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Wohin bewegt sich Russland?

Professor Michael Rochlitz erforscht an der Uni Bremen die russische Gesellschaft und das System Putin. Nach mehr als vier Jahren verlässt er nun die Hansestadt in Richtung Oxford. Seine Verbindungen an die Uni werden aber bleiben.

Forschung / Uni & Gesellschaft

Schon als Kind interessierte sich Michael Rochlitz für Russland und die russische Kultur. Seine Eltern – beide Musiker – brachten ihm die Meisterwerke der klassischen Musik näher. Die Mutter des 1981 in Sindelfingen geborenen Michael Rochlitz lehrte Klavier und spielte leidenschaftlich gern die Stücke großer russischer Komponisten wie Modest Mussorgski und Sergei Rachmaninoff. Zusammen mit seinem Vater schaute er zudem die filmischen Reiseberichte der Journalistenlegende Gerd Ruge, der als Leiter des ARD-Studios Moskau in den Wendejahren das Russlandbild in Deutschland entscheidend mitprägte.

Ab 2002 studierte Michael Rochlitz Entwicklungsökonomik an der Hochschule Sciences Po Paris. „Hier hatte ich die Möglichkeit entweder Arabisch oder Russisch zu lernen“, sagt er. „Obwohl ich beide Sprachen faszinierend fand, fiel meine Wahl schlussendlich auf Russisch.“ Es folgten Lernaufenthalte an Sprachschulen in Vilnius, St. Petersburg und Kaliningrad sowie ein Praktikum bei den Vereinten Nationen in Simferopol auf der Halbinsel Krim. „Dort lebte ich bei einer alten Dame, einer typischen Babuschka. Abends schauten wir zusammen fern und unterhielten uns über alles Mögliche. Neben der Sprache lernte ich so die Herzlichkeit der einfachen Leute, aber auch die Probleme und Krisen in Russland und der Ukraine kennen.“

Seinen Abschluss machte er 2008 an der University of London und setzte sich in der Masterarbeit mit Putins Industriepolitik auseinander. Die Doktorarbeit in Volkswirtschaftslehre absolvierte er dann am Institut IMT Lucca in Italien und befasste sich dabei – unter anderem auch während eines einjährigen Aufenthaltes als Gastdozent im Jekaterinburg im Ural – mit dem Wirtschaftssystem Putin. „Schon damals setzte der Staat den Geheimdienst und andere staatliche Gruppierungen ein, um die Kontrolle über private Unternehmen zu erhalten“, erklärt der Wissenschaftler. „Zahlreiche Firmen wurden zu dieser Zeit regelrecht überfallen und dann enteignet.“

Ab 2014 hatte er eine Juniorprofessur an der Wirtschaftshochschule in Moskau inne, verließ dann aber 2017 wegen zunehmender staatlicher Repressionen das Land. Nach einer Station als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrbereich „Gesellschaften Osteuropas“ an der LMU München trat er 2019 eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bremen an.

„Die zunehmende Wichtigkeit von KI für autoritäre Regime steht besonders in Russland einem Exodus von Fachkräften gegenüber“

In Bremen arbeitete Michael Rochlitz an zahlreichen Forschungsfragen, die spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt sind. Wie nutzt Putin die kollektive Erinnerung an das Chaos nach dem Ende der Sowjetunion, um seine ganz eigene Erzählung zu stricken? Wie übernimmt das System Putin mehr und mehr die Kontrolle über die Wirtschaft im Land? Und wie setzt es inzwischen auch Künstliche Intelligenz ein, um an der Macht zu bleiben?

„Die zunehmende Wichtigkeit von KI für autoritäre Regime steht besonders in Russland einem Exodus von Fachkräften gegenüber“, erklärt der Forscher. „Nach Schätzungen haben rund 500.000 ausgebildete IT-Spezialisten bereits das Land verlassen. Die Zukunft des Landes wird sich auch daran entscheiden, wie es diesen beispiellosen Braindrain verkraftet.“

Nach mehr als vier Jahren in Bremen zieht es Michael Rochlitz nun an die renommierte University of Oxford, wo er eine Professur für die Ökonomien Russlands, Osteuropas und Eurasiens antritt. „Ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe, werde meine Zeit an der Universität Bremen aber immer in guter Erinnerung behalten“, ist sich Michael Rochlitz sicher. „Außerdem geht man ja nie so ganz und die Verbindungen an die Weser werden bleiben.“

Aktuell plant er mit amerikanischen und kasachischen Kolleg:innen eine große Konferenz sowie eine Summer School für das nächste Jahr in Kasachstan, an denen neben drei kasachische Universitäten auch Forschende und Studierende der Uni Bremen teilnehmen werden. „Kasachstan ist derzeit ein besonders spannendes Land“, erklärt der Wissenschaftler. „Russland hat seine Truppen an die Front in der Ukraine verlegt und damit viel Druck von Kasachstan genommen. Das Land kann auf einmal atmen und wird in den kommenden Jahren entscheiden, in welche Richtung es sich bewegen will. Der ehemalige autoritäre Präsident Nursultan Nasarbajew hatte in der Vergangenheit viele junge Menschen ins Ausland geschickt, um sie dort ausbilden zu lassen. Genau diese Menschen sind jetzt wieder gut ausgebildet und hoch motiviert im Land und wachsen mehr und mehr in den Verwaltungsapparat hinein. Es wird sehr spannend sein, den Weg dieser ehemaligen Sowjetrepublik gemeinsam mit den Studierenden aus Kasachstan, Bremen und Oxford zu begleiten.“

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