„Wir können gestärkt aus dieser Krise gehen“
Wie der Rektor, Professor Bernd Scholz-Reiter, die vergangenen Monate persönlich erlebt hat und mit welchen Erwartungen er auf das Wintersemester und das Uni-Jubiläum blickt.
Rückblick auf das Frühjahr 2020: Wegen der Corona-Pandemie musste die Universität Bremen ihre Gebäude schließen und ihren gesamten Betrieb innerhalb weniger Wochen umstellen. Der Campus war lange Zeit menschenleer. Wie hat der Rektor, Professor Bernd Scholz-Reiter, diese Zeit erlebt? Was hat sich in seinem Arbeitsalltag durch die Pandemie verändert? Und wo sieht er durch die Krise auch Chancen für die Universität?
Herr Scholz-Reiter, wenn Sie sich an das Frühjahr zurückerinnern: Wie war die Situation damals für Sie als Rektor, als alles begann?
Uns war natürlich klar, dass die Corona-Pandemie auch irgendwann in Deutschland ankommen würde. Und wir waren auch vorbereitet. Dass sie jedoch mit solcher Wucht in Bremen und an der Universität ankam, hatten wir nicht erwartet. Damit meine ich, dass wir relativ schnell Infektionsfälle an der Universität Bremen hatten und den tragischen Tod eines Mitarbeiters beklagen mussten. Spätestens in dieser Situation war klar, dass die Universität Gebäude schließen musste.
Das ging ja nicht von einen Tag auf den anderen.
Nein, das war ein längerer Prozess. Wir haben zuerst die Gebäude geschlossen, die stark mit den Infektionsfällen zusammenhingen. Und dann sind wir sukzessive weiter vorgegangen. Insgesamt hat der Prozess etwa zwei Wochen gedauert. Man kann ja nicht einfach die Türen abschließen, sondern muss alles besprechen, nach Lösungen suchen und kommunizieren. Wir hatten Glück im Unglück, dass uns die Pandemie in der vorlesungsfreien Zeit getroffen hat. Allerdings hatten wir viele Prüfungen, die wir gezwungen waren umzustellen oder zu verschieben. Das mussten wir allen Betroffenen kommunizieren. In der Kürze der Zeit war das natürlich eine Herausforderung, Akzeptanz dafür zu finden. Denn wahrscheinlich ging es Ihnen genauso wie mir: In meinem unmittelbaren Umfeld gab es keine Corona-Infizierten. Und im Vergleich zur Gesamtzahl war es an der Universität eine geringe Zahl, obwohl die Anzahl der Corona-Verdachtsfälle zeitweise dreistellig war. Aber das persönliche Erleben hatte man nicht. Das Werben für Verständnis und die Erläuterung für den Ernst der Lage bedarf es bis heute.
Was meinen Sie damit?
Eine Universität ist eine komplexe Organisation mit mehreren zehntausend Menschen, die sich jeden Tag in verschiedenen Gruppen und Konstellationen in unterschiedlichen Räumen auf dem Campus treffen. Man kann sie nicht mit einer Schule vergleichen – von der Anzahl der Leute nicht, die sich in dieser Institution befinden, und von der Diversität der Veranstaltungen nicht. Diese lassen sich ja nicht immer in den gleichen Gruppen, wie in Klassenverbänden organisieren. Die Teilnehmenden setzen sich in Lehrveranstaltungen beispielsweise alle zwei Stunden immer wieder neu zusammen. Und deswegen ist die Übertragungsgefahr in so einer Pandemie in einer solchen Organisation viel höher als beispielsweise in einer Schule. Es erfordert viel höhere Schutzmaßnahmen sowie viel mehr Organisationsaufwand. Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob wir diese Herausforderung gemeinsam meistern können. Je nachdem, wie die Situation sich entwickelt, müssen wir stets flexibel reagieren.
Wie hat sich Ihr Alltag als Rektor durch die Pandemie verändert?
Am Anfang der Pandemie galt es, sehr schnell Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren. Als diese dann umgesetzt wurden, hat sich mein persönliches Arbeitsleben insofern verändert, dass ich seitdem einen geregelteren Arbeitstag habe. Das war vorher nicht so, weil es natürlich viele Repräsentations- und Abendtermine gab. Hinzu kamen die Dienstreisen. Da sitzt man schon mal morgens um sechs Uhr im Zug und kommt auch manchmal erst um Mitternacht wieder an. Trotzdem ist mein derzeitiger Arbeitstag voll und eng getaktet. Denn wir haben natürlich genauso viele interne und externe Meetings, nur jetzt meistens digital.
Welche Chancen sehen Sie für die Universität in dieser Krise?
Wir haben trotz aller Schwierigkeiten gezeigt, dass wir auch mit Ausnahmesituationen umgehen und uns auf sie einstellen können. Der Kernbetrieb der Universität – nämlich die Lehre, die Prüfungen und die Forschung – konnten fortgesetzt werden. Natürlich oft mit zeitlicher Verzögerung und Einschränkungen. Ich würde sagen, dass wir das meiste, was wir sonst leisten, auch in dieser Pandemie weiterführen können. Und mit zunehmender Erfahrung wird sich dies noch weiter verbessern. Eigentlich können wir gestärkt aus dieser Krise gehen und mit Selbstvertrauen sagen, dass wir Krisen gemeinsam bewältigen können. Dazu ist die Universität Bremen in der Lage.
Wird die digitale Lehre durch diese Erfahrungen mehr ausgebaut?
Wir sind und bleiben eine Präsenzuniversität. Das ist immer unser erklärtes Ziel gewesen. Und das kann man auch aus unserer Strategie bis 2028 ablesen. An dieser Grundeinstellung hat sich nichts geändert. Wir wussten aber – und das sieht man auch in der Strategie – dass die Digitalisierung viele Möglichkeiten für Lehre, Forschung und Verwaltung bietet. Durch den Digitalisierungsschub im Sommersemester haben wir diese Möglichkeiten schon sehr stark erlebt. Ich nenne mal ein ganz simples Beispiel: den Umgang mit Videokonferenzen. Viele hatten das vorher vielleicht noch nie gemacht. Und jetzt sind viele Mitglieder der Universität mit diesen Tools vertraut. Das Gleiche zeigt sich in den unterstützenden digitalen Werkzeugen für die Lehre. Das wird in gewisser Weise bleiben, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie Präsenzveranstaltungen. Denn das Miteinander ist uns wichtig. Das macht eine Universität ja aus. Bildung und Forschung vermittelt man ja auch, indem man miteinander redet, zusammenarbeitet und dadurch ein Vertrauensverhältnis sowie ein gegenseitiges Verständnis entwickelt.
Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das Wintersemester?
Vor allen Dingen hoffe ich, dass unsere Erstsemester einen guten Zugang zu unserer Institution finden und uns nicht nur als digitale Universität erleben. Wir wollen ihnen auch unter Einhaltung der Infektionsschutzmaßnamen Möglichkeiten bieten, Kontakte aufzubauen und sich in die universitäre Gemeinschaft zu integrieren. Da werden wir alles für tun. Ich hoffe, dass wir es schaffen, dies bestmöglich umzusetzen.
Die Universität feiert 2021 ihr 50-jähriges Jubiläum. Was ist diesbezüglich Ihr größter Wunsch?
Dass wir uns durch dieses Jubiläum noch mal selbst bewusstmachen, was wir in den vergangenen 50 Jahren als Institution, durch den Einsatz von tausenden von Menschen auf die Beine gestellt haben. Dass wir aus unserer Entwicklung heraus viel Positives übernommen haben. Und dass wir aus unserer Entwicklung heraus das sind, was wir heute sind. Und gleichzeitig, dass die Zeit natürlich voranschreitet und wir uns immer weiter entwickeln wollen. Ganz wichtig ist für die Universität Bremen hier zurzeit die Europäisierung und Internationalisierung. Wir erleben sie zum Beispiel mit der YUFE-Allianz, in der wir mit neun Partneruniversitäten in den nächsten Jahren eine Europäische Universität gestalten. Das ist der eine Wunsch. Der zweite – mehr nach außen gerichtete – Wunsch ist, dass es uns gerade im Jubiläumsjahr gelingt, unseren Spirit nach außen darzustellen und allen Menschen zu vermitteln. Und dass die Bremerinnen und Bremer, die ja letztendlich mit ihren Steuergeldern die Universität auch zum großen Teil mitfinanzieren, wissen und wertschätzen, was sie an der Universität Bremen haben.