmal auffällige Teilnahmen“, sagt der Psychologe. Es seien Bots, automatisch arbeitende Computerprogramme mit seltsamen Adressen gewesen. „Da schlagen unsere Kontrollmechanismen Alarm.“ Hintergrund: Wer an der Befragung teilnimmt, erhält einen universal einsetzbaren Gutschein über 10 Euro. „Wenn also genügend gefälschte Rückmeldungen eintreffen, dann kann schon eine hübsche Summe zusammenkommen.“

Und noch ein Problem spricht der Wissenschaftler an. Bei seinen vorausgegangenen Forschungen in dem Projekt TwinLife an der Universität Bielefeld sei es einfach gewesen, vom Einwohnermeldeamt Daten von Zwillingen zu erhalten, die zu Forschungszwecken angeschrieben werden konnten. Dieselben positiven Erfahrungen habe er in Berlin, Düsseldorf und Essen gemacht. „Warum kann das Einwohnermeldeamt Bremen das nicht?“ wundert sich der Forscher, der 2018 an die hiesige Universität berufen wurde.

SPeADy wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis 2022 gefördert. Freiwillige Testpersonen sind nach wie vor willkommen, sagt Professor Christian Kandler.

Zur Projekt-Webseite:

SPeADy

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