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Wo es Stress und Ärger gibt

HiPE-LAB: Europaweit einzigartiges Labor der Universität Bremen testet Leistungselektronik auf Herz und Nieren

Forschung

Windkraftanlagen werden immer größer. Je höher, desto mehr Windausbeute, an Land wie auf See. 100 bis 120 Meter sind schon Standard, getestet werden bereits Anlagen mit bis zu 300 Metern Höhe. Die Hightech-Anlagen sind vollgestopft mit hochsensibler Elektronik, die über sehr lange Zeit reibungslos funktionieren muss. Um das zu gewährleisten, werden sie in der Forschung „gestresst und geärgert“ – etwa in der FZ-Halle 1a nahe dem Zentralbereich der Universität Bremen.

Es dringt kein Protest aus der mit Technik gefüllten Halle, wenn die Tests des HiPE-LAB-Teams laufen. Aber das, was die Ingenieure Wilfried Holzke und Johannes Adler dort mit der Leistungselektronik tun, kann einen ebenso frösteln lassen wie den Schweiß auf die Stirn treiben. „Genau das machen wir ja in diesem Labor. Mal müssen unsere ‚Testkandidaten‘ Frost bei extrem trockener Luft aushalten, dann wieder extreme Hitze bei hoher Luftfeuchtigkeit“, sagt Holzke, der wissenschaftliche Leiter im HiPE-LAB. Laut ist das Ganze dann auch noch, ohne „Noise cancelling“-Ohrstopfen geht gar nichts für die Mitarbeitenden. Das Kühlsystem und das Brummen der Transformatoren machen kräftig Krach – zumindest das hört man, wenn man zufällig die Halle passiert.

Die ist ungefähr 20 x 35 Meter groß, könnte also sogar schon ein mittelgroßes Schwimmbecken beherbergen. Halle FZ 1a, in der das HiPE-LAB untergebracht ist, gehört zum Institut für elektrische Antriebe, Leistungselektronik und Bauelemente (IALB) im Fachbereich Physik/Elektrotechnik. „Ohne Zweifel ist dieses Labor jeden Tag wieder beeindruckend und eines der größten der Universität Bremen“, ist Wilfried Holzke überzeugt. Er ist für die „Vermarktung“ des Testlabors zuständig – denn die Universität will und muss damit künftig auch Geld verdienen.

Ausgangspunkt war das Millionenprogramm HiPE-WiND

11,5 Millionen Euro: So viel war dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2017 das Forschungsprojekt HiPE-WiND wert, um zwei grundlegende Fragen zu beantworten: Wie sieht es mit Lebensdauer der Leistungselektronik in Windenergieanlagen (WEA) aus? Welche Umwelt- und Lastbedingungen spielen für diese Lebensdauer eine Rolle? „In kleineren Laboren können solche Fragen nur ansatzweise beantwortet werden“, sagt Johannes Adler. „Aber leistungselektronische Bauteile aus Windenergieanlagen im Originalmaßstab extremen Belastungstests auszusetzen, war vor dem Bau des Testlabors nicht möglich. Diese Anlage ist europaweit einmalig.“

Blick auf die geöffnete Klimakammer des HiPE-LABs
In die großräumige Klimakammer des HiPE-LABs können bis zu 10.000 kg schwere Schaltschränke mit Umrichtern „zum Stressen“ hineingeschoben werden.
© Hajo König

In dem HiPE-WiND-Forschungsvorhaben, für das die Versuchsstände Voraussetzung waren, arbeitete das IALB eng mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven und drei Partnern aus der Wirtschaft zusammen. Im Mittelpunkt stand die Windenenergie. Die Leistungselektronik ist ein zentraler Teil von Windenergieanlagen, denn sie „steuert“ den Leistungsfluss der Anlage.

„Sie wird dabei sehr stark beansprucht“, erläutert Holger Raffel vom Bremer Centrum für Mechatronik, zu dem sich das IALB mit drei weiteren Universitäts-Instituten zusammengeschlossen hat. „Die Belastungen kommen von mehreren Seiten – dem ständig schwankenden Wind und den Belastungen aus dem Netz beispielsweise. Wind kann schwach oder stürmisch wehen und in kurzer Zeit starke Wechsel vollziehen; Netzbelastungen ergeben sich durch Spannungs- oder Stromstöße aufgrund von Schalthandlungen, Kurzschlüssen oder Blitzeinschlägen. Dazu kommen vielfältige Umwelteinflüsse: große Temperatursprünge, stark schwankende Luftfeuchtigkeit bis hin zur Kondensation, Wechselwirkungen der verschiedenen mechatronischen Antriebsstrangsysteme untereinander und vieles mehr.“ In Fachkreisen werden solche vielfältigen Belastungen als „multimodal“ bezeichnet.

„Ohne Zweifel ist dieses Labor jeden Tag wieder beeindruckend und eines der größten der Universität Bremen“ Wilfried Holzke, IALB

Auf all diese wechselnden Einflüsse muss die WEA insbesondere auf hoher See vorbereitet sein. Sie muss schlicht und einfach funktionieren, denn ein Ausfall zieht sehr hohe Kosten bei erheblichem Aufwand nach sich. „Bei Anlagen auf See kommt es stärker als auf dem Land auf eine hohe Zuverlässigkeit an“, sagt Wilfried Holzke. „Für Reparaturen oder Wartungen kommt man da schlicht und einfach nicht so schnell hin.“

Im HiPE-LAB ist es nun möglich, die Belastungen an Anlageteilen im Originalmaßstab durchzuführen. Im Mittelpunkt steht dabei die Leistungselektronik – konkret die Frequenzumrichter. Was das ist, erläutert Holger Raffel: „Frequenzumrichter verändern die durch die Generatoren der Windenergieanlage erzeugte Wechselspannung so, dass sie zur Netzeinspeisung genutzt werden kann. Der gewonnene Strom muss für die unterschiedlichen Zwecke ‚verwert- und einspeisbar‘ und somit für die Verbraucher nutzbar gemacht werden.“ Für Raffel sind die Frequenzumrichter das Herzstück einer WEA: „Das ist eine Schlüsselkomponente. Sie pulsiert, sie pumpt, sie versorgt, sie hält alles am Leben, was um sie herum gebaut ist.“ Das HiPE-LAB sei eine ideale Voraussetzung für neue Forschungen zur grünen Transformation an der Universität Bremen.

Belastungen über 20 Jahre können simuliert werden

Deswegen muss gerade der Frequenzumrichter reibungslos funktionieren. Im HiPE-LAB wird er den unterschiedlichen Lasten nicht nur kurzfristig, sondern auch in einer Langzeitsimulation ausgesetzt. „Wir können hier im Mehrschichtbetrieb über längere Zeiträume Programme fahren, die die Belastungen der WEA-Komponenten simulieren, die sie in bis zu 20 Jahren aushalten müssen“, sagt Wilfried Holzke. Analog zu diesem elektronischen Großprüfstand des IALB unterhält der Forschungspartner Fraunhofer IWES in Bremerhaven entsprechende Möglichkeiten zur Belastung von Originalteilen wie Gondeln oder Rotorblättern.

Wilfried Holzke und Holger Raffel präsentieren den Schaltschrank eines Frequenzumrichters
Stolze Ingenieure: Wilfried Holzke (links) und Holger Raffel freuen sich vor dem geöffneten Schaltschrank eines Frequenzumrichters über das Hightech-Labor auf dem Uni-Campus.
© Kai Uwe Bohn / Universität Bremen

Die Halle in Bremen beeindruckt nicht nur durch die großräumige Klimakammer, in die bis zu 10.000 kg schwere Schaltschränke mit Umrichtern „zum Stressen“ hineingeschoben werden können. Auch kleinere Klimaschränke für die Untersuchung beispielsweise von Leistungshalbleitern, Treiberschaltungen oder Zwischenkreiskondensatoren sind vorhanden, dazu eine umfassende elektrotechnische Ausstattung auf zwei Etagen. Insgesamt wurden rund 6 km Kabel verlegt und mehr als 100 Schaltschränke aufgebaut, in denen die Umrichter-Technologie, die Steuerungstechnik und weitere Hilfskomponenten für den Prüfstand installiert sind.

„Die Belastungsanlage simuliert sowohl das Verhalten eines WEA-Generators mit Frequenzen von 0 bis 70 Hz als auch des Stromnetzes. Um die geforderte Leistungsbandbreite von ‚Prüflingen‘ überhaupt flexibel bereitstellen zu können, wurde die Anlage aus vier gleichartigen Einheiten mit einer Leistung von jeweils 2,5 MW aufgebaut“, erläutert Wilfried Holzke. Durch Parallelschaltung kann die zu überprüfende Komponente also mit bis zu 10 MW elektrisch belastet werden. „Dazu müssen die netzseitigen Umrichter und die Umrichter auf Generatorseite jeweils synchron agieren, was eine Herausforderung ist“, so der Ingenieur.

Firmen: „Wir kommen vielleicht nicht sofort – aber wir kommen“

Die umfangreichen Installationen machen letztlich klar, warum dieses Labor mehrere Millionen Euro verschlungen hat. Um es nun auszulasten, werden zusätzlich zur universitären Forschung auch Industriekunden akquiriert: „Wir haben uns zum Beispiel Anfang September 2022 auf der European Conference on Power Electronics and Applications in Hannover vorgestellt“, sagt Wilfried Holzke. „Die Resonanz war sehr positiv. Viele Firmen haben uns signalisiert: Toll, was ihr da habt. Wir kommen vielleicht nicht sofort – aber wir kommen.“

Blick auf die einhundert Schaltschränke im HiPE-LAB
Technik im XXL-Maßstab: Insgesamt wurden im HiPE-LAB rund 6 km Kabel verlegt und mehr als 100 Schaltschränke aufgebaut.
© Hajo König

Interessant ist das Forschungslabor nicht nur für die Windenergiebranche, sondern zum Beispiel auch für die Sektoren Photovoltaik oder Bergbau. „Unter Tage laufen schließlich auch Maschinen unter Bedingungen, die sie sehr stressen – oder auch im Gebirge“, so Wilfried Holzke. Er und sein Kollege Johannes Adler stehen für die Klimatests mit Bedingungen „von der Arktis bis zur Sahara“ der Industrie zur Seite – zumal eine stabile grüne Energieerzeugung zuverlässige Leistungselektronik in der sicheren Stromversorgung von Morgen für uns alle voraussetzt.

Weitere Informationen gibt es auf der Webseite des HiPE-LAB.

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