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Wie Künstliche Intelligenz in der Pflege hilft
Ein Gespräch mit Gesundheitswissenschaftlerin Karin Wolf-Ostermann
Die Pflege steht vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, gleichzeitig verschärft sich der Fachkräftemangel. Künstliche Intelligenz (KI) kann eine Lösung sein und Pflegekräfte in ihrer Arbeit unterstützen. Forschende der Universität Bremen untersuchen, wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Pflege gelingen kann. Ein Interview mit Professorin Karin Wolf-Ostermann.
Wo wird jetzt bereits KI in der Pflege eingesetzt?
In einzelnen Bereichen: Sie kann zum Beispiel im Rahmen einer automatisierten Überwachung Muster und Anomalien in Patientendaten erkennen, etwa um Verschlechterungen frühzeitig zu bemerken. Auch in der Vorhersage von Stürzen oder der Arbeitsbelastung von Pflegekräften kommt sie zum Einsatz. Die KI kann außerdem Daten wie zum Beispiel Bilder und Videos oder Sprachdateien und Texte analysieren und so beispielsweise bei der Pflegedokumentation unterstützen. Robotersysteme unterstützen auch bei körperlicher Arbeit wie zum Beispiel der Reinigung oder kommen als robotische Aufstehhilfen in der stationären Pflege zum Einsatz. Auch in der direkten Interaktion mit Menschen gibt es schon hilfreiche Systeme, die auf Gesten und Sprache reagieren, wie etwa die Roboter-Robbe PARO für Menschen mit Demenz oder der soziale Roboter Navel, der mit Menschen direkt interagieren und Gespräche führen kann.
Aber man muss auch feststellen, dass bisher nur wenige KI-Anwendungen den Weg in die breite Versorgung gefunden haben. Vor allem Krankenhäuser setzen sie ein, während Pflegeheime und ambulante Dienste oft noch nicht so weit sind.
Ihr Projekt ProKIP startete vor fünf Jahren. Was haben Sie herausgefunden?
Seit 2021 untersucht das Forschungsprojekt ProKIP (Die Abkürzung steht für „Prozessentwicklung und -begleitung zum KI-Einsatz in der Pflege“), wie KI erfolgreich in den Pflegealltag integriert werden kann. Dazu wurde ein „KI-Pflege-Readiness-Assessment” entwickelt, das hilft, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für den KI-Einsatz zu bewerten. Beim Teilprojekt „Repositorien und KI-Systeme im Pflegealltag nutzbar machen (KIP)“ ist die Universität Bremen der Verbundkoordinator eines Forschungsverbundes bestehend aus der Charité - Universitätsmedizin Berlin, der Berliner Hochschule für Technik, dem Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft sowie dem Verband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft. Wir haben Plattformen für den Austausch von Forschungsergebnissen aufgebaut sowie Coachings und Labore für die Entwicklung von KI-Lösungen eingerichtet.
„KI soll und darf nicht die menschliche Zuwendung ersetzen, sondern soll Pflegekräfte unterstützen.“ Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann
Welche Herausforderungen sehen Sie?
Damit KI-Anwendungen erfolgreich eingeführt werden können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Wichtig ist eine gute digitale Infrastruktur. Es muss für die Pflegekraft nachvollziehbar sein, warum die Technik eingesetzt wird und dass sie nützlich für den Pflegealltag ist. Pflegeeinrichtungen benötigen außerdem klare Richtlinien für den KI-Einsatz. Aber auch rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen sind notwendig, weil viele KI-Anwendungen zukünftig als Hochrisiko-Technologien eingestuft werden. Was auch wichtig ist: Die Pflegekräfte müssen entsprechend geschult und in die Entwicklung neuer Technologien eingebunden werden.

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Gibt es viele Bedenken?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Pflegefachkräfte zwar offen für KI sind, ihr aber auch skeptisch gegenüberstehen. Klar muss sein: KI soll und darf nicht die menschliche Zuwendung ersetzen, sondern soll Pflegekräfte unterstützen. Dabei ist immer zwischen pflegerischem Nutzen und ethischen Risiken abzuwägen. Das Schreckensszenario einer vollautomatisierten Roboterpflege ohne menschliche Beteiligung ist glücklicherweise derzeit keine Option, die wir fürchten müssen.
Bremen hat in der Forschung zu KI in der Pflege schon viel vorzuweisen.
Ja, die Universität Bremen ist einer der führenden Standorte in Deutschland für diese Thematik. Seit 2017 sind wir mit vielen renommierten Forschungsprojekten zum Thema Digitalisierung/KI und Pflege sichtbar – sei es das Pflegeinnovationszentrum, der Cluster „Zukunft der Pflege“ oder das ProKIP-Projekt und sein Vorläufer, das Sondierungsprojekt SOKI. Es gibt aber auch einzelne Projekte zur Sturzerkennung und Entlastung von Pflegenden (ETAP sowie Save&Safe) bis hin zur Beteiligung an einem Marie Skłodowska-Curie-Graduiertenprogramm (DISTINCT) oder einem DFG-Graduiertenkolleg zusammen mit der Universität Oldenburg (HEARAZ).
Ein Leuchtturmprojekt aus der Langzeitpflege ist im letzten Jahr erfolgreich in Bremen gestartet: Der Transfercluster Akademische Lehrpflegeeinrichtungen TCALL bringt im Versorgungsalltag Wissenschaft, Technikentwicklung, Pflege und Gepflegte gemeinsam auch für die Entwicklung und Erprobung von KI-Systemen sowie den nachfolgenden Transfer in die Fläche zusammen.